⑥Set her free

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»Wir müssen dafür sorgen, dass sie keine Chance haben, noch einmal auf unser Territorium zu gelangen.«
»Ich finde, wir sollten einen Trupp los schicken, um ihr Lager zu finden. Sie müssen sich hier in der Nähe aufhalten, davon bin ich überzeugt. Wenn wir sie finden, können wir sie an der Wurzel zerstören und ihnen somit Einhalt gebieten.«
»Aber das wird sie nicht aufhalten. Wenn wir das so machen, können wir nicht sagen, ob dort alle Rogues sind. Es können sich auch welche rumtreiben und wenn sie sehen, was wir getan haben, dann werden sie rot sehen.«
»Das können wir doch zu unserem Vorteil nutzen. Sie werden von ihren Gefühlen blind sein, nicht nach rechts und links schauen und sich in eine Falle begeben. Wir werden bereit sein und wenn wir das schaffen, haben wir kein Problem mehr mit ihnen.«
»Das ist zu einfach«, unterbrach ich die beiden leise. Sofort lagen ihre Augen auf mir und Stille senkte sich auf unsere Ohren.

»Wie meinst du das?«
»Denkt ihr nicht, sie warten auf solch einen Angriff? Sie haben drei Rudel ausgelöscht und sind spurlos verschwunden. Sie sind nicht dumm, sie handeln nicht übereilt. Rogues kümmern sich nicht um ihren Gegenüber, sie denken nur an ihr eigenes Wohlbefinden. Sie werden sich einen Plan zurecht legen und überlegt zurückschlagen.«

Mein Herz klopfte wild, als ich wieder verstummte. Ich hatte nie gedacht, dass ich ein derartiges Wissen über die Ausgestoßenen verfügte, geschweige denn in Gegenwart anderer Wölfe in solch einer Weise sprechen würde.
Ich hatte mich verändert und ich konnte nicht sagen, wann dies geschehen ist. Es fühlte sich an wie Jahre, seit ich meine alte Hülle abgelegt und mich geöffnet hatte. Ob meine Veränderung gut war, wusste ich nicht. Aber ich wusste, dass die alte Dakota niemals mit zurück gebundenen Haaren vor zwei männlichen Wölfen gesessen und bei einer Strategie gegen die Rogues zur Seite gestanden hätte.

»Dakota hat recht«, meinte Michael nach einiger Zeit und stieß die Luft aus. »Was sollen wir machen? Abwarten und Däumchen drehen?«
»Nein, es muss eine Möglichkeit geben, die wir noch nicht sehen.«
Stille kehrte ein.
Weder Michael noch Liam gaben einen Ton von sich, als ich Aufstand und um mich tastete. Als ich den Raum betreten hatte, war mir klar gewesen, dass es Liams Büro sein musste. Der Geruch von Papieren und altem Leder lag in der Luft und eine schwache Note seines Geruchs spielte um meine Nase.

»Ich denke manchmal, dass es besser gewesen wäre, wenn ich nicht leben würde«, begann ich und spürte sofort die Spannung um mich herum, die von Liam ausging.
»Was redest du da?«
»Lass mich bitte ausreden, bevor du dich aufregst.«
»Nein! Egal was du sagen willst, ich denke nicht, dass es etwas gutes ist. Also nein, vergiss es.«
Ich stoppte in meiner Bewegung und seufzte leise. Meine Finger schlossen sich um den gesuchten Gegenstand und zogen es in ihre Fänge.

»Es ist Tage her, dass uns Caitlyn ihre Taten offenbart hat und es ist keine Sekunde vergangen, in der ich nicht über ihre Worte nachgedacht habe. Es fühlt sich an, als hätte mir jemand ein Stück meines Herzens genommen, wenn ich daran denke, aber was ist schon dieser Schmerz verglichen mit dem, was sie fühlt?«
Ich wusste, ihre Aufmerksamkeit würde verfliegen, sobald ich  meinen eigentlichen Gedanken aussprach.

»Ich fühle eure Gefühle, ihr Schmerz verflechtet sich mit meinem und scheint nicht enden zu wollen. Und während wir hier reden, weiß ich ganz genau, dass sie weint und sich schuldig fühlt. Aber dieses Gefühl verschwindet genauso schnell wie es gekommen ist. Ich bitte euch - dich Liam, sie trotzdem frei zulassen.«
»Was redest du da?«, fragte Liam entsetzt. »Sie hat dich den Rogues ausgeliefert und in Kauf genommen, dass du dabei sterben könntest. Du hättest sterben können und das wäre ihre Schuld gewesen. Wie kannst du also von mir verlangen, sie einfach so davonkommen zu lassen?«

»Sie ist deine Schwester und um nichts auf der Welt würdest du deiner Familie etwas antun. Du-«
»Du bist mir wichtiger als alles andere! Ich würde in die Hölle steigen, damit du sicher bist. Und Caitlyn hat jegliche Liebe, die ich zu ihr empfand, zerstört.«
»Bitte Liam, lass sie gehen.«
»Ne-«

»Was hat das mit den Rogues zu tun?«
Liam knurrte Michael an, doch sein Beta schien das wenig zu interessieren.
»Sie wird ihre Meinung mir gegenüber nicht ändern, dafür empfindet sie zu viel Hass und Schmerz. Aber wenn wir sie in dem Glauben lassen, wir würden ihre Worte und Taten auf ihren Gefühlszustand schieben, wird sie wieder versuchen mich loszuwerden. Ob sie den Rogues abermals vertrauen wird, diese Aufgabe zu erfüllen, weiß ich nicht. Aber die Möglichkeit besteht und dann müssen wir uns darauf gefasst machen. Wenn sie mich das nächste Mal haben, und davon ausgehen, dass ihr nicht wisst, wo ich mich befinde, werden sie versuchen den Worten der Prophezeiung Folge zuleisten.«

»Schlägst du wirklich vor, dass wir dich als Köter benutzen sollen?« Michael klang so ungläubig, wie Liam sich fühlte.
Ich holte tief Luft und nickte langsam.
»Wenn ich von alleine hingehe, werden sie merken, dass etwas nicht stimmt.«

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich das einfach machen lasse? Du musst verrückt sein, wenn du denkst, ich lasse Caitlyn hier fröhlich umher laufen. Dad und ich haben das schon besprochen und eine Entscheidung getroffen.«
»Ich habe gehofft, du würdest dich nicht allzu quer stellen«, sagte ich und hob meine Hand. »Du bedeutest mir viel, auch wenn ich nicht wirklich verstehen kann, wie das alles passiert ist-«
»Liebe ist ein ungeklärtes Phänomen«, warf Michael leise ein.
»-weswegen mir das jetzt leid tut; wenn du es nicht machst, werde ich es machen.« Langsam hob ich meine Finger, bis ich mir sicher war, dass sie den Gegenstand sehen konnten.

»Entweder du benutzt ihn oder ich, aber ich kann mir gut vorstellen, dass Cat die Gelegenheit mit mir alleine liebend gern nutzen wird.«
Ich bekam mit, wie er aufsprang und nach meiner Hand greifen wollte, doch ich ließ ihn mitten in der Bewegung inne halten. Es kostete mich einiges an Kraft, in an Ort und stelle zu behalten und mit jeder Sekunde bröckelte sie.

»Es sind genug Leute meinetwegen gestorben, das hört jetzt auf. Wir geben Caitlyn die Chance, mich ihnen auszuliefern und dann werden wir entweder mit oder ohne mich als Sieger hervor gehen. Aber es soll niemand mehr sterben. «
»Nein«, knurrte er lediglich. Langsam konnte er sich wieder bewegen und ich schluckte schwer.

»Ich habe dich nicht um Erlaubnis gebeten. Es ist mein Leben, meine Entscheidung und ich möchte, dass ihr alle sicher seid. Ich möchte kein Blut mehr wegen mir fließen lassen und das musst du akzeptieren.«
»Du gehörst mir, ich-«
»Ich gehöre niemanden«, unterbrach ich ihn und spürte Tränen aus meinen Augen fließen. Jedes Wort schmerzte, da ich ihn mit jedem Wort verletzte. Aber es war der einzige Weg.

»Bitte Liam, mach es.«
Wieder knurrte er.
»Ey Liam jetzt beruhigend dich mal, sie hat recht. Es ist die beste Lösung.«
»Michael, ich bring dich eigenhändig um.«
»Alter, du bist echt dumm. Ich verstehe dich ja, aber mal ganz ehrlich, Dakota kann sich auch selbst verteidigen. Ich habe gesehen, was sie mit den Rogues gemacht hat, die waren alle tot und niemand hat sie angerührt. Sie hat ihr Herz angehalten und da denkst du, sie wäre ihnen schutzlos ausgeliefert? Sie-«
»Michael!«
»-hat recht. Auch wenn sie sich ihrer Kraft wahrscheinlich nicht bewusst ist, würde ich mich mit der Kleinen nicht anlegen.«

Der Schlüssel wurde aus meiner Hand gehoben.
»Ich bin dafür.«
In diesen Moment entriss Liam sich meiner Kraft und stolperte einen Schritt vor. Die Spannung in der Luft konnte man förmlich spüren, während er und Michael gedanklich miteinander redeten.
Ab und zu erklang ein Knurren, doch irgendwann hörte ich Schritte und die Tür wurde geräuschvoll aufgerissen.

Mein Gesicht war durchtränkt von Tränen und mein Herz schlug schmerzhaft. Aber ich könnte es nicht ertragen, wenn für mein Leben noch mehr sterben müssten.
Auch wenn dies bedeutete, dass ich Liam verlor.

Blind SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt