Höflichkeit ist eine Fassade

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Sein plötzlicher, aggressiver Ton gegenüber mir überrascht mich inzwischen nicht mehr besonders.
Ich hatte es irgendwie schon kommen sehen, dass er mir eine Antwort auf diese Frage verweigern wird. Daher gebe ich mich geschlagen und nicke leicht mit dem Kopf.
Es bringt einfach nichts.
Doch trotzdem verletzt und enttäuscht es mich zugleich schon sehr, wie Jeff mit mir umgeht.
Und auf diese Weise möchte ich gerade auch nicht mehr weitermachen.
Ich muss hier weg.
Weg von ihm, das Gespräch für heute hat mir bereits genug zugesetzt.

"Ich geh' dann mal wieder...", murmele ich monoton und kehre ihm den Rücken zu.

Ich erwarte nun auch keine Antwort mehr von ihm. Schließlich hat er ja gerade diese einst der Lage entsprechend entspannte Situation in das genaue Gegenteil umgewandelt. Daher zögere ich keine weitere Sekunde mehr und verlasse schweigend das Gefängnis.
Auf dem Heimweg bereue ich es bereits wieder, ihn besucht zu haben.
Eigentlich sollte mich sein Schicksal überhaupt nicht mehr kümmern!
Eigentlich.... In diesem Fall ist es anders.
Ich fühle mich mit ihm verantwortlich. Völlig unerklärlich wieso, aber es fühlt sich so an, als ob ich ihn verraten hätte.
Dass es allein meine Schuld ist, dass er hinter Gittern sitzt.
Als ich Zuhause ankomme, vergeht die Zeit immer schneller, obwohl ich mir genau das Gegenteil gewünscht hätte.
Ich möchte einfach nicht den morgigen Tag erleben.
Ich habe Angst.
Wirkliche Angst vor diesem Tag.
Doch wie erwartet, stoppt die Zeit keine einzige Sekunde, was mir die Nacht zur Hölle macht.
Ich bekomme kaum ein Auge zu. Die Angst, etwas Schlimmes zu träumen, ist zu groß und risikoreich. Daher halte ich mich gezwungenermaßen wach.
In dieser Situation kann ich einfach nicht schlafen.
Und letztendlich ist es dann auch soweit.
Langsam erhellt sich der Himmel.
Der Morgen bricht an.
Mir ist voll und ganz bewusst, dass sich der heutige Tag für immer in mein Gedächtnis einnisten und eine schmerzhafte Erinnerung mit sich ziehen wird.
Womöglich wird es mir die ersten Tage nach diesem unmenschlichen Ereignis den Schlaf rauben und das Leben von Sekunde zu Sekunde langsam aus mir herausziehen.
Vielleicht schaffe ich es sogar nicht diesem ganzen Druck der Vorwürfe Stand zu halten.
Vielleicht, das werde ich erfahren müssen, ohne daran vorbei zu kommen.
Ich setze mich gänzlich übermüdet auf und starre die Wand gegenüber von mir an.
Ich hasse diesen Tag aus tiefstem Herzen und werde es auch für immer tun. Schließlich wird heute ein Mensch sterben, ohne dass ich es verhindern kann. Ich kann nur zusehen und schweigend betrachten, wie einem Menschen, der mir schon etwas bedeutet, langsam das Leben ausgesaugt wird.
Grausam.
Einfach nur grausam.
Und trotz meiner dutzenden Hemmungen und Ängsten komme ich und sehe es mir an.
Um seinetwillen.
Damit er eine Person im Auge haben kann, die versucht hat, ihm zu helfen.
Die versucht hat, ihn da herauszuholen.
Mir ist es nicht gelungen, aber ich habe es wenigstens mit aller Mühe probiert. Und genau deswegen werde ich Jeff auch bis zu seinem letzten Atemzug begleiten.
An diesem Morgen frühstücke ich nichts, wobei ich zu dieser Mahlzeit immer den meisten Hunger habe.
Heute ist alles anders.
Mein Appetit ist vollkommen verschwunden, doch damit ich keine Kreislaufprobleme bekomme, zwinge ich mich noch kurz einen kleinen Schluck Wasser und einen Vollkornkeks zu mir zu nehmen.
Meine Eltern habe ich an diesem Morgen weder gesehen noch gehört, worüber ich jedoch auch ganz froh bin.
Ich möchte sie einfach die nächsten Tage nicht mehr sehen.
Denn sie sind es.
Sie sind diese Menschen, die solch eine ekelhafte Tat befürworten und genau dieser Punkt lässt meine bittere Wut auf sie wachsen.
Das werde ich ihnen niemals verzeihen.
Mag sein, dass ich mit ihnen nach einigen Wochen wieder einen guten und netten Umgang haben werde, doch verzeihen werde ich ihnen das niemals.
Soviel steht fest.
Mein Outfit für den heutigen Tag habe ich mir bereits letzte Nacht schon herausgesucht, was ich selbstverständlich aus reinem Respekt und aus reiner Trauer in einem vollkommenen Schwarz halte. Immerhin wird das heute auch kein freudiger Tag werden.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass die Zeit definitiv gegen mich spielt.
Und gegen Jeff.
Es ist 10:59 Uhr.
Kurz darauf schlägt die Uhr im naheliegenden Kirchturm elf Mal.
Bald ist es soweit.
Bald werde ich zusehen müssen, wie ein Mensch stirbt.
Solch eine Situation ist einfach unvorstellbar.
Doch ich denke, ich werde ihn noch einmal besuchen.
Noch ein letztes Mal.
Und dann nie wieder...
Ich laufe mit einem aufgelösten Gefühl in den Flur, ziehe meinen rabenschwarzen Mantel und schwarze Stiefel an. Dann verlasse ich mein Zuhause und laufe mit schweren Schritten zum Gefängnis.
Jeder Schritt schadet mir.
Schadet meiner Seele.
Meinem Herzen.
Meinem Gewissen.
Das Gefängnis ist zu dem Ort geworden, den ich mittlerweile am Meisten fürchte.
Es ist einfach so unerträglich.
Zu unerträglich, aber ich muss das nun durchstehen.
Für Jeff.
Am Gefängnis angekommen, herrscht eine bedrückende Stille. Eine Stille, bei der man sich noch nicht einmal traut zu atmen. Man könnte es sicherlich gerade hören, wenn eine Nadel auf dem Boden aufkommen würde.
Langsam und mit zögernden Schritten betrete ich das Gebäude, in welchem bereits tausende von Menschen exekutiert wurden.
Mit einem beklemmenden Gefühl sehe ich mich um und alles wirkt auf einmal viel.....bedrohlicher, doch nun bemerkt mich auf einmal ein Polizist und kommt eiligen Schrittes auf mich zu.

"Miss, verzeihen Sie, aber die Besuchszeiten sind bis heute Nachmittag geschlossen. Ein Gefangener wird der Todesstrafe unterzogen"

Seine Worte ziehen mich augenblicklich tief nach unten und meine Augen beginnen unkontrolliert glasig zu werden. Dennoch versuche ich mich zusammenzureißen und mit entschlossener Miene zu antworten.

"I-Ich möchte aber mit diesem Gefangenen noch ein letztes Mal sprechen"

Mit solch einer Antwort hat der Polizist scheinbar nicht gerechnet und sieht mich für einen Moment lang stumm an.
Als ich seinem Blick jedoch standhalte, schaut er sich kurz leicht nervös sowie auch ein bisschen überfordert um.

"Nun gut. Sie bekommen noch einige Minuten mit ihm, aber beeilen Sie sich, es müssen noch einige Vorbereitungen getroffen werden. Sind Sie sich denn sicher, dass Sie den berüchtigten Massenmörder Jeff the Killer sehen möchten? Er ist schließlich.."

"Ja, ich weiß wer er ist und ich weiß auch, was er getan hat, trotzdem möchte ich noch einige bedeutende Worte hinterlassen, bevor er-...", abrupt breche ich meinen Satz ab, um nicht wieder Tränen in den Augen zu bekommen.

Ich will ihn jetzt einfach nur noch sehen, dabei kann sich der Polizist seinen Mund fusselig reden, aber sein fürsorgliches Gerede interessiert mich keines Weges, denn meine Entscheidung steht fest.
Er nickt mir wortlos zu und bittet mich ihm zu folgen, was ich auch tue.
Anscheinend wurde Jeff nochmal in eine andere Zelle verlegt, denn laut meiner Orientierung befand sich seine vorherige Zelle nicht vor einem verschlossenen, großen Raum...
Als der Polizist vor mir an Jeff seiner Zelle ankommt, ist er plötzlich ein völlig anderer Mensch.
Lächelnd holt der Polizist seinen Schlagstock hervor und lässt diesen über die Gitter der Zelle streichen, sodass diese unter dem Stock laut klirrende Geräusche von sich geben.
Ich zucke vor lauter Schreck leicht zusammen.
Zum Einen vor dem lauten Geräusch, zum Anderen vor dem Polizist, der seine höfliche Fassade scheinbar nun abgelegt hat.

"Aufwachen, Jeffrey. Hier ist noch ein letzter Besuch für dich", säuselt der Cop provokativ.

Mein Blick wandert von dem fragwürdigen Polizisten nun zu Jeff.
Er sitzt auf seinem heruntergekommenen Bett, sein Blick ist gesenkt und beruht auf dem dunkelgrauen Boden.
Selbst nach dem Verhalten des Polizisten rührt er noch immer keinen einzigen Muskel.
Man sieht nur, wie sich sein Oberkörper in einem gleichmäßigen Rhythmus immer wieder hebt und senkt. 

"Ich lasse euch zwei dann mal alleine. Reden Sie aber nicht zu lange mit ihm, denn viel Zeit um von Omas Tod zu erzählen, bleibt ihm nicht mehr übrig", grinst der Polizist zu mir, als Jeff mit seiner gebrochenen und rauen Stimme etwas sagt, wobei dem Polizisten das Lächeln sofort vergeht.

"Sei lieber vorsichtig mit deiner Wortwahl. Noch bin ich immer noch dazu in der Lage, dich umzubringen"

Augenblicklich wird der Polizist rasend vor Wut und nährt sich schnellen Schrittes der Zelle.
"Haben wir dir denn immer noch nicht genug Manieren beigebracht?! Denk daran, du bist so gut wie tot!"

Heartbeat (Jeff the Killer Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt