Grundsätze

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„Hey." Tefiti, die in eine Decke gewickelt im Garten von Leos Haus saß, sah auf und ihrem Schützling in die Augen, der sie besorgt ansah. Wortlos setzte er sich zu ihr und nahm den leicht rostigen Geruch wahr, der eindeutig war. Blut. „Bist du verletzt?"

Tefiti seufzte und zog die Decke zurecht. „Ich werde sehr bald sterben, mein Kleiner. Ich bin krank, nicht verletzt." „Aber..." Tefiti streckte die Arme nach ihm aus und er schmiegte sie an sie, konnte den Blutgeruch nun wirklich stark wahrnehmen. Sie konnte es nicht leugnen und wollte es auch gar nicht, aber es tat ihr wirklich leid, ihm das anzutun.

„Ich wusste, dass es passieren würde. Ich hatte gehofft, dass ich noch ein wenig mehr Zeit mit dir hätte, aber mich hat es schneller eingeholt, als ich gehofft hatte." „Aber warum hast du dich dann nicht behandeln lassen? Wenn du es schon so lange weißt, dann hätte man dich doch sicher behandeln können." Cian konnte nicht glauben, dass sie so krank war. Werwölfe wurden nicht so einfach krank, also musste sie schwer krank sein.

„Weißt du, Cian. Darco ist mein Gefährte und" „Du hast ihn abgelehnt. Du hasst ihn." Stellte Cian fest und Tefiti registrierte zufrieden, dass er sie nicht zu verurteilen schien. Nur seine Meinung war ihr wichtig gewesen, das Rudel, bei dem sie nur Gast war, war dabei wirklich egal gewesen.

„Warum musst du so ein Arschloch als Gefährten haben? Das ist doch nicht fair. Du bist die Beste, die man sich wünschen kann, als Mutter, als Gefährtin, als Partnerin. Und dann kriegst du so ein Arschloch?! Das darf ja wohl nicht wahr sein." Regte sich Cian verbal auf, aber er bewegte sich kaum und genoss es, dass seine Adoptivmutter die Arme um ihn gelegt hatte.

Er spürte ihr Schwäche, die Arme drückten ihn kaum, sondern lagen eher locker um ihn und das zeigte ihm mehr als deutlich, dass er nicht mehr allzu viel Zeit mit Tefiti hatte. Auch wenn er es nicht wahr haben wollte, dass seine Mutter bald nicht mehr für ihn da sein würde, er wollte nun die restliche Zeit, die er noch hatte, genießen.

„Darf ich dich etwas fragen?" „Sicher, mein Kleiner." „Hat dein Gefährte dich dazu gebracht zu gehen?" „Ja. Ich wäre vermutlich geblieben, wenn ich einen besseren Gefährten gehabt hätte. Aber ich hätte dich trotzdem beschützt. Aber bei uns im Rudel hätte es nicht wirklich jemanden gegeben, den ich als Gefährten wirklich gut einschätzen würde."

„Du bist anspruchsvoll." Grinste ihr Schützling und auch sie grinste. „Bin ich vielleicht, aber jemand der Schwächere nicht beschützt, sondern sie auch noch heruntermacht, der ist niemand, den ich als Gefährte akzeptieren würde. Jemand, bei dem ich Angst um meine Welpen habe, will ich nicht, bei so jemandem könnte ich mich nie wohl fühlen."

Tefiti legte ihren Kopf an seinen und war zufrieden. Auch wenn sie diese Welt bald verlassen würde, vielleicht würde sie eine weitere Chance bekommen und zurückgeschickt. Ob sie diese Chance haben wollte wusste sie nicht, aber sie würde ja sehen, wie es sich entwickeln würde. Nur, sie wollte nicht zurück und denselben Gefährten, oder einen ähnlichen, bekommen. Da würde sie lieber ins Nichts eingehen.

„Du bist für diese Welt viel zu sehr auf deine Grundsätze konzentriert." Nanette trat zu den beiden in den Garten. Tefiti und Cian drehten sich zu ihr um und sahen sie an. Tefiti wollte in ihren Augen sehen, ob die Frau das Ernst meinte, oder ob sie da etwas falsch verstanden hatte.

„Ich bin wie ich bin. Ein Wolf hat seine Ehre zu haben, die kommt durch seine Grundsätze. Wer seine Grundsätze nicht wählt ist wie ein Blatt im Wind. Wer sie wählt, sie aber verrät, ist geächtet und dem Leben nicht würdig. Dann ist er ein Nichts, nicht einmal ein Blatt. Ein Wolf kommt auf diese Welt, weil die Mondgöttin es so will. Er führt sein Leben in eigenen Bahnen. Er stirbt und hat sich dann für seine Wahlen zu verantworten."

Sie hustete und sofort sprenkelten rote Tropfen den Rasen, während sie nach vorne kippte. Cian zog sie nach oben und rieb ihren Rücken, während sie weiter um Atem rang. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder ordentlich Luft bekam und zitternd sich wieder in eine sitzende Position kämpfte. Cian wickelte sie wieder in ihre Decke und zog sie in seine Arme, um sie zu wärmen.

„Du bist die Luna dieses Rudels, du solltest mehr Ehre haben als jeder andere hier. Gerade du solltest dies verstehe und dafür stehen. Deine Priorität sollte der Schutz deines Rudels sein, du solltest mich besser verstehen als jeder andere. Ich weiß nicht, ob tief in dir deine eigenen Grundsätze verankert sind, aber ich hoffe es. Nicht nur für dich, sondern vor allem für das Rudel."

Cian kannte sie nicht anders. Er wusste, wie sehr seine Adoptivmutter auf ihrer Ehre und ihren Grundsätzen bestand, aber er wusste auch, dass sie auch andere Grundsätze akzeptierte. Ein Wesen ohne Ehre, daher eines ohne Grundsätze dagegen, konnte sie einfach nicht respektieren. Er war dazu erzogen worden, daher dachte er ähnlich auch wenn seine Grundsätze nicht so steif waren wie ihre.

Vermutlich würde sich das auch nie wieder ändern. Ihre Grundsätze waren die Begründungen für alle ihre Handlungen und bisher hatte sie diese nie bereut. Solange dies der Fall war, würde sie ihre Grundsätze weder verraten, noch sie ändern. Aber ihr in den letzten Wochen ihres Lebens noch einzureden, dass ihre Grundsätze wären falsch, gefiel ihm gar nicht.

„Ein toter Wolf ist ein toter Wolf, ob mit Grundsätzen oder ohne." „Ein lebender Wolf ohne Ehre ist weniger Wert als ein toter Wolf mit Ehre." Es war sofort klar, dass Tefiti und Nanette diesen Streit niemals beenden würden. Die Ältere würde auch weiter versuchen Tefiti zu ihrem Gefährten zu treiben und diese würde es ablehnen.

Cian wusste es zu gut. Es gab niemanden auf der Welt, den Tefiti mehr hasste als Darco. Bei jedem anderen hätte Nanette eine winzige Chance gehabt den Streit zu gewinnen, aber nicht bei Darco. So lange er sich zurück erinnern konnte, hatte sie ihn immer gehasst. Auch in ihren Erzählungen aus ihrer Kindheit zeigten immer ihren Hass auf den Sohn des alten Alphas.

„Nanette, lass es bleiben. Sie wird ihren Gefährten nicht akzeptieren. Es gib niemanden auf der Welt, den sie mehr hasst. Eher würde sie sich selbst töten, als diesen Mann in ihre Nähe zu lassen." „Du hast also einen Todeswunsch." Damit drehte sich die ältere Frau um und rauschte aus dem Garten. Die beide zurück bleibenden sahen ihr ruhig nach.

„Ich denke nicht, dass sie und ich noch Freunde werden. Wir sind viel zu verschieden." Stellte Tefiti fest und sah dann einfach in den Himmel. Vielleicht, wenn sie mehr Zeit gehabt hätte, hätte sie sich vielleicht dazu entschlossen, zu versuchen eine Freundschaft aufzubauen, aber dafür hatte sie weder die Zeit noch die Lust. Sie wollte ihre letzten Tage genießen, sich nicht für eine Freundschaft abrackern, die sie eigentlich nicht wollte.

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