Kapitel XXIX - Verzweiflung

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Das erste Mal in meinem Leben habe ich verstanden, wie Gwendolyn sich gefühlt hat, als Gideon sie verlassen hat. Das erste Mal in meinem Leben habe ich verstanden, wie Bella sich gefühlt hat, als Edward sie verlassen hat.

Jetzt fühlte ich mich genau so. Der einzige Unterschied? Ich habe mich getrennt. Während sich mein Herz wie ein frisch fliegen gelernter Vogel nach Noah sehnte. Moment, hatte ich gerade Herz gesagt? Ich hatte kein Herz mehr. Vermutlich lag es irgendwo auf der Intensivstation.

Mehrere Wochen sind vergangen. Ella war der glücklichste Mensch auf der Welt, und ich? Ich war seit Tagen nicht mehr zu Hause. Ich fühlte mich im Wald um einiges wohler als bei meiner Familie.

"Darf ich mich zu dir gesellen?", hörte ich eine Stimme fragen. Ich hob nicht den Kopf, ich wusste genau, dass es von Logan kam. Ich saß weiterhin auf dem Felsen, lehnte meinen Rücken hinter einem Baum ab und betrachtete die gigantisch hohe Aussicht.

Logan hatte sich die Freiheit genommen und sich auf den freien Platz neben mir niederfallen lassen.

"Gott, Alyssa! Du siehst schrecklich aus." Entsetzt starrte Logan mich an.

Logans Sicht

Noch nie hatte ich einen Menschen so fertig gesehen. Sie starrte die ganze Zeit wirr gerade aus. Ihre Haut wirkte abgemagert, seit Tagen kam sie nicht mehr nach Hause. Ihre langen Haare fielen ihr leblos übers Gesicht. Sie hatte die Knie an ihren Körper gezogen und die Arme fest umschlungen. Die Sonne traf sie mitten ins Gesicht. Dadurch kamen ihre dunklen Augenringe noch mehr zur Geltung. Sie war gar nicht mehr die Alyssa, die ich kannte.

Langsam hob ich meinen Arm und machte Anstalt, ihr die Haare hinter das Ohr zu stecken. Sie bewegte sich nicht, zeigte kein Reaktion.

"Hey . . . was ist nur los mit dir?", fragte ich, doch keine Reaktion.

"Wir machen uns alle große Sorgen um dich", versuchte ich es wieder. Nichts, wie eine Statur, die erstarrt ist.

Plötzlich kam ich auf einen Gedanken.

"Hat es was mit Noah zu tun?"

Auf einmal verzog sie das Gesicht schmerzhaft, krallte ihre langen Fingernägel in ihre Arme und biss sich auf die Unterlippe. Tränen sammelten sich in ihren Augen.

"Shhh, shhhh", versuchte ich sie zu beruhigen. Langsam nahm ich sie in meine Arme. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust, während sie anfing, zu schluchzen. Ich strich ihr langsam über den Rücken.

"Es ist vorbei", brachte sie gequält aus ihrem Mund. Auf einmal kam ein hasserfülltes Gefühl in mir auf.

"Ich bring  ihn um! Wie kann er dich nur so verletzen?"

Jetzt fing sie an, noch mehr zu schluchzen.

"Er hat mich nicht verletzt", brach sie dieses Mal etwas ruhiger hervor.

"Es war meine Entscheidung", ergänzte sie. Jetzt verstand ich gar nichts mehr.

"Aber . . . warum weinst du dann?"

Stille. Sie antwortete nicht mehr.

"Alyssa, rede mit mir mir." Nichts.

Sie erstarrte wieder in ihrer Anfangsposition. Ich biss mir so dolle auf die Zähne, dass es schmerzte. Mein Kiefer spannte sich an.

"Es tut so weh", brachte sie immer wieder heraus, ehe sie plötzlich auf meine Arme kippte und das Bewusstsein verlor. Sofort nahm ich sie auf meine Arme und rannte mit ihr auf unser Haus zu.

Hätte ich gewusst, wer auf der Verandatreppe saß, wäre ich gar nicht dahin gegangen. Sofort rannte er auf uns zu, als er Alyssa von weitem erkannt hatte.

"Was hat sie?", fragte er besorgt.

Ich zog sie weiter und trug sie ins Haus.

"Du wartest bei der Lichtung auf mich. Wir beide haben noch ein Huhn miteinander zu rupfen."

"Du sagst mir sofort, was sie hat", knurrte Noah mich auf einmal an.

"Noah! Beruhig dich! Ich hab gesagt, wir reden bei der Lichtung." Er war wie ausgewechselt, er sah fast genauso schlimm aus wie Alyssa. Wenn nicht sogar gleich schlimm.

Sofort standen Mom, Dad und Eleonora vor uns, als ich sie hereintrug.

"Mein hübsches Mädchen, Logan, was hat sie?", fragte Mom mit Tränen in den Augen.

"Vermutlich einen Schwächeanfall", stellte ich fest.

Sofort brachten wir sie in mein Zimmer und legten sie aufs Bett.

"Mom, ich hab etwas wichtiges zu klären. Passt du bitte auf sie auf, ich bin in einer halben Stunde wieder da", sagte ich und rannte herunter.

Ich hörte Mom noch etwas sagen, ignorierte es jedoch und rannte.

Ich rannte immer schneller zur Lichtung und erkannte von weitem auch Noah auf einem Stein sitzen.

Ich konnte die Wut in mir nicht mehr kontrollieren und sofort landete meine Faust in seinem Gesicht. Gleich danach packte ich ihn beim Kragen und fing an zu sprechen.

"WAS HAST DU MIT IHR GEMACHT, WAS?", schrie ich ihn an. Er zeigte keine Reaktion.

"Ich hab gar nichts gemacht!", rief er verzweifelt und löste sich aus meinem Griff, um sich durch das Haar zu gehen.

Er ließ sich auf die Knie fallen und wiederholte diesen Satz immer wieder.

"Noah!Du musst mir erzählen, was zwischen euch vorgefallen ist", brachte ich heraus.

"Ich hab gar nichts gemacht",sagte er wieder mit Tränen in den Augen.

"Sie wollte nicht mehr, hat sich getrennt, obwohl . . ." Er verstummte. Ich hoffte, dass es nicht das war, was ich mir dachte.

"Was? Obwohl was?", fragte ich und versuchte ruhig zu bleiben.

"Sie ist meine Mate. Ich habe mich auf sie geprägt, und sie sich auf mich", sagte er, sein Blick immer noch auf mich gerichtet.

"Was?! Wieso trennt sie sich dann?! Ey das wird euch beide umbringen!"

"Ich weiß es doch auch nicht! Es war alles gut, dann . . ."

"Dann was?" Ich wurde langsam richtig ungeduldig.

"Dann hat sie mit Ella geredet. Dann wollte sie sich trennen! Aus heiterem Himmel! Ich hab nichts getan, zu erst küsst sie mich, dann rennt sie weg, und sagt dann, dass sie sich trennen möchte. Ich dachte, dass es vielleicht etwas mit Ella zu tun hat, aber sie streitet es ab, streitet alles ab! Logan ich kann nicht mehr!"

Das erste Mal in meinem Leben sah ich Noah so verzweifelt. Ich wusste immer noch nicht, was los war, aber ich schwöre auf alles was mir wichtig ist, wenn Ella etwas damit zu tun hat, werde ich sie mit eigenen Händen umbringen.

Hoffe es hat euch gefallen!

Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt