Alltag

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„Ich bin Zuhause.“ Cian warf die Tür hinter sich ins Schloss und stellte seine Schuhe zur Seite. Sockig trat er in die Küche, wo das Mittagessen auf Herd köchelte. Allerdings war Tefiti nicht dort, was den Fünfzehnjährigen wunderte.

„Tefiti?“ „Ich bin im Bad.“ Die Stimme der Älteren beruhigte ihn und er atmete auf. Was er ohne seine Beschützerinstinkt machen würde, wusste er nicht. Aber er wusste, dass sein Leben ganz sicher nicht so verlaufen wäre, wie es war, hätte sie ihn damals nicht aus ihrem Geburtsrudel wegbracht.

Er ging an den Schrank und deckte den Tisch. Die Ältere trat leise wie immer in die Küche, stellte das Essen auf den Tisch und setzte sich Cian gegenüber. Sie teilte Essen auf die beiden Teller aus, beide neigten kurz den Kopf uns begannen dann still zu essen.

„Wie war es in der Schule?“ Die aufmerksamen Augen richteten sich auf den Jüngeren, der nun aufsah. Die braunen bohren sich on die grauen und keiner von beiden schreckten davor zurück. In einer normalen Situation würde er sich das niemals trauen.

Wäre er in einem Rudel aufgewachsen, so hätte er als Omega wirklich Angst davor haben müssen jemandem auch nur kurz in die Augen zu sehen. Das wäre als Herausforderung empfunden worden, in einem Kampf geendet und alle Resultat draußen hätte es schwere Verletzungen, vielleicht auch den Tod gegeben.

Aber sie beiden lebten in einer Stadt, ohne Rudel, und wer immer etwas versuchte bekam es mit Tefiti zu tun. Die war im Gegensatz zu Cian kein Omega und hatte deshalb in einem Kampf höhere Chancen. Sie konnte sie beide gut verteidigen, zumal eh niemand Cian in seinem Rudel haben wollte.

„Sie spüren was. Langsam wird das Mobben schlimmer.“ Tefiti senkte traurig den Kopf. Sie wollte Cian beschützen, doch sie konnte es nicht. Würde sie es versuchen, würde es für ihn noch schlimmer werden.

„Fiti. Ich… du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Du tust doch eh schon alles für mich. Du hast mich in Sicherheit gebracht und mich mit mehr Liebe aufgezogen als meine eigene Familie es hätte. Ich kann das schon ertragen. So schlimm ist es nicht.“

Cian versuchte überhaupt nicht seine Adoptivmutter zu belügen. Sie kannte ihn dafür viel zu gut, konnte aus den kleinsten Zeichen herauslesen, ob er log oder nicht. Sie bestrafte ihn zwar nicht hart,  aber das Wissen Sie enttäuscht zu haben war Strafe genug.

„Und sonst etwas?“ „Nein. Sonst war alles wie immer. Die ganzen Sachen, die unterrichtet werden, sind unnütz und falsch.“ Tefiti seufzte. Sie wusste dies, der Jüngere hatte sich bei ihr schon öfter über den Schulstoff beschwert. Er war falsch, komplett falsch, aber es war wichtig, dass Cian sie nicht verriet.

„Ich habe es dir schon so oft gesagt. Solange sie daran glauben, dass sie mit ihrem Wissen Werwölfe aufspüren und töten können, solange sind wir in Sicherheit. Sag einfach nichts und lerne diesen Quatsch.“ Cian schnaubte, stand auf und räumte den Tisch ab.

„Ich weiß. Aber ich fühle mich damit einfach nicht wohl. Sie… es… ich fühle mich dann immer so schwach. Ich bin es ja irgendwie auch, aber… das ist doch alles Mist. Als wären wir diese Instinktgesteuerten Kreaturen, von denen alle glauben, dass wir sie wären. Dann hätten sie uns schon lange ausgerottet.“

„Ich fühle mich mit diesem Wissen ja auch nicht wohl, aber nur deshalb konnten wir überhaupt fliehen und uns solange verbergen. Andernfalls wären wir ohne den Schutz des Rudels drauf gegangen.“ Cian nickte nur. Er wusste es, wusste auch, dass es im Rudel ganz anders für sie gelaufen  wäre. Aber er mochte es trotzdem nicht.

Das bekam auch seine Adoptivmutter mit, die nun ebenfalls aufstand und ihn umarmte. Worte waren nun keine nötig, denn er fühlte die Liebe und Wärme, die sie ihm geben wollte. Er legte seine Hand auf ihre Arme, die um seine Schultern geschlungen waren.

Einen Moment standen sie still und eng beieinander in der Küche. Nach allem waren sie doch einsam, denn die Instinkte in ihnen schrien nach einem Rudel. Sie beiden wussten, dass war nicht so einfach. Man blieb normalerweise in dem Rudel, in das man geboren wurde und ging nur, wenn der Gefährte in einem anderen war. Sie waren aber weggelaufen.

„Ich gehe meine Hausaufgaben machen.“ Cian löste sich von Tefiti, die begann den Abwasch zu machen, und ging in sein Zimmer. Der grüne, weiche Teppich bedeckte den gesamten Boden und erinnerte an Gras. Anstelle eines Bettes hatte er nur eine riesige Matratze mit einem braunen Bezug und Unmengen an braunen Kissen, die darauf lagen.

Die zwei Regale waren aus Treibholz, auf der Tapete war Wald abgebildet und die Decke war dunkelblau mit winzigen Punkten, die den Nachthimmel draußen wiedergeben. Es war die Konstellation, die während seinem Geburtstag über der Stadt zu sehen war. Hier fühlte er sich wohl, denn es erinnerte ihn an den Wald.

Bäuchlinks ließ er sich auf die Matratze fallen und zog ein Kissen an seine Brust. Er wollte ein Rudel, fühlte den heftigen Drang nach einem, so stark, dass es ihn innerlich fast zerriss.

Als Omega konnte er sich selbst kaum verteidigen und musste auf den Schutz seines Rudels vertrauen. Er vertraute Tefiti, würde ihr sein Leben anvertrauen und tat dies in einer Art ja auch, doch es war nicht genug. Sicher, er wusste was ihn in seinem Heimatrudel erwartet hätte und wusste, dass es schlimmer wäre als die Situation, aber er sehnte sich trotzdem nach dem Rudelleben.

Seine Hoffnung lag nun auf seinem Gefährten. Das auch dies eine zweiseitige Münze war, war ihm bewusst. Sein Gefährte würde ihn begehren, aber niemand konnte ihn dafür strafen, wie er ihn behandelte. Er könnte zwar ein Rudel bekommen, es könnte ihm aber passieren als Mädchen für alles und Boxsack zu dienen.

Er wusste das alles. Tefiti hatte es ihm immer uns immer wieder gesagt. Sie hatte ihn gelehrt alles zu hinterfragen und zu überdenken, bevor er eine Entscheidung traf.

Aber ein Rudel… er drehte sich zur Seite, sah die Wand an und vergrub die Nase in seinem Kissen. Eigentlich hatte dies mehr Nachteile als Vorteile, oder zumindest mehr Risiken. Trotzdem wollte er eines haben. Ob er dann jemals die Wärme der anderen Mitglieder fühlen würde, so wie Tefiti ihn immer ihre Wärme fühlen ließ, dass war fraglich.

Er schloss die Augen und schob die Gedanken von sich. Würde er wieder mir dem Thema anfangen, würde er Tefiti wieder Sorgen bereiten und das wollte er nicht. Somit drehte er sich und zog sein Buch aus seiner Tasche. Seiner Meinung stand zwar nur Mist darinnen und Tefiti hatte das bestätigt, aber er musste es ja lernen.

Heute ging es dabei um das Gefährtenband. Die Menschen wussten nur sehr wenig darüber und auch nur über das Band zwischen Mensch und Werwolf. Das war selten und endete meist tödlich, da der Mensch den Werwolf von sich stieß und tötete. Daher waren auch die Informationen in seinem Buch mehr als Lückenhaft.

„Das ist schon fast eine Komödie. Gefährten sterben sobald ihr Gefährte sie zurück stößt. Blödsinn. Immerhin kann man diesen ja noch umwerben und vielleicht umstimmen. Stimmt schon, irgendwann stirbt man, aber erst später.“

Er verdrehte die Augen, blätterte um und musste laut lachen. Das, was die Menschen nun behaupteten, war ein neuer Rekord an Dummheit. Tefiti schien sein Lachen gehört zu haben, denn sie steckte den Kopf in das Zimmer.

„Was ist so lustig, Kleiner? Lässt du mich mitlachen?“ Sie ließ sich neben ihn auf die Matratze fallen und sah ihn erwartungsvoll an. „Laut denen wird der menschliche Gefährte eines Werwolf auch ein Werwolf, wenn man das Tier nicht sofort tötet.“

Beide lachten, obwohl sie wussten, dass alle Werwölfe, die einen menschlichen Gefährten haben, für diesen ihren Wolf für immer wegsperren. Sie wollen mit diesem sein und tun alles dafür nötiges.

WolfsaugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt