Kapitel XXVI - Eleonora

171 14 10
                                    

Das Knacken eines Astes ließ uns aufschrecken. Ich löste mich aus der Umarmung meines Vaters und schaute mich um. Hinter den Bäumen erkannte ich eine weibliche Gestalt, die uns von weitem betrachtete. Logan zog mich ein Stück nach hinten und stellte sich vor mich.

"Wer ist da", fragte er in die Wälder, und kurz darauf kam diese weibliche Gestalt aus ihrem Versteck.

"Wir lassen euch am besten alleine", sagten Logan und Richard beinahe aus einem Mund. Kurz darauf waren sie nicht mehr in Sichtweite.

Hab keine Angst, ich bin in der Nähe, falls du mich brauchst, hörte ich die wohl schönste Stimme in meinen Gedanken, die ich je hören konnte.

Ich liebe dich, sagte ich in Gedanken und betrachtete Ella. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns nur an. Wir sahen uns wirklich ähnlich, jetzt, wo man wusste, was eigentlich los war. Plötzlich war mir nur noch nach weinen zumute. Meine Erzfeindin, die Ex meines Freundes, meines Mates, war meine Schwester.

"Weißt du", brach sie endlich das Schweigen. Es war windig hier, und durch des Windes wehten ihre Haare über ihr ganzes Gesicht und ein paar Strähnen verfingen sich im Mundwinkel.

"Ich hab jahrelang auf meine Schwester gewartet. Jahrelang habe ich darauf gewartet, eine andere Bezugsperson außer meiner Mutter und meinem Bruder zu haben. Ich habe sie mir so perfekt vorgestellt, habe im voraus Dinge geplant, die ich mit ihr unbedingt machen möchte."

Sie verstummte und betrachtete die Gegend. Nicht ein einziges Mal hatte sie mir direkt in die Augen geguckt. Plötzlich drehte sie sich um und schaute mir direkt in die Augen. Blau traf auf blau. 

"Jetzt stehst du vor mir, meine Erzfeindin steht vor mir. Meine Erzfeindin soll meine Schwester sein. Das Mädchen, welches mir meine große Liebe weggenommen hat, soll meine Schwester sein." Sie kam immer näher auf mich zu, bis sie nur einen halben Meter von mir entfernt war. Ich wollte etwas sagen, aber mein Mund war so trocken, dass ich nicht einmal die Kraft hatte, mich zu räuspern. Also ließ ich Ella einfach weiter sprechen.

"Weißt du, Alyssa . . . ab dem ersten Moment, wo ich dich das erste Mal gesehen hatte, habe ich dich zu tiefst verabscheut. Bevor du in diese Stadt gezogen bist, war ich so glücklich." Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich ein Lächeln, welches sich auf ihre Lippen geschlichen hatte. Doch es verschwand so schnell wie es gekommen war.

"Jede Berührung von ihm war wie ein Segen, ein Geschenk Gottes. Ich hatte mich so vollständig neben ihm gefühlt. Alyssa, es war unglaublich. Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt. Es war wie in einem Märchen." Ich sah, wie eine Träne ihre Augen verließ und trocken über ihre makellose Wange lief. Ich wusste nicht, was ich empfinden sollte. Mir wurde gerade gesagt, wie glücklich jemand war, bevor ich in diese Stadt gezogen war. Gesagt, wie glücklich sie mit meinem Freund war.

"Ella, ich . . ." 

"Sei leise", schrie sie dieses Mal und die Tränen flossen dieses Mal ohne Hindernisse. Das alles verpasste mir ein Stich ins Herz und auf einmal fühlte ich mich furchtbar unwohl

"Sei leise", wiederholte sie sich, dieses Mal um einiges ruhiger.

"Du bist meine Schwester", sagte sie und lächelte.  Für einen Moment dachte ich, dass sie mich umarmen wollte, aber es war eine grandiose Täuschung. 

"Du bist meine biologische Schwester", ergänzte sie. Okay, das war ein Stich. Ein Stich ins Herz.

"Weißt du Ella, nie im Leben hätte ich gedacht, Geschwister zu haben. Aber weißt du, was ich noch viel weniger gedacht hätte? Dass meine Erzfeindin meine Schwester ist." Ich versuchte die Worte so ruhig wie möglich und Stück für Stück auszusprechen.

"Andererseits hat meine Erzfeindin mein Leben gerettet. Weißt du?"

Sie dachte einen kurzen Moment über meine Worte nach.

"Ich kann das nicht mehr", sagte sie dieses Mal. Und tatsächlich hörte man deutlich die Verzweiflung aus ihrer Stimme heraus.

"Alyssa, ich kann das alls nicht mehr. Je mehr ich versuche dich zu hassen, desto stärker fühle ich mich dir gegenüber gebunden." Tränen sammelten sich in meinen Augen.

"Und ich habe jeglichen Grund, dich zu hassen. Du hast mir meine Liebe weggenommen. Aber wir sind verbunden, unser Blut ist verbunden." Ich konnte mein Schluchzen nicht mehr zurückhalten, also ließ ich es einfach ihren freien Lauf. 

"Ella, ich . . ."

"Sag nichts, bitte", sagte sie und schniefte.

"Können wir für einen Moment vielleicht alles vergessen, und du nimmst mich einfach in die Arme?" Sie sagte es so . . . so . . . innig, so herzlich, so ehrlich. Da konnte ich ihr nicht widerstehen und zog sie in eine Umamrung, in die ich meine ganze Liebe steckte. Für einen Moment wollte ich nicht, dass diese Umarmung endet. Mein ganzes Leben hatte bis heute nur auf einer einzigen Lüge basiert. Meine Eltern waren nicht meine Eltern, ich hatte Geschwister, es war fast wie ein schlechter Witz.

"Du liebst mich doch, oder Alyssa?", fragte Ella, nachdem wir uns aus der Umarmung gelöst hatten.

"Ich brauche dich, Alyssa. Bitte lass mich nicht alleine", sagte sie wieder.

"Ich bin hier", sagte ich und hatte einen gigantischen Kloß im Hals.

"Ich möchte dich so sehr bei mir haben, mit dir all die Dinge tun, die andere auch mit ihren Geschwistern tun."

Mit einem Mal wirkte sie so hilflos, so harmlos. Es war unglaublich, wie sehr sie sich geändert hatte.

"Du würdest doch alles für mich tun, oder? Damit ich glücklich bin?"

"Natürlich würde ich das! Selbstverständlich würde ich das!"

Ella war mir auf einmal so ans Herz gewachsen, es war nicht zu glauben. Sie kam näher auf mich zu und umarmte mich.

"Dann trenne dich von Noah, Schwesterherz. Lasse nichts und niemanden zwischen uns stehen. Lass uns eine Familie sein. Ich weiß ganz genau, dass er in der Nähe ist und uns beobachtet. Wir werden nie eine richtige schwesterliche Beziehung haben können, wenn er in unserem Leben ist. Und du weißt ja, Familie geht doch immer vor. Trenne dich von ihm, tu es, und wir sind alle glücklich. Und Mom und Dad haben die Familie, die sie sich immer gewünscht haben. Es wäre doch schade, wenn ihre beiden Töchter sich hassen würden. Außerdem bist du meine Schwester. Du musst das tun, tu es für uns."


Ihr Lieben, es tut mir soooooo leid, dass ich so unregelmäßige Updates mache. Aber ich bin im Urlaub und im Ausland hat man leider keine feste WLAN - Verbindung. Dennoch versuche ich so oft es geht hier zu updaten. Lasst es euch gut gehen und bis zum nächsten Mal!!

Eure G. <3

Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt