②②One Moment

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Wahrscheinlich waren schon einige Tage vergangen. Es war schlecht einzuschätzen, da keiner mehr zu mir kam. Nachdem ich wieder aufgewacht war, dachte ich, es würde jemand kommen und mich für mein Benehmen bestrafen. Doch es kam keiner.

Um genau zu sein, hatte es keine weitere Seele neben meiner in diesem kalten Raum gegeben. Ich wusste nicht, ob sie zu große Angst hatten oder Andrew befürchtete, die Rouges könnten sich an mir rächen.

Zu meinem Erstaunen hatten sie die Ketten abgemacht. Meine gereizte Haut brannte noch weiterhin, aber ich konnte sowohl meine Füße als auch meine Hände ohne Probleme bewegen. Anscheinend hatten sie endlich begriffen, dass ich eh nicht weglaufen konnte.

Die Zeit hatte ihren Sinn verloren. Ob es nun Tage, Wochen, Monate waren, in denen ich nicht bei Liam war - es machte keinen Unterschied. Ich war nicht bei ihm und jede Sekunde, die verstrich, schmerzte.

Wenn ich wach war verbrachte ich meine Zeit damit, an der Wand zu sitzen und über alles nachzudenken. Ich versuchte mich an etwas zu erinnern, nur an eine Sache, die mir verraten könnte, wie ich hierher gekommen war. Andrew hatte Caitlyn erwähnt. War unser Plan aufgegangen und sie hatte mich wieder verraten?

Oder war alles schief gelaufen und Liam wurde verletzt? Das RedLake Rudel? Die Ungewissheit machte mir zu schaffen. Alles erdrückte mich und doch war die Stille um mich beruhigend. Es war keine Seele da, niemand mit Schmerzen und doch fehlte es mir.

Manchmal versuchte ich vor dem Raum nach Wölfen zu suchen. Zu Anfang wollte ich sogar zählen, wie viele Rouges sich Andrew angeschlossen hatten, aber die Wände waren dick und niemand lief vorbei.

Mein Rücken schmerzte vom Stein, auf den ich immer einschlief. Es gab keine Matratze, kein Bett, keine Decken oder Kissen und ich war unendlich froh darüber, dass sich der Winter auflöste und dem angenehmen Frühling Platz machte. Wenn es auch noch kalt gewesen wäre, hätte ich es keine zwei Nächte durchgehalten.

Ich zog meine Knie an, damit ich meinen Kopf auf sie legen konnte. Leise konnte ich die Vögel zwitschern hören, während Stimmen vor der Tür lauter wurden. Ich machte mir nicht die Mühe, meinen Kopf wieder anzuheben, als die Tür aufging und zwei Leute in den Raum traten.

»Meinst du, sie schläft?«
Statt einer Antwort trat einer der beiden auf mich zu. »Wenn du vorhast, uns ebenso wie die anderen anzugreifen, solltest du es dir gleich aus dem Kopf schlagen. Falls du es doch versuchen möchtest, sollte dir klar sein, dass du keine Antworten auf deine Fragen von uns bekommst.«

Ich runzelte meine Stirn.
»Woher soll ich wissen, dass du mir die Wahrheit sagen wirst?«, fragte ich und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es schmerzte zu reden.
»Wenn du wissen willst, was mit Liam passiert ist und wie du hierher gekommen bist, solltest du mit uns zusammen agieren.«

Meine Fingernägel gruben sich in meine Haut. Ich wollte antworten, ich wollte die Wahrheit - aber zu welchem Preis?
»Ich verzichte. Ich werde nicht helfen, das Leben von Tausenden zu beenden.«

Noch immer blieb mein Kopf unten. Auch wen es eine unterwürfige Haltung war, wollte ich nicht, dass sie sahen, wie viel Schmerz es mir bereitet, meine Stimmbänder zu benutzen. Sie taten von all den Schreien und Weinen weh, waren wund und heilten dank des Silbers nicht. Es war genauso wie beim letzten Mal, nur war diesmal niemand hier, der das Silber aus meinem Körper holen konnte.

»Ich habe mir gedacht, dass du das sagen würdest.«
Schritte. Ein Knarzen. Stöhnen. Mein Herz machte einen Satz. Zu schnell für meine Muskeln hob ich meinen Kopf und ein unangenehmes Ziehen ging durch meinen Nacken. Ich hörte sein Herz schlagen, seinen hektischen Atem.

»Dakota.«
Es war, als würde mein Herz für einen Moment aufhören zu schlagen. Ich befürchtete, ich würde träumen. Dass dies alles nur ein Traum war und ich jeden Augenblick aufwachen würde. Doch ich wollte nicht. Ich wollte, dass es echt war.

Er versuchte zu mir zu kommen, seine ersten Schritte in meine Richtung konnte ich hören, bevor er aufgehalten wurde. Sein Körper landete auf den Boden und ich zuckte bei dem Geräusch zusammen. Ich konnte mich nicht bewegen, nichts sagen.

»Was ist dein scheiß Problem?«
Noch nie hatte ich ihn so reden gehört. Seine Stimme war, wie immer, wenn er sauer war, tief und leicht knurrig. Doch nie wurde er ausfällig, benutzte solche Wörter.
»Wenn du uns nicht hilft, wird er leiden. Und glaub mir, wenn ich sage, dass er das schon genug getan hat. Wie er hierher kam, ohne Unterstützung oder Hilfe. In Gedanken nur bei dir - wenn man es genau betrachtet, könnte man sagen, du bist an seiner jetzigen Situation schuld. Wenn du nicht wärst, wäre er nicht hier.«

»Nein!« Tränen brannten in meinen Augen. Seine Stimme war wie eine Wohltat. Sein Knurren machte mir schon lange keine Angst mehr, da ich genau wusste, er würde mir nie etwas antun. Es gab mir Sicherheit, Ruhe. »Das stimmt nicht.«

»Es ist wirklich erstaunlich, dass er nach all den Unterhaltungen, die ich mit ihm geführt habe, noch reden kann. Du musst wissen, Dakota, dass es manchmal etwas blutig wurde.«
Meine Atmung beschleunigte sich.

Langsam beugte ich mich nach vorne, tastete über den Boden und suchte nach ihm. Ich folgte den Klang seines Herzens, spürte seine Aura und fühlte die Tränen über meine Wangen laufen, als ich seine Hand berührte.

Ich konnte es nicht fassen und selbst als er mich zu sich zog und die Arme um mich legte, traute ich mich nicht, es als die Realität anzuerkennen. Meine Hände zitterten, mein Schluchzen erfüllte den Raum und ganz gleich, ob es nun Traum oder Realität war, verspürte ich reinste Freude und Glück.

»Ich habe Wochen gebraucht, um dich zu finden«, flüsterte er mir ins Ohr und drückte mich noch näher an sich. »Aber diese Zeit war einfach zu lang, es tut mir so leid, dass ich nicht schon früher da war.«
»Oh Mondgöttin, ich kann es nicht glauben. Du bist hier.«
»Natürlich bin ich das, wie könnte ich nicht bei dir sein. Ich hätte dich nicht aus den Augen lassen sollen.«

»Was-«
»So rührend das auch ist«, unterbrach Andrew mich. »Aber das geht zu weit.«
Liams Arme wurden von mir gerissen, ich fiel auf den Boden und spürte die Kälte des Raumes, die bis dato von mir gewichen war, wieder von mir Besitz ergreifen.

Liam wehrte sich, schrie und knurrte. Als ich mich aufgerichtet hatte, war er schon Meter von mir entfernt. Ich spürte die Wut in mir wachsen, meine Wut auf Andrew, und ich blähte meine Nasenflügel, während ich meine Zähne zusammen biss.

»Oh nein Dakota, das würde ich lassen. Sonst wird er dafür bezahlen.«
Ein Augenblick und mein Herz schmerzte noch mehr, als die gesamte Zeit davor. Ein Augenblick und ich dachte ehrlich darüber nach, Andrew alles dafür zu geben, dass er Liam frei ließ. In die Chance gab zu leben.

Blind SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt