Enttäuschung

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Meine Erwartung, dass dieser Streit nun seinen Höhepunkt gehabt hat, verschwindet sofort, als ich eine erneute, starke Ohrfeige von meiner Mutter einstecken muss.
Wut und Trauer fallen mittlerweile gnadenlos über mich her, jedoch weiß ich nicht, welches Gefühl Vorrang haben soll.
Dazu kommt noch dieser fiese Schmerz, welcher meine Wange ununterbrochen durchflutet.
Es macht mich einfach nur verrückt, was momentan im Inneren in mir vorgeht, doch Äußerlich halte ich mich enorm zurück.
Wofür sollte denn dieser Schlag nun sein?!
Ich habe ihnen ja schließlich gesagt, wen ich nun verteidigen will!

"Schrei deine eigenen Eltern nicht so an!", brüllt nun meine Mutter in einem sehr aggressiven Ton.

Nun bin ich wirklich baff.
Für solch einen sinnlosen Grund werde ich geschlagen.
Anstatt es mir normal zu sagen, wird mir ohne Rücksicht auf die Wange geschlagen, sodass diese sicherlich längst schon rot angelaufen ist.
Meine eine Hand streift automatisch meine pochende Wange, jedoch liegt mein Blick dabei auf dem Boden.
Wenn ich jetzt ausrasten würde, kann ich meinen Plan gleich ins Wasser schmeißen.

"Er.......Ich habe den Vorfall von meinem Hotelzimmer aus genau beobachten können. Er hat gesehen, wie diese Bank gegenüber überfallen wurde und..."

"Du willst nun allen Ernstes einen Mörder schützen?! Der Gott weiß wie viele Menschen auf grausamste Art und Weise getötet hat!?!", schreit meine Mutter, doch nun schäume ich über vor Wut!

Irgendwann trifft es mich auch mal auf den Punkt, an dem ich mich einfach nicht mehr halten kann und alles auf einen Schlag aus mir herausplatzt!

"Ich sage nur die Wahrheit, nicht mehr! Kein einziger Mensch sollte jemals mit dem Tode bestraft werden! Diese Strafe ist einfach nur widerwärtig und abscheulich! Wie kann man denn nur für so etwas Unmenschliches sein und es dann sogar noch als gerecht bezeichnen?! Wer so denkt, ist einfach nur ekelhaft! Außerdem darf man doch überhaupt keine Zeugen umbringen, oder irre ich mich da etwa?!?"

Zornig ziehe ich die Luft ein und starre meinen Vater an, wartend auf eine Antwort.
Das musste jetzt einfach mal gesagt werden!

"Nein, es ist gesetzlich verboten, einen Zeugen zu töten, jedoch wissen wir ja auch nicht, ob du die Wahrheit sagst oder uns einfach nur dreckig ins Gesicht lügst!", zischt mein Vater streng.

"Verdammt, das sage ich! Bitte glaubt mir doch einfach!", schluchze ich, während Tränen meine Wangen hinunter rennen.

Meine Trauer kommt nun ans Licht...
Für einen Moment lang sagt niemand etwas.
Meine Eltern tauschen vielsagende Blicke aus und haben sich scheinbar wieder etwas beruhigt.
Jedoch legen sie nun ein ganz anderes Gefühl an den Tag.
Enttäuschung.
Bittere Enttäuschung.

"Ich kann dir so etwas einfach nicht glauben. Zudem sind wir auch wirklich sehr enttäuscht von dir, dass du dich mit solch kriminellen und primitiven Typen abgibst. Jetzt geh in dein Zimmer, ich will dich heute nicht mehr sehen", spricht mein Vater das Schlusswort und wendet seinen Blick von mir ab.

Erneuter Zorn steigt in mir empor und ich kann diesen gerade noch so zügeln, mit der Ausrede, alle Gefühle gleich freizulassen.
Ich schaue meiner Mutter und meinem Vater noch ein letztes Mal abgrundtief verachtend in die Augen, ehe ich kehrt mache und mit langsamen Schritten in die Richtung meines Zimmers stolziere.
Diesen Gefallen werde ich ihnen jetzt ganz sicher nicht tun, indem ich ihnen zeige, wie wütend ich bin!
Doch sobald ich meine Zimmertür verschlossen habe, trifft es mich mit einem Schlag.
Völlig fertig schmeiße ich mich auf mein Bett und schreie in mein Kissen.
Ich schreie so laut wie ich nur kann, schreie all die Wut, den Zorn und den Frust heraus, sodass mein Hals beginnt, gewaltig zu schmerzen.
Niemand kann mich trotz der lauten Schreie hören.
Niemand kann da sein, um mich zu trösten.
Niemand wird mir in dieser Situation helfen.
Niemand.
Kein einziger Mensch.
Ich muss mich da nun irgendwie alleine herausziehen.
Und auf einmal kommt sie.
Trauer fällt rücksichtslos über mich her.
Eine Menge Tränen lösen sich hintereinander von meinen Augen und werden sofort in das mittlerweile schon nasse Kissen eingesogen.
Klägliche Schluchzer entweichen meiner schmerzenden Kehle.
Und so geht es weiter.
Ich weine, schluchze und schreie bitterlich und verzweifelt in mein Kissen hinein.
Der Grund dafür?
Alles.
Diese ekelhafte Schwäche, die ich gerade zeige.
Diese widerwärtige Unglaubwürdigkeit, die bei jeder Notlüge für Jeff aus meinem Mund kommt.
Mein gesamtes Ich ekelt mich gerade unglaublich stark an.
Vor allem, weil ich versagt habe.
Ich habe Jeff verraten.
Habe bei nur eins, zwei Schlägen schon nachgegeben und mich meinen Eltern ergeben.
Das ist eine ziemlich schwache Leistung.
Eine viel zu Schwache.
Höre ich mich denn so ungläubig an?
Das ist schon enorm frustrierend.
Leicht hebe ich meinen Kopf von meinem Kissen an, wodurch mein Gesicht sofort von der kühlen Luft in meinem Zimmer umgeben wird.
Mit einer trüben Sicht wandert mein Blick langsam durch mein Zimmer und bleibt letztendlich an meinem Fenster hängen.
Hier hat alles begonnen.
Der Schmerz, die Entführung, die Geschichte.
Die Geschichte zwischen Jeff und mir.
Das ist nun kein einfaches Thema mehr, welches man einfach so verdrängen könnte.
Nein, dieses Thema ist mittlerweile zu meinem Leben geworden.
Ob gut oder schlecht, das ist vollkommen egal.
Es setzt sich fort, ohne dass ich es auch irgendwie stoppen kann.
Meine Augen wandern automatisch bis hin zu meinem Bett und ich lasse meine erste Begegnung mit Jeff noch einmal Revue passieren.
Was er sich wohl gedacht haben musste, als er mich das erste Mal gesehen hat?
Was wird er wohl inzwischen von mir denken?
Und plötzlich weiß ich, was ich nun zu tun habe.
Als ob es mir jemand zugerufen hätte und ich erst jetzt hingehört hätte.
Ich muss ihn sehen.
Ich muss mit ihm sprechen.
Ich muss wissen, wann er stirbt, denn mittlerweile wird diese Entscheidung nicht mehr von ihm bestimmt.
Was, wenn es schon morgen ist?!
Nein, so früh geht das überhaupt nicht.
Oder doch...???
Die folgenden Stunden zerbreche ich mir ununterbrochen den Kopf darüber, wie ich nach unserem jüngsten Gespräch mit ihm reden soll.
Wann er der Todesstrafe unterzogen wird oder gar ob ich ihn überhaupt besuchen sollte.
Jedoch steht meine Entscheidung am frühen Morgen am Tag darauf fest.
So fest, dass ich sie keinesfalls mehr ändern werde.
Meinen Wecker musste ich überhaupt nicht stellen, da ich die ganze Nacht über kein Auge zudrücken konnte, obwohl ich so unglaublich müde war und es immer noch bin.
Ich hab mich so leise wie nur möglich fertig gemacht, mein schreckliches Spiegelbild bestmöglich ignoriert und das Haus verlassen, ohne dass meine Eltern dadurch aufgewacht sind.
So glaube ich es zumindest.
Auch mit dem Gefängnis läuft alles wie geschmiert und ich werde glücklicherweise herein gelassen zu ihm.
Langsam nähere ich mich ihm, während mein Herz vollkommen durchdreht.
Man kann dieses Gefühl nicht gut beschreiben.
Es löst einfach eine riesige, negative Gefühlswelle aus, jemand Bedeutendes in solch einem Zustand hinter Gittern sehen zu müssen.
Jeff sitzt auf seinem Bett, seine Haare sind total zerzaust und sein gesamtes Gesicht ist mit schwer aussehenden Wunden versehen, während sein Kopf in Richtung des Betonbodens gerichtet ist.
Ein schreckliches Bild.
Einfach nur schrecklich.
Und trotzdem interessiert es keinen Menschen, ob er wenigstens auch nur ein bisschen versorgt wird!
Okay, falsch.
Mich interessiert es.
Jedoch bin ich vermutlich auch die Einzige und befinde mich erst Recht nicht in der Position, um Anforderungen zu stellen.
Ich seufze einmal und verschränke zögerlich meine beiden Arme ineinander.
Ich sollte aufhören, so viel über alles nachzudenken und meine Fragen endlich an ihn loswerden.
Scheinbar hat er mich erst jetzt bemerkt und hebt daher leicht den Kopf, während seine Augen mein Bild mustern.
Ich werde meine wichtigste Frage nun einfach kurz und möglichst schmerzlos stellen.

Heartbeat (Jeff the Killer Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt