Legenden und Fremde-Bengt

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Ich atmete tief durch, als ich aus dem Auto stieg und ließ meinen Blick über das vor mir stehende Gutshaus wandern. Der Kies knirschte unter meinen Schritten, als ich zum Hänger ging und Ly die Seitentür öffnete. Der schob auch sofort neugierig seine Nase raus um etwas von der noch unbekannte Lüneburgerluft zu schnuppern.

"Lass uns ihn erstmal in den Stall bringen, dann kümmern wir uns um den Rest!" beschloss Mama und ging zur Laderampe um sie runter zu lassen und die hintere Querstange zu öffnen. Ich band der weil innen Ly los und beugte mich unter der vorderen Querstange durch. Vorbildlich wie immer schritt mein Wallach die Rampe runter. Draußen angekommen, schien er erst etwas irritiert von dem Geräusch des Kieses unter seinen Hufen, aber realisiert zum Glück ohne Theater, dass das Geräusch vom Boden ausging und bei jeden Schritt ertönte.

Mit zügigen Schritten ging Mama voran. Wir ging einmal um das Haus herum und über einen Schmalen weg aus Steinplatten auf einen großen, wohl nachträglich modernisierten Stall mit einigen Paddockboxen zu. Zielsicher ging sie zu einer großen Flügeltür und schob den Riegel auf. Kaum war die Tür zur Seite geschoben, gab sie den Blick auf das Stall innere frei. Moderne Boxen mit einem passenden Hang ins traditionelle. Sie wies auf die letzte Box auf der rechten Seite und meinte "Die Box hat mein Pferdepfleger gestern extra für ihn eingestreut."

Lysand hatte seine Box bezogen und ich holte auch meine Sachen aus dem Auto.

Ich schmiss meine Sachen gerade ins Gästezimmer, da schlugen unten in der Einfahrt Autotüren und ich sah neugierig aus dem Fenster. Eine Frau und ein Mann holten gerade einige Taschen und Koffer aus dem Kofferraum, des Range Rovers. Eindeutig ein Leihwagen. Mama ging beiden entgegen und begrüßte sie herzlich. Während sie mit den beiden zum Haus ging schrieb sie mir eine Nachricht. "Kommst du runter?". Ich wusste sofort, dass es Stress geben würde, wenn ich nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten die Treppe runter kommen würde.

Das was mich jedoch unten in der Eingangshalle erwartete erstaunte mich ziemlich. Sie war eindeutig Engländerin und bei ihm wurde es etwas schwieriger am Akzent zu erkennen, auf jeden Fall auch etwas britisches. Sie waren beide schon etwas älter, vielleicht so alt wie meine Großeltern.

"Cady? Wer ist das? Neue Reitbeteiligung?" fragte er Mama auf Deutsch mit breitem Englischen Akkzent. Mama schüttelte ernst den Kopf. "Für einen Pferdepfleger ist er, aber noch reichlich jung" Mama musste schlucken und schien zu überlegen wie sie es erklären soll. Sie holte tief Luft "He's my son!". Beide starrten sie einfach nur schockiert an. "Are you kidding me?" fragte er sie ernst mit einem bedrohlichen Unterton. "I am serious!" meinte sie schlicht. Er schüttelte umglaubig den Kopf "How...?". Die Frau guckte mich verwirrt an. "I'll explain it to you later" Mama presste die Lippen fest aufeinander. "Nicht später! Jetzt!" meint er. "Auf Deutsch oder auf Englisch?" fragte sie draufhin. "Auf Deutsch. Anna werde ich das vielleicht später erklären." sie nickte und holte Luft "Du erinnerst dich noch daran, als ich nachdem ich mich von Jo getrennt habe bei euch in Wales aufgetaucht bin?" Waliser also. Er nickte. "Naja wir haben uns nicht wirklich getrennt. Ich bin in einer Nacht und Nebelaktion abgehauen und habe ihn mit unseren Zwillingen alleine gelassen. Die beiden waren da gerade mal ein Jahr alt. Vor einem Jahr habe ich versucht zu den beiden Kontakt aufzunehmen. Was mir im Endeffekt zum Glück gelungen ist?" Mama schenkte mir ein Lächeln. Ich warf ihr aber nur einen misstrauischen Blick zu. Der Mann musste schmunzeln. "Lass mich raten er ist das Talent, das ich mir ansehen sollte" Mama nickte "Ja, nur leider gibt es da einen kleinen Harken an der Sache!" "Der wäre?" Er ließ seinen Blick über mich wandern, als könne er schon allein mit einem Blick erkennen ob ich etwas im Sattel draufhabe oder nicht. "Bengt hat einen Herzfehler, deswegen ist er auf seinem letzten Turnier im Gelände zusammengeklappt." Er seufzte und meinte "Cady, warum sind alle Gefallen um die du mich bittest so gut, wie unmöglich?" "Weil du die einzige Person bist die ich kenne, die das unmögliche möglich machen kann!" sie lächelte ihn an. "Let's give it a try!" murmelte er.

"Cray Rowlands" stellte er sich mir endlich vor. "Jahrelange Weltranglisten Nummer eins" murmelte ich. Der Waliser zog überrascht die Augenbrauen hoch "Das war eindeutig vor deiner Zeit." "Tja Legenden kennt man" er musste über diese Aussage schmunzeln. "Ich sehe dich gleich im Dressursattel" mit den Worten ging er an mir vorbei die Treppe hoch.

Tatsächlich drehten ich und mein Brauner gut eine Stunde später unsere Runden durch eine kleine Reithalle, die vielleicht geradeso für einen Springparcours gereicht hätte. Unruhig wanderte mein Blick zum Spiegel. Saß ich richtig? Ich hätte nie gedacht, dass sich eine Vielseitigkeitslegende für mich interessieren könnte. Ich wurde immer unruhiger und nervöser. Ich musste mich auch sofort wieder darauf konzentriere ruhig und kontrolliert zu Atmen. Ich hatte natürlich heute morgen meine Tabletten vergessen.

Mit kritischem Blick betrachtete er jede meiner Hilfen, sagte aber kein Wort bis Mama dazu kam. Er nickte mir zu und signalisiere mir, dass ich abreiten konnte bevor er zu Mama an die Bande ging. "Er hat Talent, zumindest was die Dressur angeht. Das Pferd ist gut! Wer hat es ausgesucht?" Mama zuckte mit den Schultern. "Papa hat ihn irgendwann angeschleppt. Er hatte ihn bei einem ehemaligen Teamkollegen, der jetzt züchtet gefunden. Ich weiß nicht warum, aber er hat in Lysande irgendetwas gesehen, dass ihn an mich erinnerte. Seitdem sind wir ein Team" erklärte ich. Cray sah verwundert zu Mama "Ich wusste gar nicht, dass Jo so ein gutes Auge für Pferde hat" Mama nickte "Ja. So etwas wie Fehlkäufe gibt es bei ihm nur sehr selten."  "Nicht schlecht, aber er ist ja auch kein schlechter Reiter." Er kannte Papa also auch.

Nachdem ich Ly wieder in seine Box gebracht hatte war ich zurück ins Haus gegangen. Dort saß Mama in der Küche auf der Arbeitsplatte vor dem Fenster und redete mit der Begleitung von Cray Rowlands. Die dunkelhaarige Frau lehnte an einer Küchenzeile mit einer Tasse Tee in der Hand. Bis jetzt hatte ich noch nicht so ganz verstanden woher Mama die beiden kannte und in welcher Beziehung sie zueinander standen. Mama schenkte mir ein lächeln, während die Frau mich musterte, dann sah sie Mama an.

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