②①Beautiful mess

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Kälte umgab mich. Schlich sich in meine Knochen und Muskeln. Ich versuchte meinen Körper so klein wie möglich zu machen, dass keine weitere Wärme aus meinem Inneren verschwand. Doch ich konnte nicht. Mein Fuß war schmerzhaft eng angekettet. Dem Brennen auf meiner Haut nach zu urteilen an einer Silberkette.  Ich hatte keine Erinnerung mehr, an nichts und das machte mich verrückt. Wie war ich hierher gekommen? Und wo war hier? Ich war nur froh, dass ich Kleidung trug, denn das letzte, woran ich mich erinnern konnte, waren Liams Arme um mich herum. Wie hatte Andrew es geschafft, mich zu sich zu holen? Wie zum verfaulten Wolfszahn war er an Liam vorbei gekommen?

»Wir müssen sie loswerden!«
Ich konnte mich nicht orientieren, wusste nicht, woher die vor Wut zischende Stimme herkam. Angst nahm meinen Verstand ein, verbot es mir klare Gedanken zu fassen.
»Wir brauchen sie! Sei nicht so dumm und handel im Leichtsinn!«
Wen hatte Andrew hierher geschickt? Wovon sprachen sie?

»Aber wenn sie sie herführt-«
»Können wir uns wehren. Er hat uns alles gesagt, was sie betrifft. Vermassel nicht alles, indem du dem Geschwätz des alten Weibes Glauben schenkst.«

Das Brennen wurde immer schlimmer. Ich hielt mein Bein still, doch auch ohne dass ich es bewegte, versenkte das Material meine Haut. Der Geruch von verbrannten Fleisch lag in der Luft. Als ich den Schmerz nicht mehr standhalten konnte, entkam mir ein Schrei.
»Stell sie ruhig!«

Schritte. Jemand kam auf mich zu. Schmerz. Das Silber senkte sich immer weiter, während meine Haut sich versuchte zu regenerieren. Doch die neugebildete Haut wurde im selben Moment wieder zerstört. Schmerz. Schier unerträglicher Schmerz.
Dann wurde ich am Hals gepackt und hochgehoben. Die Erinnerung an eine ähnliche Situation tauchte in meinem Kopf auf, andere Hände, die mir die Luft abschnitten.

»Andrew meinte zwar, dass wir dich nicht anfassen dürfen und er uns, wenn dir auch nur ein Haar fehlt, eigenhändig die Haut vom Leib ziehen wird - und bei der Mondgöttin, das glaube ich ihm! - aber ich habe keine Lust, dass du uns die nächsten Stunden die Ohren kaputt machst. Dich wird niemand hören und es wird auch niemand diese Kette abmachen.«

Schnappend versuchte ich Luft zu holen, doch es war sehr schwer. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass mir  in letzter Zeit immer dasselbe passierte. Silberketten, Hände an meinem Hals, Kälte und Einsamkeit.

»Lass sie los, sie darf nicht sterben. Noch nicht. Andrew braucht sie noch.«
In Sekundenschnelle landete ich wieder auf dem Boden, meine Füße knickten um und ich landete mit dem Gesicht auf der Seite.
»Soll er mich doch am Arsch lecken. Sie wird uns alle ins Verderben stürzen, wir werden alle drauf gehen. Wenn du mir nicht glauben willst, schön, deine Sache. Aber Mageritte hat es gesehen.«

»Ach hör mir auf mit der alten Hexe, das ist nichts als dummes Geschwätz einer alten Frau, die Aufmerksamkeit möchte.«
»Du vergisst, dass sie den letzten weißen Wolf miterlebt hat.«
»Aber das Wölflein hier ist kein weißer Wolf. Sie ist normal, so wie du und ich.«
»Sie ist nicht normal!« Die Stimme des Wolfes, der mich hoch gehoben hatte, wurde lauter. »Sie wird über uns entscheiden, unsere Zukunft liegt in ihren Händen. Außerdem besitzt sie diese Fähigkeiten.«

»Ja klar, Fähigkeiten. « Ein belustigt es Lachen hallte durch den Raum. »Hör endlich auf, alles für voll zu nehmen. Wenn sie diese 'Fähigkeiten' hätte, würde sie sich wehren. Und wirklich überzeugend war es bis jetzt nicht.«
Ich wagte es nicht mich zu bewegen. Ich wollte nicht hier sein, bei der Mondgöttin, ich wollte zu Liam. Mein Herz zog schmerzhaft, ein Gefühl der Leere breitete sich in mir aus. Würde ich ihn je wieder sehen? Ich bezweifelte es.

»Andrew meinte-«
»Hast du keine eigene Meinung? Eigene Gedanken und Ansichten? Kein Wunder, dass sie dich rausgeschmissen haben, dich würde ich auch nicht in meinem Rudel haben wollen.«
Der stechende Schmerz, der plötzlich in meinem Herzen war, kam nicht von mir. Der Wolf, dessen Hände um meinen Hals gelegen haben, gingen diese Worte nahe und schmerzten ihm. Sein Schmerz war mir willkommen, er lenkte mich von meinen eigenen ab.

Während ich kontrolliert ein- und ausatmete, breitete ich meine Seele aus und berührte seine sachte. Ich hatte einen Plan - ob er nun gut oder vollkommen beschissen war, wusste ich nicht. Aber so leicht, wie ich in seinen Kopf kam, breitete sich Hoffnung in mir aus.

Wie in Trance nahm ich ihn den Schmerz der Worte. Er merkte es, wusste aber nicht, wie es geschah. Seine Verwunderung schwang durch die Luft, gleichzeitig mit seinem wütenden Knurren.
»Ich bin freiwillig gegangen, niemand hat mich rausgeschmissen. Nur weil du länger als Einzelgänger unterwegs warst, heißt das nicht, dass du über jeden hier bestimmen kannst. Du bist ein Arschkriecher, versteckst dich hinter Andrew, aber sobald er nicht da ist, benimmst du dich so, als gehöre all das hier, dieses Gebäude, diese Zusammenkunft der Rouges allein dir. Vielleicht sollte es ja einer Andrew sagen, ich mache das gerne.«

Solange ich mich nicht bewegte, bewegten sich die Ketten nicht und der Schmerz blieb im ertragbaren Bereich. Auch wenn es brannte, so sehr, als würde jemand mit einer Flamme meine Haut versenken, schaffte ich es, keinen Ton von mir zu geben.

»Was hast du gesagt?«
Wut, Ärger und bissiges Knurren erfüllte den Raum, beide waren abgelenkt, sodass ich ohne Probleme in ihre Köpfe kam. Diesmal nahm ich mir ihre Gliedmaßen vor, damit sie den selben Schmerz wie ich spüren konnten.

Bevor sie sich an die Kehle gehen konnten, biss ich die Zähne zusammen und kratzte den letzten Rest meiner verbliebenen Kraft zu einem großen Haufen. Meine Gefühle flossen in ihre Köpfe, das Brennen und Versenken. Sie schrien auf, ihre Körper landeten auf den Boden. All mein Mut an den Haaren gepackt, zog ich an den Ketten, sodass meine Haut aufriss. Der Geruch meines Blutes vermischte sich mit ihren, meine Schreie wurden von ihren übertönt.

Genugtuung breitete sich in mir aus, verdrängte den Schmerz für einen kurzen Moment und ließ ein rasendes Herz zurück. Immer weiter schrien sie, fühlten was ich fühlte und wussten nun, wie sehr es schmerzte, von Silberketten berührt zu werden - ohne dass sie sie je berührt haben.

Die Tür krachte knallend auf, die Schreie wurden schrillen, lauter.
»Was zum Teufel ist hier los?«
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, während das Blut an meinen Armen hinab lief. Ich wollte etwas sagen, ihn verhöhnen, ihm sagen, dass er der Nächste war, doch kein Wort verließ meinen Mund. Mit einem letzten Ruck an den Ketten schickte ich erneuten Schmerz zu ihnen, ehe es schwarz vor meinen Augen wurde.

Mein Schmerz wurde zu ihren.  Ich war nicht wehrlos, ich würde niemanden mehr an mich ran lassen. Nicht noch einmal. Ich war eine Brookes und eine Brookes gab sich nicht klein bei.

Blind SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt