⑤You're not alone

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Liam hatte dafür gesorgt, dass sie in ein Zimmer gebracht wurde, aus dem sie nicht ausbrechen konnte.
Auch wenn mir ihre Worte nahe gegangen waren, war ich dennoch froh, dass sie nicht wie eine Ausgestoßene behandelt wurde. Ich spürte die Abneigung der anderen Wölfe, die in ihrer Nähe waren und ihren Zorn darüber, dass Caitlyn einen von ihnen verraten hatten.

Ich jedoch fühlte nichts.
Meine Gefühle waren ein blasser Schatten ihrer selbst und wurden überdeckt von den um mich herrschenden Gemütszuständen.
Die Musik war verstummt und keine freudige Clary befand sich mit mir in der Küche. Sie hatte sich, die Tränen unterdrückend, verabschiedet und war in Windeseile aus dem Haus geeilt.

Und ich blieb zurück. Ich wusste, ich brauchte nur sechs Schritte bis zur Tür und sieben nach rechts den Flur entlang bis zur Treppe, die nach dreißig Stufen ins zweite Stockwerk führte. Mein Zimmer wäre dann nur noch zehn Schritte nach links entfernt.
Aber das brachte mir nichts, da meine Knie weich wie Butter wahren.

Liam war mit Caitlyn gegangen, ohne dass ich eine Chance hatte, ihm alles zu erzählen. Ich wusste schon seit Tagen, dass ich ihm von Andrews Plänen erzählen sollte, aber Daniels Tod hatte für mich alles andere nebensächlich erscheinen lassen.
Und jetzt hatte ich den Zug verpasst, der mir das Vertrauen von Liam sichern konnte.

Die Stille drückte auf meine Ohren und mein Herz zog unangenehm schmerzlich so als würden tausend Nadel kleine Löcher in es hinein stechen.
In diesem Moment tauchten Andrews Worte wieder in meinem Kopf auf.

»Sie wird geboren in der Nacht des ersten Vollmondes, in ihren Augen sein Wesen. Geschickt von der Mondgöttin, soll sie Gleichgewicht und Ordnung bringen. Mit ihrer Gabe kann sie Gutes schaffen, doch verlangt wird ein Opfer. / Zerbricht sie, zerbricht das Gleichgewicht. Als größter Schatz soll sie gelten und ihr Schicksal das Schicksal ihres Volkes sein.«
Viel zu oft hatten ich über seine Worte nachgedacht, genug Zeit hatte ich gehabt. Immer wenn ich wach war, hörte ich seine mir allzu bekannte und doch fremde Stimme, wie sie diese Worte sagte und sich an meinem Schmerz ergötzte.
Doch erst jetzt hatte ich ihre Tiefe erkannt.

Mein Herz war zerbrochen, alles wurde mir genommen. Auch wenn ich die Illusion von Glück noch hatte, wusste ich tief in mir, dass es so etwas wie Glück und wahrliche Freude nicht gab. Nicht für mich.
Andrew meinte, dass es eine Prophezeiung war. Ein Prophezeiung über mich.
Ich hatte nie gewusst, dass es etwas in die Art gab, ich dachte, einzig die Mondgöttin entschied über unser Leben. Sie schenkte uns das Leben, sie schenkte uns unsere Kraft und zog die Fäden unseres Schicksals. Die Taschenuhren unserer Zeit auf Erden hatte sie und alleine sie entschied, wessen Uhr stehen blieb.

Magie in diesem Sinne gab es nicht, es gab keine Hexen und Zauberer, es gab nur uns und die Menschen. Und keiner konnte in die Zukunft sehen, zumindest niemand, der lebte. Es gab einmal einen weißen Wolf, der von unserer Göttin die Gabe des Sehens bekam. Er sah Dinge, die anderen verschlossen blieben und konnte den Krieg zwischen zwei Rudeln beenden. Er starb vor mehr als hundert Jahren.

Abermals murmelte ich die Worte vor mich her, versuchte sie zu verstehen. Versuchte zu verstehen, woher Andrew sie hatte. Er war noch nie ein Wolf der dramatischen oder literarischen Worte gewesen, im Gegenteil. Mum musste ihm immer extra Stunden geben, damit er nicht in seinem Wissen zurück blieb.
»Von wem stammen diese Worte?«

Blind SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt