Kapitel 10 | Auf dem Höhenflug in die Hölle

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DARAUF BEDACHT, KEINEN TON von mir zu geben, tippelte ich über den Flur in die Richtung meines Zimmers. Obwohl ich nicht so viel wie Holden getrunken hatte, gestaltete sich das etwas schwieriger als gedacht. Ich lief gegen unseren Jackenständer und warf beinahe alles um. Nur mit Mühe hielt ich mein Gleichgewicht und meisterte es gleichzeitig, die High Heels in meinen Händen nicht fallen zu lassen.

Mit zusammengebissenen Zähnen schloss ich die Tür zu meinem Zimmer auf und entledigte mich meiner blonden Perücke. Erschöpft pfefferte ich sie unter das Bett. Vielleicht hätte ich es doch ruhiger angehen sollen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich jeden Moment übergeben könnte.

Angestrengt zog ich mir die viel zu enge Kleidung vom Leib und schlüpfte in meine lockere Pyjama-Hose und mein Lieblingsshirt, welches ein Bild aller Superhelden zierte, die ich liebte. Ich massierte mir die Schläfen und fuhr einmal durchs Haar. Fast hätte ich mich einfach in mein Bett fallen gelassen und wäre auf der Stelle eingepennt. Aber ich hatte etwas vergessen: Mich abzuschminken.

Genervt holte ich eine Packung Baby-Tücher hervor, die Mom letztens für Dads Experimente mit neuem Halloween-Make-up gekauft hatte. Wie schafften andere das? Sich jedes Mal abschminken? Diese Wimperntusche machte einen doch verrückt! Ich entfernte meine Kontaktlinsen, bevor ich mehrere Male über meine geschlossenen Augen rieb. Aber egal, wie oft ich das tat, immer blieben Reste noch hängen. Irgendwann brannten meine Augen so sehr, dass ich es aufgab.

Als ich endlich wieder vollständig Branwyn war, wollte ich mich in mein Bett fallen lassen und schlafen. Schließlich war es fast vier Uhr morgens und ich hatte morgen Schule. So weit kam ich aber nicht. Denn im nächsten Moment schwang die Tür auf und das Licht wurde angeknipst. Ich musste mehrmals blinzeln, was meine Augen noch mehr zum Brennen brachte.

»Na, mein Fräulein!« Meine Mutter stand mit verschränkten Armen in der Tür. »Glaubst du wirklich, ich merke nicht, wenn meine Tochter erst um vier wieder zu Hause ist? Und das zum zweiten Mal in der Woche?«

Oh, verdammt.

Wie konnte ich auch nur einen Moment annehmen, dass meiner Mutter entging, wie ich mich nachts heimlich in die Wohnung schlich? Sie hatte ihre Augen überall! Wie ein Adler! Ein großer, Angst einflößender Adler!

»Ich war bei Arian!«, log ich schnell.

Meine Mutter zog die Augenbrauen zusammen und kam einen Schritt auf mich zu. »Das glaube ich dir nicht.«

Daran, dass sie die Nase merkwürdig rümpfte, merkte ich, dass sie den Alkohol klar und deutlich riechen musste. Oh mann, ich hätte mich echt einer Deo-Dusche unterziehen müssen. Nicht einmal an Kaugummi hatte ich gedacht! Wie war das noch einmal mit Alkohol? Richtig, er machte einen dumm.

Plötzlich war meine Mutter direkt bei mir und umfasste mein Gesicht. »Branwyn, was hast du genommen?«, fragte sie mich erschrocken und musterte mich genauestens. »Deine Augen sind ganz rot!«

Ich weitete die Augen. Dann war meiner Mutter die Sache mit meiner Doppelidentität zwar entgangen, aber wahrscheinlich dachte sie jetzt viel Schlimmeres. Der Gedanke, dass ich Make-up benutzt haben könnte, erschien ihr wahrscheinlich so absurd, dass sie ihn nicht einmal in Erwägung zog.

Sofort schüttelte ich ihre Hände ab. »Nichts, Mom!«, beteuerte ich. »Was sollte ich schon genommen haben?« Lieber stritt ich es ab, als dass sie herausfand, dass ich mich für jemanden anderen ausgab.

Meine Mutter musterte mich skeptisch. Doch die Skepsis verwandelte sich in Sekundenschnelle in Wut. »Wofür auch immer du dich dieses und das letzte Mal rausgeschlichen hast, ich will dich nicht noch einmal erwischen!« Ihre Stimme bebte. Energisch schwang sie die Arme in die Luft. »Du hast morgen Hausarrest. Nach der Schule geht es sofort nach Hause!«

Fooling the Bad BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt