Einige Tage vergingen, die neue Woche begann. An diesem Wochenende, genau genommen am Samstag, sollte die Verlobung stattfinden. Meine Chancen, sowie meine Hoffnungen auf eine Flucht liefen immer mehr gegen Null. Wie sollte man aus einem Haus flüchten, das rund um die Uhr von Männern umzingelt war?
Wir hatten gerade Dienstag. Camilla redete täglich auf mich ein, dass ich mich anpassen sollte. Das war so als würde man einen Löwen in einen Käfig sperren wollen. Ich war es gewohnt zu tun und zu lassen, was ich wollte, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie sagte zwar auch, dass ich nach der Hochzeit mich frei bewegen werden könnte, aber ich glaubte ihr das nicht wirklich.
Andererseits hatte ich auch nichts zu verlieren. Ich schlief auf einem weichen Bett, konnte mich pflegen und hatte warmes Essen. Was erwartete mich, wenn ich hier heraus kam? Nichts. Nur Armut, Hunger, der nackte Kampf ums Überleben. Ich müsste wieder in einer abgelegenen Drecksgasse schlafen.
"Sieh mal, Crystal, dieses Kleid ist sehr schön. Ich glaube, das wird dir recht gut stehen."
Camilla zeigte mir ein schwarzes Etwas und unterbrach somit meine Gedanken. Ich sah es mir genauer an. Ein Kleidchen mit dicken Trägern, einem eckigen Ausschnitt mit engem Schnitt.
Wir sollten mir heute Kleider kaufen. Da sie nicht riskieren wollten, mich rauszulassen, brachten die Verkäufer ihre Ware zu uns.
"Ja, sieht okay aus", sagte ich nur mit meinen Schultern zuckend.
War mir doch egal, was ich an hatte. Ich hatte andere Probleme.
"Das nehmen wir auf jeden Fall", grinste Camilla die Verkäuferin an.
Was für'n Mist. Wann endete das endlich mal? Ich probierte noch gefühlte tausend Teile von Unterwäsche bis zu Blusen an. Das Meiste wurde dann auch gekauft. Dieser Mann, Carbone, zahlte ein Vermögen meinetwegen. Ich konnte meine gesamte Situation immer noch nicht realisieren, denn zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Kleidung gekauft.
"Komm, zieh dir was davon an", forderte mich Camilla auf. "Du musst nicht mehr in diesen Sachen herumlaufen."
Wir suchten eine schwarze Hose aus leichtem Stoff und eine lockere Bluse aus.
Die Zeit verging sehr schnell. In den darauf folgenden Tagen wurden mir das Benehmen in der Öffentlichkeit und die Tischmanieren beigebracht. Ich solle mich vor den Gästen angemessen verhalten, hieß es die ganze Zeit. Wie ein Neugeborenes lernte ich zu essen, zu sitzen und zu laufen. Eine waschechte Lady sollte aus mir werden, damit die Ehre der Familie gewahrt blieb.
Die Tage verstrichen sehr schnell, sodass nur noch zwei Tage bis zu meiner Verlobung übrig waren. Immerhin war das nicht die Hochzeit. Nur eine Feier, in der mich jeder sah, sodass die Leute sich von mir überzeugen konnten. Meinte Camilla zumindest. Die Verlobung würde nichts an meiner Situation ändern. Im Moment genoss ich irgendwie die Zeit hier. Dieser Luxus machte mich wirklich auf beiden Augen blind. Aber was sollte ich tun? Sollte ich eine unmögliche Flucht riskieren und dabei draufgehen? Es gefiel mir hier. Ich mochte Camilla. Wir verstanden uns gut.
Ich hatte eher eine Furcht vor der Hochzeit. Das Gespräch zwischen dem Vater und seinem Sohn ging mir nicht aus dem Kopf, als es festgelegt wurde, dass ich in Ladislaos Zimmer schlafen sollte. Wie sollte das nur funktionieren? Seit ich hier war, hatte ich ihn kein einziges Mal gesehen. Ich verstand die Zwickmühle, in der er sich befand, aber ich konnte nicht begreifen, warum er ausgerechnet mich hierfür ausgesucht hatte. Was hatte ihn an jenem Abend dazu bewegt, mich für diese Rolle mitzunehmen?
Heute kamen Friseure und Visagisten - wie Camilla sie nannte.
"Du wirst dich kaum wiedererkennen", klatschte Camilla mit ihren Händen. "Ich bin so aufgeregt."

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Zwei Frauen✅
Romance"Die Straßen wurden mein Zuhause, der Boden mein Bett, die Nacht meine Decke. Vergessen wie eine Ratte, verdammt zu einem Leben in einer Gasse." Vor weniger Zeit lebte Crystal noch auf den Straßen. Nun sollte sie die Frau eines der reichsten Männer...