Nun war ich schon seit einigen Monaten in diesem Anwesen. Ja, ich fühlte mich schon wie Jonathan Harker und Ladislao war der mysteriöse Dracula. Ich hatte keine weiteren Informationen sammeln können. Nur in meinen Vermutungen und verführerischen Träumen war ich verloren. Über das Gespräch zwischen Carlos und Ladislao hatte ich nichts weiter herausgefunden. Achteten sie etwa bewusst darauf, in meiner Gegenwart nichts mehr zu besprechen?
Carlos ging in letzter Zeit öfter heraus, was ich von Nadja mitbekommen hatte, da sie stets jammerte, ihren Mann vermisst zu haben. Das war seltsam, denn für gewöhnlich blieb er immer im Haus. Ich verstand nicht einmal, als was Carlos hier angestellt war. War er so etwas wie der Oberbodyguard? In wessen Haus lebte ich? Wie weit oben war Ladislao in der Hierarchie?
Alfonso war immer draußen. Er hatte viel zu tun. Manchmal verschwand er für mehrere Tage. Ich hatte einmal kurz gehört, wie er zu Ladislao sagte, dass er nicht mehr arbeiten wolle. Das war zwar verständlich, dass er endlich Ruhe wollte, aber das Unternehmen hatte er bereits ihm überlassen. Also von welcher Arbeit war hier eigentlich die Rede? Ladislao leitete die Firma schon bevor ich da war. Ging es etwa hierbei um die anderen Geschäfte? Ich war nicht dumm oder blind. Dass hier nicht alles rechtens ablief, leuchtete mir ein. Bloß die Frage stellte sich, welche Verbindung sie zu Snake hatten? Zu den Straßen?
Es war gerade mittags. In letzter Zeit hatte ich mich vom Fernsehen auf Lesen gesteigert. Ich durchstöberte Ladislaos Bücher. Ihn erfreute es. Er fand es gut, dass ich damit angefangen hatte. Dann sahen wir uns regelmäßig Dokumentarfilme an. Im Allgemeinen konnte ich sagen, dass ich mich weiterentwickelt hatte wie noch nie.
Im unteren Stockwerk, wenn man von der Küche weiter in den Keller herunter lief, gab es eine Art Trainingshalle. Tagsüber, wenn Ladislao weg war, ging ich dort trainieren, um mich fit zu halten. Er hatte hier alle möglichen Geräte, inklusive einem Boxsack. Vielleicht wusste er davon. Schließlich wurde das Haus doch bestimmt irgendwie überwacht. Sowie ich meinen Geist weiterentwickelte, tat ich dies ebenso auch mit meinem Körper. Das gab mir eine Sicherheit. Ich wusste nicht, was noch alles auf mich zukommen sollte.
Wir stritten uns auch sehr oft. Na ja, was hieß stritten. Es lief eher so ab, dass er ausrastete und ich mich ruhig verhielt. Ich wollte nicht mit ihm diskutieren oder ihn anschreien. Ich schwieg. Das war meine Waffe. Denn das bescherte ihm im Nachhinein ein schlechtes Gewissen. Ich fand es schon immer sinnlos, mich zu streiten. Das ging einfach bei mir nicht. Wieso machten wir so einen Wirbel darum, wenn wir uns im Endeffekt wieder versöhnten? Konnten wir nicht direkt in Ruhe kommunizieren? Aber so schnell wie er sich aufregte, so verschwand seine Wut auch wieder. Er war nicht nachtragend oder lange böse auf mich. Vielleicht lag es auch daran, dass ich seine Launen ignorierte. Ich wusste es nicht genau. Natürlich wurde das mit der Zeit anstrengend.
Wir kamen uns zwar körperlich nicht viel näher, aber dennoch konnte man sagen dass wir eine gewissen Bindung zueinander gefunden hatten. Er küsste mich gelegentlich. Ich glaubte, das entspannte ihn auf eine seltsame Art und Weise. Manchmal kuschelte er sich in meine Arme und schlief so ein. Ich strich ihm dann meistens durch seine Haare. Er liebte das. Kaum zu glauben, aber wahr.
Ich lief gerade nach unten und wollte in den Wohnbereich. Mir stieg ein bekannter Duft in die Nase, den ich mit Erinnerungen verknüpfte, aber ich konnte nicht sagen mit welchen. Wieso kam mir dieser Geruch nur so bekannt vor? Ich lief weiter durch den Eingang zum Wohnzimmer. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Meine Augen weiteten sich. Ladislao stand im Raum und sein Gegenüber verschlug mir die Sprache. Diese Statur, die Ansätze seiner Tattoos am Nacken, die braune Haut, die Glatze und die kraftvolle, einschüchternde Aura, die er ausstrahlte. Ich kannte sie nur zu gut. Was tat er hier? Plötzlich lag die Aufmerksamkeit beider Männer auf mir.
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Zwei Frauen✅
Romance"Die Straßen wurden mein Zuhause, der Boden mein Bett, die Nacht meine Decke. Vergessen wie eine Ratte, verdammt zu einem Leben in einer Gasse." Vor weniger Zeit lebte Crystal noch auf den Straßen. Nun sollte sie die Frau eines der reichsten Männer...