Kapitel 23

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PoV David

Als ich das Gesicht des Arztes sah, griff ich nach Bens Hand und drückte sie fest. Die Angst war fast übermächtig und schnürrte mir die Kehle zu.
Der Arzt räusperte ich und klemmte die Akte unter seinen Arm.
"Nun, Mr. Parker. Es ist nie schön, schlechte Nachrichten zu überbringen. Gerade bei Ihnen und ihrer Mutter tut es mir leid, da ich sie schon so lange begleitet habe. Allerdings muss ich ihnen mitteilen, dass das heute keiner ihrer gewöhnlich Anfälle war. Der Krebs befällt die komplette Lunge, sodass sie nicht mehr arbeiten konnte. Die Lunge ihrer Mutter hat die Arbeit eingestellt, Mr. Parker. Wir beatmen sie zur Zeit künstlich, aber wie sie sicher wissen, ist das keine Dauerlösung. Tut mir sehr leid." Ich verzog das Gesicht und ließ den Kopf gegen Bens Schulter sinken. Das war es also. Meine Mutter hatte immer gesagt, wenn es so weit kam, wäre alles verloren.
Ben drückte meine Hand und strich über meine Haare. Aber das bekam ich kaum mit, mein Körper war wie betäubt.
"Sie sind volljährig und der letzte direkte Verwandten ihrer Mutter. Sie haben also die volle Entscheidungskraft, wann wir die Geräte abschalten sollen. Aber jetzt brauchen sie bestimmt erstmal einen Moment. Ich komme gleich wieder zu Ihnen." Sobald der Arzt aus der Tür war, fingen die Tränen an über meine Wangen zu laufen.
Ich war noch nicht mal zwanzig und hatte quasi schon beide Eltern verloren. Das wünschte ich niemanden.
"Brauchst du was?" flüsterte Ben und legte seine Stirn gegen meine. Stumm schüttelte ich den Kopf.
Ich wollte mich einfach nur zusammenkauern und nie wieder aufstehen. Am liebsten jetzt aufwachen und feststellen, dass das alles nur ein Traum war.
Oder das der Arzt wieder kam und sich in der Akte vertan hatte.
Aber nichts davon passierte.
Wieso auch?
"Kann ich sicher nichts für dich tun?" fragte Ben erneut und ich spürte, dass er leicht verzweifelt war. Wieder schüttelte ich nur den Kopf.
Ich wollte nicht sprechen. Außerdem spürte ich keinen Teil meines Körpers. Alles war leer.
Immer hatte ich diesen Tag gefürchtet und jetzt wo er da war, überkam mich nicht wie erwartet die Trauer. Sondern die Leere. Als hätte ich alles in meinem Leben verloren.
Wortlos stand ich auf und verließ das Wartezimmer. Ich hörte, wie Ben mir folgte, aber nichts sagte. Er ließ mich machen.
Im Zimmer meiner Mutter angekommen, stockte mir kurz der Atem. Sie war an alle möglichen Maschinen angeschlossen und in ihrem Mund hatte sie einen dicken Schlauch. Der der sie beatmete. Der der sie am Leben hielt.
Nur dieser eine einzige Schlauch hielt sie am Leben, es war schon fast lächerlich. Lächerlich wie anfällig das Leben war, wie schnell man dahinscheiden konnte.
Das regelmäßige Piepen war das einzige Geräusch im Raum. Das das Herz meiner Mutter noch schlug war beruhigend, wenn auch nicht sehr.
Eigentlich zeigte es nur, dass sie immer noch litt, noch immer nicht erlöst war.
Ich setzte mich auf einen Stuhl neben das Bett.
"Wusstest du, dass meine Mutter den Krebs erst vor mir verheimlicht hat?" fing ich leise an zu reden und meine Stimme klang rau. Ben sah mich mitleidig an.
"Wir hatten uns gestritten. Sie hatte gekündigt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass die fortan Arbeitsunfähig war und machte ihr Vorwürfe. Wieso sie so verantwortungslos war und mich immer nur arbeiten ließ. Wieso sie sich nie anstrengte und immer nur an sich selber dachte. Sie hat angefangen zu weinen und sich in ihrem Zimmer eingeschlossen." Ich versuchte zu lächeln, aber wahrscheinlich sah es aus wie eine Grimasse. Immer noch liefen ungehindert Tränen über mein Gesicht.
"Ich hörte sie den ganzen Abend weinen. Ich hatte mich noch nie so schlecht gefühlt. Am nächsten Tag war meine Mutter nicht zu Hause und ich hatte früher Schule aus. Ich durchsuchte ihren Schreibtisch in der Hoffnung etwas zu finden, was mit der Arbeit zu tun hatte. Stattdessen fand ich das Schreiben vom Krankenhaus. Eine Welt ist zusammen gebrochen. Ich weiß immer noch nicht, wieso sie es verheimlicht hat. Und werde es wohl nie erfahren." Ben wollte gerade etwas erwidern als der Arzt das Zimmer betrat.
"Kann ich irgendetwas für sie tun, Mr. Parker?" Kurz sah ich mich im Raum um.
"Kann ich eine Nacht hier bleiben?" fragte ich leise und der Arzt musterte mich zögerlich.
"Eigentlich geht das hier nicht. Aber ich denke, wenn man die Situation betrachtet, geht das in Ordnung. Ja, Sie können eine Nacht bleiben." Dankend nickte ich ihm zu. Dann sah ich zu Ben.
"Könntest du bei mir ein Paar Sachen für mich holen?" Sofort sprang Ben auf.
"Natürlich. Was brauchst du?" Ich dachte nicht lange nach.
"Nur ein paar Klamotten. Und ein Buch. Es liegt unter meiner Matratze. Und falls du Derek begegnest, ignoriere ihn einfach."

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