Kapitel XIX - Missgeschick

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Ich musste wohl eingenickt sein, aber noch nie hatte ich so wunderbar geschlafen, wie in dieser Nacht. Es fühlte sich so an, als würde eine Last, die ich schon jahrelang mit mir herumgetragen hatte, plötzlich verschwunden war. Ich drehte mich zu meiner linken Seite und sah einen friedlich schlafenden Noah neben mir. Er sah so viel jünger aus als sonst. Die Härte, die er sonst immer in seinem Gesicht hatte, war wie verflogen.

Ich streckte meine Hand aus, und es war beinahe so wie in meinem Traum. Ich wollte all das, was ich eigentlich geträumt hatte, umsetzen. Ich fuhr die Linien seiner Wangenknochen auf und ab, meine Hand ruhte auf seiner Wange. Seine Lippen waren halb auf, sein Gesicht im Kopfkissen vergruben, sein Arm halb auf meiner Taille. Er sah aus, wie ein Junge, der einfach zu lange Baseball gespielt hatte. Wie ein friedlicher Junge, der sich einfach überanstrengt hatte. Kein Wolf, keine Probleme, alles wie bei einem normalen Teenager.

Der Drang seine Lippen zu berühren war größer als in meinem Traum. Also tat ich es einfach und legte meine Lippen auf seine. Plötzlich erwiderte er den Kuss und zog mich näher zu sich. Vor Schreck hickste ich auf und erstarrte in meiner Position. Er hatte mich hereingelegt! Er hatte nicht geschlafen!

»Du . . . Lügner«, hauchte ich zwischen den Kuss und legte eine Hand an seinen Nacken und die andere an seine mittlerweile glühende Wange. Er lächelte in den Kuss hinein und löste sich kurz darauf von mir. Mein Inneres schrie förmlich nach ihm, jedoch vergebens. Plötzlich fielen mir drei Fakten ein.

Erstens; ich hatte die ganze Nacht mit Noah verbracht.

Zweitens; June war nur zwei Räume von meinem Zimmer entfernt und konnte jeden Moment hereinplatzen.

Drittens; ich hatte keine einzige Sekunde bereut.

Als mir jedoch eine weitere Tatsache einfiel, erstarrte ich und suchte nach einer Uhr in meinem Zimmer. Heute war Schule! Ich musste mich fertig machen, wie spät war es? Ich hatte mir vergessen, einen Wecker zu stellen!

»Hey, was ist denn mit dir los?«, fragte Noah, der jetzt verwirrt durch den Raum guckte.

»Schule«, brachte ich nur heraus, und watschelte wie ein verrückt gewordenes Huhn durch den Raum.

»Scheiße«, kam nur von ihm, und auch er suchte nun vergebens nach einer Uhr.

Wieso hatte ich mir auch keinen Wecker gestellt? Ach ja. Ich war damit beschäftigt, mit dem hübschesten Jungen dieser Welt den Abend zu verbringen. Als ich jedoch die Kante meiner Kommode auf dem Boden übersah und mein kleiner Zeh volle Wucht dagegen knallte, schrie ich auf und fing an durch den Raum zu hüpfen, während ich mit eine Hand meinen Fuß festhielt.

Noah fing an zu lachen und dann passierte die wohl unpassendste Situation, die jetzt noch passieren konnte.

»Lyssa? Was ist da los? Darf ich hereinkommen?« Oh oh, ich sah schon, wie sie kurz davor war, die Klinke zu drehen.

»Äh NEIN«, schrie ich und warf mich von circa fünf Metern Entfernung gegen die Tür. Ich wollte nicht wissen, wie ich gerade in Noahs Augen aussah. Eine Verrückte, die in einem Bambi Schlafanzug durch den Raum sprang und vermutlich von sich selber dachte, sie sei Bambi.

»Alyssa, was ist da bitte los?« June klang mehr als verwirrt als wäre sie kurz davor die Tür in ihrem elfengleichen Körper einzutreten.

»Nichts, nichts, gar nichts, ich . . .« Ich konnte nicht weitersprechen, denn plötzlich meldete sich Noah zu Wort und ging zur Tür um sie aufzudrehen. Bevor ich widersprechen konnte, hatte er mich schon zur Seite geschoben. Okay, Todesurteil unterschrieben. Er drehte die Türklinke um und stand nun einer verwirrten June gegenüber.

»Hallo Ms Heavens, entschuldigen Sie die Störung, aber Lyssa und ich hatten etwas wichtiges zu besprechen.«

»Oh, Noah . . . sage ruhig June zu mir. Hast du . . . die Nacht hier verbracht?«, fragte sie, und ihr Blick schweifte zu mir herüber. Ich hatte mich mittlerweile hinter der Tür versteckt und mich mit dem Rücken an die Wand gelehnt und mich auf den Holzboden driften lassen. Das Gesicht natürlich zwischen den Knien versteckt. Er schaute mich an und bevor er antworten konnte, hatte June ihn unterbrochen.

»Oh Gott, sie ist nackt, oder? Du liebes bisschen ich . . . äh . . .« Noahs Augen weiteten sich und ich war kurz vor einem Herzstillstand.

»Nein, Nein, Sie haben das falsch verstanden  . . .«, versuchte Noah es zu erläutern, doch schon war June in ihrem pinken Pyjama und ihrer Schlafbrille an der Stirn verschwunden. Noah stand da wie verdattert und ich stand endlich auf und versuchte ihr hinterherzurennen.

»June, Nein! Warte doch mal!« Sie blieb stehen, drehte sich zu mir herum, verschloss mit ihren Händen jedoch die Augen.

»Madame, ich werde mich erst mit dir auseinandersetzen, wenn du dir etwas angezogen hast! Lass den Jungen doch nicht warten, Mensch!«

»Nein, Nein, Nein! Du verstehst . . .«

»Alyssa! Ab in dein Zimmer«, sagte sie, und verschwand in ihr ihres. Shit, aus dieser Situation würde ich mich nicht so einfach retten können. Ich tapste zurück in mein Zimmer, wo Noah an der Tür stand und mich belustigt anschaute.

»Noah, wir müssen irgendwas machen! Sie hat das alles total falsch verstanden . . .« Er unterbrach mich, zog mich zu sich, dann mit ihm auf das Bett und fing an mich zu küssen. Mit voller Kraft drückte ich ihn weg.

»Entschuldige bitte, aber was machst du da? Wir müssen was unternehmen!« Er küsste mich erneut und mein kompletter Körper fing an zu vibrieren.

»Tun wir doch«, sagte Noah und ich flog auf Wolke sieben. Meine Hand ruhte auf seiner Brust und ich spürte ein gigantisches Vibrieren. Ich sah ihn fragend an.

»Na, wir sorgen dafür, dass es kein Missgeschick war, sondern die Realität.« Erst kurz darauf reagierte ich, was er meinte, und schubste ihn weg.

»Du bist so ein Arsch, Noah«, sagte ich, und spielte die beleidigte Leberwurst. Ein Teil von mir wollte aber zu ihm. Wie zwei Magnete, die sich magisch anzogen. So war es mit dem Vibrieren. Meins und seines. Ich war kurz davor mich mitreißen zu lassen, doch realisierte, dass wir beide zur Schule mussten.

»Noah, die Schule . . .«, versuchte ich, und kurz darauf schaffte ich es doch. Nachdem er ein genervtes Knurren von sich gab. Ich ging hinter meinen Paravent und zog mir meine Jeans und ein beiges Oberteil an. Als ich hinter dem Paravent zum Vorschein kam, saß Noah immer noch auf dem Bett und schaute mich an. Er hatte sich mittlerweile startklar gemacht und wartete in seiner Lederjacke auf mich.

»Ich . . . wir können dann . . .«, sage ich und schnappte mir meine Tasche. Er folgte mir nur und gemeinsam gingen wir zum Küchentisch, wo June auch schon in ihrem Morgenmantel auf uns wartete.

»Was denn, so schnell?«, sagte June und ich war kurz davor vor Sauerstoffmangel zu sterben. Noah schien das anscheinend nicht zu stören. Mir war das so unangenehm, dass ich auf der Stelle puterrot anlief.

»Wie auch immer, kommt, setzt euch. Ihr habt bestimmt Hunger«, sagte June. Nachdem wir eine Weile am Küchentisch saßen, unterbrach Noah das Schweigen.

»Ms Heavens, entschuldigen Sie bitte, aber Sie haben das wirklich alles falsch verstanden. Ja, ich habe die Nacht bei Alyssa verbracht -  aber es ist nicht das passiert, was Sie dachten. Wir haben nur geredet und geschlafen. Also -  normal geschlafen! Nebeneinander . . .  nicht . . .  miteinander!«

Junes Blick wanderte von Noah zu mir, immer abwechselnd, bis sie dann mit einem Lacher die Spannung löste.

»Kinder, ist doch alles gut! So, Lyssa. Ich kann dich zur Schule fahren, wenn du möchtest.«

»Ms Heavens -  das würde ich gerne übernehmen. Mein Auto steht vor der Tür.«

»Ach, Gott. Ihr seid so süß zusammen! Na gut, aber seid vorsichtig! Und lass bloß nicht Lyssa fahren! Die Welt ist für solch eine Katastrophe noch nicht bereit!« Selbstverständlich hörte ich den Sarkasmus in ihrer Stimme jedoch war erst so richtig entspannt, als wir im Auto saßen und unser Haus sich immer weiter entfernte.

Wie immer hoffe ich, dass es euch gefallen hat! Bis zum nächsten Mal!
Eure G. <3

Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt