⑩Half moon

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Sobald ich auf vier Pfoten stand, wurde es still um mich herum.
Sekunden zogen sich zu Minuten und mein Herz rannte um sein Leben.

»Bist du etwa wütend kleine Dakota? Wütend und verletzt? Willst du mich jetzt angreifen? Du würdest mir nicht mal etwas tun, wenn ich die Welt zerstören würde.«
Ich knurrte. Noch nie in meinem Leben hatte ich mit derartiger Wut geknurrt und selbst meine Fell war noch nie so gesträubt gewesen. Mein Körper stand unter Spannung und ich stand kurz davor, all die Züge, die mich zu dem machten, was ich war, über Bord zu werfen und ihr zu zeigen, dass sie falsch lag.

»Du bist schwach und ein Problem, das gelöst werden muss. Zieh deine Krallen ein Kätzchen, sonst tust du dir noch weh.« Sie machte sich über mich lustig und schien jede Sekunde davon zu genießen.

Als ich mich nicht bewegte, sonder nur hinkauerte, kam sie auf mich zu. Ich spielte das unterwürfige Wölflein und hoffte, sie würde nah genug an mich heran kommen. Mir war nicht klar, dass jedes Augenpaar auf mir lag, jeder den Atem anhielt, zu sehr war ich von meinen Gefühlen gefangen.

Ich erinnerte mich nicht mehr genau daran, was als nächstes passierte. Sie sagte etwas, mein Körper handelte und sprang vor. Ich spürte ihren Körper unter mir und knurrte sie drohend an. Sie sagte etwas, meine Krallen fuhren in ihre Haut.

Alles um mich herum war still. Kein Blatt raschelte im Wind, die Wölfe bewegten sich keinen Millimeter und alle schienen wie gebannt.
»Ich glaube, Caitlyn hat ihre Lektion begriffen.«
Liam Stimme schreckte mich auf, ließ die Spannung aus meinem Körper verschwinden und mich widerwillig von ihr runter gehen. Ich spürte das Verlangen, das Verlangen dazu, sie in Stücke zu reißen und jedes einzelne davon zu verbrennen.

»Ich möchte dich hier nicht mehr sehen. Wenn du noch einmal ein Wort an sich wendest, wird es keine zweite Chance für dich geben.« Seine Stimme schnitt messerscharf durch die Luft und hätte mich um mein Leben laufen lassen.

Caitlyn knirschte mit ihren Zähnen, stand auf und knurrte.
»Du kann-«
»Du sollst verschwinden!«, übertönte er ihre Stimme und ließ all seine Macht in diese drei Wörter fließen.
Sie widersprach nicht noch einmal.

Als sie weg war, begannen alle zu tuscheln. Ich sackte in mir zusammen und legte mich auf den Boden. Nun spürte ich den Schmerz in meinem Rücken, die aufgeplatzte Lippe und das Blut, das leise an meinem Kinn hinunter floss.
»Warum hast du dich verwandelt?«, fragte Liam leise und kniete sich neben mich. Er strich mir über den Kopf und ich legte ihn in seine Hand.
Es kam einfach so über mich.

»Jetzt wissen sie alle, wie du aussiehst.«
Ein verwirrter Laut verließ meinen Mund und ließ ihn leise auflachen.
»Wusste gar nicht, dass ein Wolf solche Laute von sich geben kann.«

Die Stimmen um uns herum verstummten.
»Wusstest du davon?«, durchbrach einer die Stille. »Hast du das gewusst?«
»William, ich denke, es ist besser, wenn wir-«
»Verdammt Michael! Wusstest du auch davon? Wusstest ihr beide es und habt es nicht für nötig gehalten, es uns zu verraten? Und dein Vater? Weiß es dein Vater, Liam?«

»Dad hat hierbei nicht zu tun. Er ist, wie du weißt, in das alte Rudel meiner Mutter gegangen, um dort für meine Cousine zu sorgen. Ich trage die volle Verantwortung. Michael schwieg auf meinen Befehl hin und war nur loyal.«
»Du hättest es uns sagen sollen. Wir haben alle ein Recht darauf, etwas so schwerwiegendes zu erfahren. Es geht hierbei nicht nur um dich, es geht um uns alle.«

»Ich weiß und es tut mir leid. Es ist nun mal so, dass ich Dakota beschützen wollte. Wenn ihr davon gewusst hättet-«
»Sie ist Teil unseres Rudels, ein Teil von uns. Sie gehört zu uns und verdient unseren Schutz. Und jetzt, wo wir das wissen, müssen wir noch mehr auf ihre Sicherheit achten. Caitlyn hat unrecht. Sie ist von der Mondgöttin gesegnet und verdient jeglichen Respekt.«

»Ich danke dir. Ich hoffe, ihr versteht, warum ich es für mich behalten habe. Es war und ist für Dakota zu gefährlich, dass irgendjemand davon weiß, jedoch war es längst überfällig. Sie ist, wie ihr sicherlich bemerkt habt, nicht einfach nur ein Wolf, sie ist ein gesegneter Wolf, von der Mondgöttin geschickt, um uns wieder Frieden zu bringen. Sie half unserem Rudel mehr als einmal und hat gezeigt, dass sie es wert ist, unsere Loyalität und unseren Schutz zu bekommen.«

Ich verstand nichts mehr. All meine Gedanken schwirrten umher und wollten sich nicht ordnen. Ihre Worte verwirrten mich, verunsicherten mich. Der Schmerz klang ab, die Wut wurde schwächer und all mein Wesen konzentrierte sich darauf, die Situation zu verstehen.

»Hat sie deswegen diese Gabe?«, fragte eine Frau.
»Aber sie ist doch kein weißer Wolf«, widersprach ein Mann.
»Aber ihre Stirn. Guck dir ihre Stirn an. Sie ist weiß, sie ist komplett weiß, nur dieser Fleck.«
»Dieser Fleck sieht aus wie ein Halbmond.«
»Das ist ein Halbmond. Ein schwarzer Halbmond zwischen all dem weiß.«

»Aber dann ist sie doch kein weißer Wolf, oder doch?«
»Sie ist etwas anderes als ein weißer Wolf. Sie ist besonders.«
»Ist ein weißer Wolf nicht das, was wir besonders nennen?«
»Aber sie ist doch-«

»Dieser Halbmond steigerte ihre Besonderheit.«
»Aber was hat das zu bedeuten? Warum ist sie nicht komplett weiß, wenn sie doch von der Mondgöttin geschickt wurde?«
»Vielleicht hat sie die schwierigste Aufgabe der weißen Wölfe, weswegen sie auch stärker als-«
»Bedeutet das, dass es keine Hoffnung für uns gibt?«
»Werden wir noch mehr verlieren, bis das ganze aufhört?«

Alle redeten, eine Stimme übertönte die andere und weitere Fragen offenbarten sich. Mein Kopf brummte, alles schien wie von weit weg. Ich wollte nicht wahrhaben, dass sie über mich sprachen. Ich war nichts besonderes, ich war das blinde Werwolfsmädchen, das nicht einmal alleine ein Brot schmieren konnte, ohne dass die Hälfte daneben ging. Ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, was mit all den Seelen passierte.

Es kam mir so unreal vor, wie ich von einem Kampf gegen Caitlyn zu dieser mir neuen Offenbarung kam. Warum hatte Liam es mir nicht erzählt? Er hat mich doch oft genug als Wolf gesehen, um zu wissen, was ich war. Warum verriet er es mir nicht? Vertraute er mir nicht? Hatte Caitlyn recht und er wollte mich nicht, weil ich ich war, sonder wegen meiner Gabe? Meinem Fluch?

Mein Herz galoppierte, mein Kopf dröhnte. In meinen Ohren rauschte es und ich wusste nicht, was ich denken sollte. War ich wieder alleine? Konnte ich ihnen trauen? Oder würde ich so enden, wie Caitlyn es sich wünschte?

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Blind SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt