Wolfsaugen

Tefitis Gründe

Leo klopfte vorsichtig an der Tür des Gästezimmers, in dem er am Vorabend Tefiti gebracht hatte. Er hatte das Gästezimmer eigentlich nie einbauen wollen und sobald er einen Welpen hatte, würde dieses Zimmer selbigem gehören. Für den Moment war er aber dankbar, dass dieses Zimmer zumindest mit einem Bett für Erwachsene ausgestattet war, so dass er Tefiti hier problemlos hatte unterbringen können.

„Komm rein." Die Stimme war leise und schwach, man hörte aber auch dass sie müde war. Sofort tat es ihm leid, dass er sie geweckt hatte, wo sie doch eh schon schwach war, doch er musste mit ihr reden. Er öffnete die Tür und sah die junge Frau im Bett liegen. Sie hatte sich auf dem linken Unterarm abgestützt und sah ihn an.

„Es klingt wohl komisch, wenn ich dir in deinem Haus einen Stuhl anbiete, aber ich denke das könnte länger dauern. Setz dich also lieber." Leo grinste und setzte sich tatsächlich auf den Stuhl, der mitten im Raum stand und nur verdeutlichte, dass der Raum sonst ungenutzt war. Tefiti schien sich daran nicht zu stören.

Sie setzte sich auf, wickelte sich in ihrer Decke ein und lehnte sich an die Wand. „Du hast Fragen." Leo zog eine Augenbraue hoch. „Du hättest mich nicht geweckt, wenn du nicht etwas von mir gewollt hättest. Und das einzige, was du von mir haben willst, können nur Antworten sein." Nun musste Leo erneut grinsen.

„Ich will dich tatsächlich etwas fragen. Es tut mir Leid, aber ich werde auf Antworten bestehen. Ich will Cian beschützen und dafür brauche ich die Antworten." Tefiti nickte. „Stell deine Fragen, ich werde sie dir beantworten." Sie machte es sich bequemer und sah den Alpha abwartend an. Der fühlte sich unter ihrem Blick unangenehm, aber er straffte die Schultern. Ein Alpha wurde sich nicht von einer Beta einschüchtern lassen, auch wenn sie deutlich älter war.

„In welchem Rudel seid ihr geboren? Welches Rudel jagt euch?" Tefiti seufzte. „Du fängst natürlich mit der Frage, die ich am liebsten nicht beantworten würde. Wir kommen aus dem DarkWood." Leo wusste nicht genau, was er mit dieser Information machen sollte.

Seine Gedanken rasten so schnell durch seinen Kopf, dass er sie kaum fassen konnte. Er kannte das Rudel, natürlich kannte er das Rudel. Er hatte es besucht, aber nie hatte er gedacht, dass es gerade das Rudel war. Es schien nach außen hin so normal, wie jedes andere Rudel auch. Klar der Alpha schien immer etwas abwesend, aber wenn er nach seiner Gefährtin gesucht hatte, dann war das kein Wunder.

Das Rudel war aber stark und das würde auf jeden Fall noch zu Problemen führen. Das wusste Leo schon jetzt und er nahm an, dass auch Tefiti das wusste. Es würde auf jeden Fall erklären, warum sie es vermieden hatte den Namen ihres ehemaligen Rudels zu nennen.

Tefiti sah dabei zu, wie Leo versuchte sich zu sammeln. Geduldig wartete sie, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er erneut Fragen stellen konnte. „Du bist weit gereist um Cian zu schützen." „Ich weiß. Du schützt Cian jetzt und du wirst merken, gegen Darcos Zorn anzukommen ist schwer." Darco war der aktuelle Alpha des Rudels, aus dem die Beiden geflohen waren, dass wussten sie beide.

Im nächsten Moment wurde Leo noch etwas anderes klar. Darco war Tefitis Gefährte. Vor dem starken Alpha war sie geflohen, ihn hatte sie abgelehnt um ihr Leben zu leben, ohne Gefährte, ohne Rudel. Sie hatte ihr Leben dem Schutz seines Gefährten verschrieben und hasste ihren eigenen aus einem Grund, den er noch nicht verstand.

„Darf ich dich ein paar Dinge über das Rudel fragen?" Tefiti nickte, auch wenn ihr Gesichtsausdruck unleserlich war, Leo aber vermutete, dass sie nicht begeistert war. „Darco ist jünger als du, nicht wahr?" „Ein paar Wochen, ja. Er dürfte lange gebraucht haben, bis er verstanden hat, wer seine Gefährtin ist. Ich hatte nie viel mit ihm zu tun und bin in der Nacht auf seinen Geburtstag verschwunden."

„Das dürfte sich für ihn nicht sonderlich toll angefühlt haben." Tefiti warf lachend den Kopf in den Nacken. „Mit Sicherheit nicht, aber das Arschloch hat es nicht anders verdient. Zudem er auch noch so rumprahlen musste, dass er ganz bestimmt die beste Gefährtin kriegt und das sie ihn ja auch bestimmt nicht warten ließ."

Nun ist es an Leo laut zu lachen. „Aber mit einem hatte er ja Recht. Die beste Gefährtin hätte er mit Sicherheit bekommen, wenn er dich eben bekommen hätte." „Du bist ein Charmeur." „Wieso? Weil ich die Wahrheit sage? Du bist stark, treu zu denen, zu denen du es sein willst, willensstark und beschützend gegenüber deinen Welpen und Anvertrauten. Was kann man mehr in einer Gefährtin wollen?"

Tefiti zog es vor darauf nicht zu antworten, sondern versteckte ihr Gesicht lieber hinter der Decke. Leo lachte daraufhin nur laut, auch als er ihre Verlegenheit roch. Das half der Älteren nicht wirklich dabei sich zu beruhigen, aber irgendwann steckte sie ihren Kopf doch wieder aus ihrem sicheren Kokon.

„Du kannst aufhören zu lachen, weißt du?" „Schon gut. Ich versuche es." Tefiti sah ihn einfach nur an und wartete bis der Jüngere sich wieder gefangen hatte. Das dauerte ein paar Momente, aber Tefiti hat damit nicht wirklich ein Problem, denn ihr Körper wurde schon wieder schwach. Sie hatte ja gewusst, dass ihr Körper schnell verfallen würde, aber dass es am Ende so schnell gehen würde, das überraschte selbst sie.

„Warum hasst du Darco so?" „Ich hasse ihn dafür, wie er mit Schwächeren und Jüngeren umgeht und noch dazu alle in seiner Umgebung dazu bringt da nicht nur zu akzeptieren, sondern selbst wie er zu handeln. Wer ein Kleinstkind als Boxsack verwendet, der wird niemandem gegenüber Verantwortung zeigen, die ich erwachsen und ausgereift nennen kann. So jemanden will ich nicht an meiner Seite und schon gar nicht in der Nähe meiner oder am liebsten gar keiner Welpen."

„Er hat ein Kind geschlagen?!" „Ja. Cian. Der zum ersten Mal gerade einmal ein paar Monate alt war. So jemand hat keine Verantwortung für ein Rudel zu tragen." Mit einem mal verstand Leo, warum Tefiti so entschieden hatte, wie sie es getan hatte. Sie hatte dem Mutterinstinkt in sich nachgegeben und dieser hatte ihren Gefährten absolut ausgeschlossen. Mit guten Gründen.

„Ich kann dich verstehen. Meine Mutter... wohl nicht." „Ich weiß. Es ist nicht einfach so etwas zu akzeptieren, dass wusste ich vom Moment meiner Entscheidung an. Aber sie muss es ja auch nicht lange aushalten. Mein Körper macht das alles nicht mehr sonderlich lange mit." Tefiti hielt sich eine Hand vor den Mund und zwischen ihren Fingern quoll Blut hervor.

Leo sprang auf und holte ihr ein Handtuch aus dem Bad. Er legte es vor ihre Hand, die sie langsam darunter hervor zog und das Tuch selbst auf dem Mund drückte. Der Blutfleck darauf wurde immer größer, aber noch hatte sie keine Angst. Sie spürte, dass ihr Tod noch nicht gekommen war. Der Anfall klang ab und sie hielt das Blutgetränkte Handtuch in der Hand.

„Ich gehe ins Bad." Die schwache Stimme passte zu der zitternden Figur, die sich nun langsam aus der Decke kämpfte und zur Tür wankte. „Glaubst du, das ist eine gute Idee ist? Du bist so schwach, nicht dass du uns noch im Ba zusammen brichst." „Werde ich nicht. Ich kann spüren, dass ich noch etwas Zeit habe. Ich werde schon nicht sterben."