②⑥Goner

7.7K 491 58
                                    

Goner - Twenty one Pilots

»Ob ich mich erinner?«, presste ich durch zusammen gebissenen Zähnen hervor. »Du hast doch keine Ahnung. Deine Emotionalität ist so klein wie eine Amöbe und besteht nur aus Hass und Dunkelheit. Ich fühle es, weißt du.«
Ich drehte meinen Körper zu ihm und legte meine glühende Haut auf seine Brust. Er hatte nicht einmal Angst, ich könnte ihn verletzen oder töten. Er spürte nichts. Nichts außer Hass.

»Ich spüre alles, Andrew. Jeder Blutstropfen, wie er durch deinen Körper fließt.« Meine Hand wurde immer wärmer. Er griff mit seiner Hand um mein Handgelenk und wollte sie von seiner Brust reißen, doch ich lähmte seine Muskeln.

»Willst du wissen, wie sich das angefühlt hat? Wie ich mich wochenlang gefühlt habe?«
Meine Fingernägel gruben sich in seine Haut, meine Gefühle spielten verrückt und hatten die Oberhand ergriffen.

Plötzlich begann Andrew zu schreien. Er wollte sich bewegen, von mir wegkommen, aber ich wollte seinen emotionalen Horizont erweitern. Mein Hass war immens und niemand würde mich jetzt davon abhalten, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

»Du hast mir meine Familie genommen. Meine Eltern. Meinen Bruder. So fühlt es sich an Andrew, genau so.« Er schrie und schnappte nach Luft, ehe er langsam auf die Knie sank. »Dein Herz reißt immer wieder auseinander, flüssiges Silber wird darüber geschüttet und soll die Risse füllen. Doch das Silber bringt alles nur noch mehr zum schmerzen. Spürst du das? Diese Hilflosigkeit, das Wissen, dass du sie hättest retten können? Die Leere, Einsamkeit? Und willst du wissen, was ich getan habe, um diesen Schmerz zu betäuben?«

Ich senkte meine Stimme, rief die Erinnerungen an den darauffolgenden Schmerz auf und ließ es ihn fühlen. Alles, was ich zu dieser Zeit erleidet habe, ließ ich ihn spüren und wünschte, sie mögen ihm in Gedächtnis bleiben und für immer verfolgen.
»Ich habe mich mit körperlichen Schmerz ablenken wollen«, sagte ich und dachte an meine Handgelenke. Sie waren wieder geheilt gewesen, doch durch die Ketten hier waren sie wieder verwundet. Das Silber schwächte mich nicht mehr so sehr wie beim ersten Mal.

»So fühlt es sich an Andrew. So fühlt es sich an, wenn dir alles genommen wird. Wenn dir das Licht in der Dunkelheit geraubt und zerstört wird. Spürst du es? Den Schmerz? So fühlt es sich an.«

Ich nahm meine brennende Hand von ihm und atmete tief durch. Er konnte sich noch immer nicht bewegen, dieses Risiko ging ich nicht ein. Solange er dort unten war, konnte er weder mich noch Liam angreifen, dem alle meine Gedanken galten.

»Du«, sagte Andrew und japste nach Luft. Seine Brust bewegte sich hektisch, sein Herz pumpte in Rekordzeit. »Bist ja immer noch so dramatisch. Daran wird sich wohl nie etwas ändern, Kota.«
Ich biss bei seinen Worten die Zähne zusammen und brach einen seiner Finger mit einer Handbewegung. Er schrie kurz auf, ehe der Bruch wieder heilte.

»Ich bin erstaunt. Ich wusste ja nicht, dass du so etwas kannst. Schneidet sich das aber nicht mit deinen Ansichten, du dürftest deine Gabe nur für das Gute einsetzen?«
»Du weißt gar nichts über mich«, knurrte ich ihm zu. Währenddessen versuchte ich zu erkennen, wie viele Herzen um uns herum schlugen.

Eindeutig zu viele. Es waren zu viele auf einen Fleck, ich konnte nicht alle gleichzeitig ausschalten.
»Ich weiß genug«, erwiderte er und versuchte sich aus der Lähmung zu befreien. »Nett.«
Ich könnte die vorne stehenden Wölfe ausknocken und mich dann um die hinteren kümmern. Dann wäre aber die Gefahr zu groß, dass die Rogues sich auf uns stürtzten. Liam könnte ein paar über nehmen, aber nicht alle. Sie waren schnell, zu schnell.

»Du hast mir grade auch eine Sache bestätigt «, fuhr Andrew fort. Seine Versuche, sich aus meinem mentalen Griff zu befreien, hatte er aufgegeben, als er merkte, dass es ihm nichts brachte. »Du fühlst so viel. Alles um dich herum, jede Gefühle von jedem. Und dann auch noch deine. Du warst schon immer so gefühlsduselig. So einfühlsam und zerbrechlich. Aber du kommst damit klar, kannst deine Gefühle beiseite schieben. Solange es nicht um deine Familie geht. Um die, die du liebst.«

Worauf wollte er hinaus? Was zur Mondgöttin hatte er vor?
»Dein Schmerz, Dakota. Du fühlst nur wahren Schmerz, wenn dir etwas genommen wird. Ich dachte Daniel sei unser glücklicher Auserwählter. Nur war es anscheinend nicht genug Schmerz.«
In mir breitete sich pure Angst aus. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, konnte ihm nicht folgen.

»Dein Schmerz wird unser Schmerz sein. Alles wird sich ändern, keine Rangordnung und Hierarchie mehr.«

Ich öffnete meinen Mund, wollte etwas sagen. Doch eine plötzliche Leere ließ mich erstarren.
Mein Herz hörte für einige Momente auf zu schlagen, meine Beine gaben unter mir nach.

Ich stolperte zurück, drehte mich und versuchte ihn zu finden. Das Leuchten war schwach, beinahe erloschen. Als ich schwach neben ihm auf die Knie fiel, hatte ich alles andere schon längst vergessen. Andrew konnte sich wieder bewegen, die Rogues gröhlten vor Freude.

Doch ich hörte es nicht.
»Ich .... Nein, nein.«
Meine Atmung ging zu schnell, meine Hände suchten die Verletzung. Tränen liefen über mein Gesicht und tropften auf seine durchnässte Brust.

Sein Herz schlug so gut wie gar nicht mehr, sein Leuchten war nun nur noch ein schwaches Flackern.
Ich konnte es fühlen. Konnte fühlen, wie ich innerlich zerbrach. Alles zersprang und zerstörte das nächstliegende gleich noch einmal.

Meine Hände lagen auf seiner Brust, waren durchtränkt von seinem Blut. Sie brannten, leuchteten und doch änderte sich nichts an seiner Verfassung.
»Bitte. Bitte nicht. Liam. Oh Mondgöttin, Liam bitte«, flehte ich schluchzend. »Du wirst wieder. Ich krieg das wieder hin. Ich .... Oh Mondgöttin bitte. Bitte lass ihn mir, bitte.«

Ich konnte es spüren.
Ich spürte es, als seine Kraft verschwand. Als das Leuchten erlosch und ich eine kalte Leere in meinem Inneren spürte.

Alles stand für einen Moment still. Mein Herz schlug langsam, kaum noch spürbar. Und dann realisierte ich es. Sie hatten ihn mir genommen, ihn getötet und mich gebrochen.

Als die Trauer mich über kam und ich nach vorne fiel, meine Stirn auf meine Hände auf seiner Brust legte, breitete sich etwas aus.

Es fühlte sich an wie damals bei Daniel. Ein Druck auf meiner Brust, der immer weitet wuchs und dann explodierte. Und dann war da nichts.

Blind SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt