Kapitel IX - Gebrochene Versprechen

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Der Schmerz saß tief in meinem Inneren. Ich konnte, wollte es nicht wahrhaben. Es war alles nur ein böser Traum, ja. Das wird es sein. Ich war doch erst siebzehn, meine Eltern würden mich nie alleine lassen. Ich brauchte sie doch, welche Eltern würden denn ihr Kind alleine in dieser großen weiten Welt lassen? Ich bereute jeden einzelnen Streit, jedes Wort, dass ich je genannt hatte, was sie auf irgendeine Art und Weise hätte verletzen können. Ich erinnerte mich noch gut an diesen einen Tag, wo ich vom Fahrrad gefallen war. Meine Knie waren aufgeschlürft und sie hatten so dolle gebrannt. Damals hatte ich gedacht, dass es keinen größeren Schmerz auf der Welt geben konnte. Meine Mum kam auf mich zugerannt und nahm mich sofort in ihre behutsamen Arme und strich mir über meinen Rücken. Damals war es noch so leicht, ein fünf Jähriges Kind zu trösten.

"Ich werde dich nie wieder alleine lassen, mein Schatz", hatte sie mir damals ins Ohr geflüstert.

"Mami, das tut ganz dolle weh", brachte ich damals noch heraus, ohne zu Wissen, dass Gott mir den größten Schmerz für später aufbewahrt hatte.

"Ich weiß mein Schatz, es ist bald vorbei."

Sie wollte mich nicht verlassen, sie wollten beide bei mir bleiben. Doch wo waren sie jetzt?

Ich saß auf dem Boden des Krankenhauses, wartete, bis ich sie ein letztes Mal sehen konnte. Meine Beine dicht an meinem Körper gezogen. Mein schwarzes Haar fiel mir offen über die Schultern, die Arme fest um die Beine umschlungen. Hatte ich es akzeptiert? Nein.

"Sie können jetzt zu Ihren Eltern, Ms.", sagte eine Krankenschwester. Ihre Stimme jagte mir eine Heidenangst ein. Mit zittrigen Beinen stand ich auf und ging auf die große Tür zu, hinterdem sich meine Eltern befanden.

"Soll ich mitkommen?", fragte Noah, dicht an meiner Seite.

Ich schaute ihn nur an, ohne etwas zu sagen. Ich war Noah einiges schuldig. Wenn er die ganze Zeit nicht bei mir gewesen wäre, hätte ich schon längst den Verstand verloren. Ich schüttelte nur den Kopf und ging hinein. Dieser Raum war sehr kalt, normalerweise hatte ich nichts gegen die Kälte, aber diese Kälte war so anders. Sie lagen auf dem Tisch, die Gesichter komplett zugedeckt, nur die Füße schauten heraus.

"Sind Sie bereit?"

Ich nickte nur stumm mit dem Kopf, jedoch war ich mir nicht sicher, ob ich bereit war, sie so zu sehen. Ich fing an zu zittern, mein Atem wurde unkontrollierter. Die Tränen verließen erneut meine Augen.

Sie nahm das weiße Laken hinunter und ich schaute in die blassen, leblosen Gesichter meiner Eltern. Ich ging immer näher dran und nahm die Hand von Mum in meine. Mit meiner anderen Hand strich ich ihr über die Wange.

"Du wolltest mich nie alleine lassen", flüsterte ich und fing an zu schluchzen.

"Du wolltest immer bei mir bleiben. Wir hatten noch so viel vor, Mum."

Ich fing an immer lauter zu atmen.

"Steh auf", sagte ich und fing an ihre Hand zu küssen.

Ich ging zu meinem Dad und nahm sein kaltes, blasses Gesicht in meine Hände.

"Was ist mit dir? Du bist doch mein Superheld. Du wolltest mich immer beschützen, doch jetzt bist du von mir gegangen. Steh auf", sagte ich.

Plötzlich sah ich, wie sich der Brustkorb meiner Mum senkte. Sie atmete!

"Mum, Mum, Mum! Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lassen wirst!"

"Holt sofort einen Arzt, sie lebt noch", schrie ich verzweifelt und fing an, noch lauter zu weinen.

"Kind, das ist normal. Nach dem Tod lassen die Lungen noch das gesammelte Sauerstoff hinaus."

"HÖR AUF ZU LÜGEN, SIE LEBT HAB ICH GESAGT! MEINE ELTERN LASSEN MICH NICHT IM STICH."

Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt