Konsequenzen

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In dem bereits leicht rötlichen Sonnenlicht vor dem Fenster reiße ich mir einzeln die kleinen Glassplitter aus der Hand, obwohl mich der Schmerz immer wieder aufs Neue deutlich nervt.
Nachdem ich meine Mission abgebrochen hatte, beschloss ich sogleich die Heimreise anzutreten und nun befinde ich mich wieder in meiner gewohnten Hütte.
Ich werde selbstverständlich nun an die Polizei verraten werden, das ist mir bewusst, von daher wollte ich meine letzten, freien Momente noch hier verbringen.
Entkommen fällt mir dank des Peilsenders ja sehr schwer, obwohl ich ihnen diesen Triumph kein Stück gönnen will, aber falls es wirklich stimmen sollte, dass sich dann noch so ein weiteres Ortungssystem in meinen Körper schießt, bin ich am Arsch.
Ich bin sowieso schon am Arsch.
Momentan kann ich keine Zukunft mehr für mich sehen.
Rein gar nichts.
Und ich alleine bin für mein Versagen verantwortlich.
Die einst verschwundene Wut lodert wieder in mir auf und lässt mein Blut schneller durch meine Adern fließen.
Wie konnte ich nur so etwas unüberlegtes tun?! 
Das war die dümmste Entscheidung meines Lebens!
Oder...?

"AHHH VERDAMMT!!!", schreie ich hasserfüllt und kratze immer wieder über meine verwundete Hand, in der sich noch einige Glassplitter befinden.

Ich-hasse-dieses-Leben!

Wütend atme ich aus, doch in der Wut schwingt mittlerweile etwas anderes mit.
Schmerz.
Dieser Schmerz lässt einen Teil meiner Beruhigung wieder kehren und bringt mich zu Sinnen.
Ok, wenn ich mir hier die Seele aus dem Leib schreie, bringt mich das auch nicht weiter.
Sie werden mein Haus stürmen, ganz klar.
Aber wenn ich jetzt anhaltend wütend bleibe, haben sie endgültig gewonnen.
Und genau das sollen sie nicht bekommen.
Niemals.
Ich wische noch einmal über meine Hand, ehe ich mich umdrehe und mich in meine Couch fallen lasse.
Ich werde meine letzte Zeit hier noch genießen.
Mein Blick fällt auf die kleinen Glassplitter, welche mit einigen Blutspuren am Boden verteilt sind.
Das Licht hat sich mittlerweile wieder etwas abgedunkelt, da die Sonne von weißen bis trüben Wolken verdeckt wird.
Eine Zeit lang verbringe ich still sitzend meine letzten, freien Momente auf der Couch und denke an rein gar nichts.
Die Minuten ziehen sich in die Ewigkeit und machen mich allmählich nervös.
Gleich müsste es so weit sein.
Gleich werde ich meiner Freiheit sowie auch meinem Leben beraubt.
Für immer.
Sachte ziehe ich mein Messer hervor und begutachte es ordentlich.
Schließlich werde ich dieses nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Aber ich werde es in Ehren halten.
So viele Menschen habe ich mit diesem kostbaren Metall schon getötet und es hat mich nie auf irgendeine Weise enttäuscht.
Nein, es hat mich jedes verdammte Mal ein faszinierendes Gefühl spüren lassen.
Nun werde ich dieses Gefühl nie wieder spüren können.

Mit wackeligen Beinen erhebe ich mich und will gerade mein Messer an der Wand aufhängen, als ich plötzlich vernehme, wie sie meine Tür einbrechen.
Ich höre viele Schritte und letztendlich sehe ich einen Haufen Polizisten, die schon längst bereit wären, mir ohne Reue eine Kugel einzujagen.
Schnell lasse ich mein wertvolles Messer wieder in meine Taschen fallen, doch da werde ich auch schon angeschrien.

"Keine Bewegung!", brüllt mich vermutlich der Chef an.

Ich halte in meiner Bewegung inne, hebe aber geschlagene Sekunden später zur Provokation meine Hände in die Höhe und beginne leicht zu grinsen.
Diesen Gefallen werde ich diesen Mistkerlen garantiert nicht tun.

"Na dann, weitet eures Amtes ihr Dreckskerle", murmele ich entspannt.

Sogleich stürmen zwei Polizisten auf mich zu, schubsen mich grob an die Wand und durchsuchen mich.
Verflucht, mein Messer!
Na super, jetzt haben die auch noch mein Heiligtum!
Ich hätte es vorher besser verstecken sollen!
Natürlich nehmen sie mir mein Messer weg und legen mir kurz darauf Handschellen an.
Widerwillig lasse ich mich aus meinen vier Wänden bis in das Polizeiauto zerren.
Die hätten mich so oder so irgendwann geschnappt, jetzt hat dies wenigstens einen Grund.
Einen Grund, über den ich mir noch im Unklaren bin, ob dieser richtig oder falsch war, um gleich mein ganzes Leben gezwungenermaßen umzustellen.
Früher hätte ich vermutlich mit aller Kraft versucht, gegen diese gesetzlichen Rächer anzukämpfen, doch heute wehre ich mich nicht.
Ich habe mich schließlich auch so entschieden.

Während die bekannte Landschaft an mir vorbei zieht, kommen Erinnerungen auf.
Die schlechten Zeiten, die für mich teilweise den Weltuntergang bedeuten konnten, aber auch die guten Zeiten, in denen ich leben konnte.
Meine Lebensgeschichte, die mit dem Blut vieler Menschen geschrieben ist.
Wie viel eine einzige Person nur anrichten kann....
Das ist wirklich unglaublich.
Doch ich bereue nichts.
Die Leute, welche behaupten, morden sei schrecklich, haben keine Ahnung.
Sie stellen sich nur die Seite des Opfers vor.
Wie schlimm es doch sein muss, so zu leiden, aber genau das ist es.
Denn diese Menschen kennen nur die eine Geschichte.
Nicht meine.
Morden gleicht einer unaufhaltsamen Sucht.
Das Gefühl wird nur befriedigt, wenn man das Blut anderer sieht.
Die menschlichste Seite wird einem verweigert und die, die sie trotzdem erkundet haben, werden bestraft oder gar als Monster bezeichnet.
Vermutlich sind sie das auch, aber diese Menschen haben wenigstens ihren unaufhaltsamen Durst gestillt.
Vielleicht lag es auch daran, dass ich sie nicht getötet habe.
Ich habe dieses Gefühl bereits zu oft gespürt und sie deshalb verschont.
Oder lag es etwa an einem ganz anderem Grund..?
Diese Frage wird mir wahrscheinlich bis in die Ewigkeit offen stehen...
Kurz darauf kommt mir aber noch eine Frage in den Sinn.
Welcher Zeit sollte ich das Antreffen mit Alicia überhaupt zuordnen?
Auch von unserer Zeit spiegeln sich Momente wieder, wie der, an dem ich auf sie gefallen bin. Der Moment, an dem ich sie zugedeckt habe.
Während ich diese Handlungen vollzogen habe, dachte ich mir nichts.
Ich hatte keinen Hintergedanken dabei, ich habe es einfach nur getan.
Doch automatisch schwingen nun auch die nicht so guten Erinnerungen mit.
Zum Beispiel als ich sie geschlagen habe....und sie mich mit diesem enttäuschten Blick angesehen hat.
Oder als ich ihr die Handschellen anlegte.
In ihren Blicken steckten einfach so viele unausgesprochene Gefühle.
So etwas habe ich noch bei keinem anderen zuvor erkennen können.
Aber......was mochte ich eigentlich so sehr an ihr?
Dass ich sogar mein Leben für sie auf's Spiel setzten würde?
Vorher hätte ich mir so etwas nicht einmal erträumen können!
Also weshalb dann gerade bei ihr?
Ich meine, sie war ja überhaupt nicht so verschieden mit manch anderen.
Besser gesagt der untere Durchschnitt.
Eine unscheinbare, junge Frau, die sich einfach nur durch ihr Leben zwängte.
Doch, eine Ausnahme existiert.
Sie betrachtet mich nicht als Monster.
Sie sieht noch immer einen Menschen in mir, wie jeder andere auch.
Naja, zumindest noch, bevor ich ich gesagt habe, ich hätte ihre Eltern umgebracht.
...Wollte ich das überhaupt?
Wollte ich ihr eine Lüge auftischen?
Eigentlich diente es nur zu meinem eigenen Schutz, nicht mehr.
Sie hat mich einfach auf eine spezielle Art und Weise geändert, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, außer zuzusehen.
Schon irgendwie seltsam...

Ich bemerke erst jetzt, wie das Auto an Tempo verliert und letztendlich vor dem Gefängnis parkt.
Die Fahrt verging für mich viel zu schnell.
Jedoch befinden sich vor dem Gefängnis unzählige Reporter und Kamerateams, welche bereits gespannt auf uns, besser gesagt auf mich, warten.
Wie können die denn so schnell von mir Wind bekommen haben?!
Naja, stimmt, ich weiß schlussendlich nicht, wie die Polizei an mich heran gekommen ist und mit welcher Information...

Als ich aus dem Auto herausgezogen werde, stellen sich sogleich vier Polizisten um mich, denn die Menschenmenge hat mich schon längst bemerkt und eilt auch inzwischen auf uns zu.
Ich kann dank der Polizisten diese ganzen Personen nur schwer erkennen, geschweige denn heraushören, was sie mir zurufen, doch eine Frau sticht mit ihrer grässlichen, hohen Stimme hervor.
Dazu kommt auch noch, dass sie übertrieben laut schreit.

"Sind Sie tatsächlich der sogenannte Jeff the Killer aus einer Creepypasta?!", brüllt die Frau aus allen Leibeskräften, sodass nun auch einige Reporter still werden und gespannt in meine Richtung blicken.

"Ja, und ich könnte es dir auch beweisen, wenn ich dir jetzt die Kehle..."

"Hey! Seien Sie wenigstens vor der Öffentlichkeit einmal still!", knurrt mir ein Polizist zu und erhascht dafür von mir einen Todesblick.

Dennoch höre ich ausnahmsweise mal auf einen dieser Vollidioten, einfach weil das sowieso meine Situation nicht besser machen würde.
Grob werde ich in das Gebäude hineingezogen und sofort in eine Zelle gesteckt.
Daraufhin setze ich mich auf das auch so unbequeme Bett und starre Löcher in die Luft.
Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee mich nicht zur Wehr zu setzen...

Heartbeat (Jeff the Killer Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt