Kapitel XV - Ein unerwarteter Anruf

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Als wir dann nach einer Autofahrt von circa fünfzehn Minuten bei Noah Zuhause ankamen, verkroch ich mich sofort auf das mir zugestellte Zimmer und schlief ein. In meinem Gedankenfall waren so viele Dinge. Dinge, die ich mir einfach nicht erklären konnte. Ich meinte, klar, es ging um ein Menschenleben, das wegen mir hätte draufgehen können. Aber diese Wut, die ich in diesem Moment verspürt hatte, es war unbeschreiblich. Noch nie wurde ich wegen einer Sache so extrem sauer. Mit Noah hatte ich weiterhin nicht mehr gesprochen. Er hatte mich zwar trotzdem einige Male über mein Wohlbefinden und der Wunde an meinem Arm befragt,aber nachdem ich hundert Mal genervt bestätigt hatte, dass alles in Ordnung sei, hatte er es aufgegeben, auf jeglicher Art und Weise mit mir zu kommunizieren. Nachdem ich mich dann eine Stunde im Bett gewälzt hatte, war ich meiner passiven Müdigkeit zu Füßen gefallen.

Am nächsten Morgen wurde ich durch das Klingeln meines Handys geweckt. Müde nahm ich ab, ohne überhaupt zu erkennen, wer der Anrufer war.

»Hallo?«, gab ich verschlafen von mir. Ich musste mich einige Male räuspern, um meiner Stimme die eigentliche Klarheit zu verleihen.

»Lyssa, Schätzchen! Ich habe gehört, was passiert ist. Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt? Ich werde mit dem nächsten Flug zu dir kommen, ich lasse dich da nicht alleine! Wo bist du? Wie kommst du seit Wochen über die Runden? Lyssa, wieso antwortest du nicht? Hallo? Bist du noch am Apparat?« So viele Fragen auf einmal, aber das, was mich am meisten schockierte, war, dass ich mit meinem eigentlich anonymen Spitznamen angesprochen wurde, den niemand wusste. Ich hasste es, Lyssa genannt zu werden, und es gab auch nur eine Person auf dem Planeten, der mich so getauft hatte. Ich runzelte die Stirn und versuchte auf all die Fragen zu reagieren, jedoch war ich immer noch unter Schock, dass gerade meine Tante, die ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen, geschweige denn gehört hatte, am andere Ende der Leitung war und auf eine Antwort wartete.

»Tante June. Wow, was für eine Überraschung, ich freue mich, dass du anrufst . . .«. Ich kam nicht dazu, weiterzusprechen, da meine reizende Tante mich unterbrach.

»Lyssa, wo bist du? Ich werde allerspätestens morgen bei dir sein. Hast du eine Unterkunft? Das Ganze tut mir so leid, ich hätte mir nur gewünscht, dass ich es lieber von dir gehört hätte, als es von Lisa zu hören.« Lisa, das wunderte mich jetzt nicht. Tante June und Lisa kamen sehr gut miteinander klar. Vor allem, seitdem Lisa ein Mal dabei war, als ich unter gezwungenen Maßnahmen mit ihr telefonieren musste. Ich mochte Tante June, nur war sie das komplette Gegenteil von mir. Unsere Charaktereigenschaften unterschieden sich gewaltig.Außerdem war sie vom Typ her sehr blass, hatte aschblondes Haar und wunderschöne Augen. Vergleichbar war sie mit einer zierlich schlanken Elfe, die über die Wälder hopste. Beinahe hatte ich vergessen, dass diese zierlich schlanke Elfe kurz davor war, mir vor Sorge durch das Telefon den Hals umzudrehen.

»June, es ist alles gut. Ich . . . wollte es dir sagen, aber ich war so überfordert, und brauchte erst einmal Zeit für mich und . . . Gerade befinde ich mich bei L . . . einem Freund.« ich war kurz davor, Lisa zu sagen, aber dann fiel mir ein, dass sie sich ausführlich über Alles unterhalten hatten und June sicher klar war, dass ich mich nicht bei ihr befand.

»Mäuschen, es ist vorbei. Du wirst nicht mehr alleine sein, wenn ich erst einmal da bin, werden wir uns beide ein wunderschönes Leben aufbauen.« Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Ein Gefühl der Familienwärme. Die Wärme, die ich so sehr vermisst hatte.

»Wenn du möchtest, können wir in meine Wohnung ziehen, dann musst du dich nicht mit den Erinnerungen abquälen.« Ich hatte komplett vergessen zu erwähnen, dass meine Tante aus Alaska kam und dort einen sehr gut bezahlten Job hatte, was ihr natürlich ermöglicht, überall Häuser und Wohnungen ihrer Wahl zu bekommen. In unserem Viertel hatte sie also auch das eine oder andere Haus.

»Total gerne. June, ich bin so froh, dich wiederzusehen und . . .« Meine Stimme wurde brüchig und sofort hielt ich inne. In dem Moment kam Noah in das Zimmer und schaute mich fragend an. Ab und zu warf ich ihm einen Blick zu, aber widmete mich wieder meiner Tante, mit der ich mich ausführlich über die Pläne unterhalten hatte. Eine Frage machte sich in meinem Kopf bereit, was, wenn June von der ganzen Wolfssache Bescheid wusste? Noah meinte nur, dass es in meiner Familie nicht der Fall ist, aber was wenn es bei June anders war? Irgendwann hatten wir dann aufgelegt, und ich widmete mich Noah, der sich, seitdem er sich in meinem Zimmer befand, keinen Millimeter bewegt hatte.

»Wer war das?« Er schaute mich etwas verwirrt, aber irgendwie auch auf eine Art und Weise besorgt an.

»Oh, das war June, meine Tante, und . . .«

». . . du wirst mit ihr zusammen wohnen?« Ich war erstaunt, das er das mitgehört hatte.

»Ja, sie . . . kommt aus Alaska hierher, extra wegen mir. Sie hat hier eine Wohnung, in die wir gemeinsam einziehen werden . . .« Plötzlich spürte ich ein starkes Stechen in meinem Brustkorb. Als hätte jemand einen Kanister voll mit Benzin heraufgeschüttet und ein Streichholz heraufgeworfen hätte. Es war kein Stechen, nein. Es war ein Brennen. So würde es sich wohl anfühlen, wenn man sagen würde, dass man bei lebendigem Leibe verbrennen würde. Ich sah in Noahs Augen, und für eine kurze Sekunde sah es so aus, als würde sich dieser Schmerz in seinen Augen widerspiegeln. Seine Worte waren jedoch komplett anders, als seine Augen zu sagen versuchten.

»Gut«, war das Einzige, was er von sich gab. Das Stechen in meinem Brustkorb nahm zu, und verständnislos sah ich ihm in die Augen. Anstatt irgendetwas zu erwidern, nahm ich mir ein paar Hosen und eine Bluse samt Jacke und Schuhe, und ging an ihm vorbei ins Badezimmer, wo ich jedoch plötzlich mit seinem Großvater zusammenstieß, dessen Name übrigens Lucas war.

»Entschuldigung«, murmelte ich nur vor mich hin, und ging weiter in das Badezimmer. Dort schloss ich mich ein und zog mich voller Wut um. Nachdem ich dann meine gewohnte Routine durchgeführt hatte, betrachtete ich mich für einen Moment im Spiegel. Meine nächste Sorge machte sich in mir bereit. Was, wenn June auf meine äußerliche Veränderung anders reagieren würde? Was, wenn sie es nicht akzeptieren würde? Meine Augen hatten einen saphierblauen Farbton eingenommen - zu hell - für meinen eigentlich dunklen Blauton. Ich hasste es, das Ganze hier. Ich wollte nicht so sein, auch wenn das zu mir gehörte, ich mehr Wolf als Mensch war, ich wollte ein normales Leben führen. Ich könnte mich nie an das Ganze hier gewöhnen. Ich riss die Tür auf und ging an Noah vorbei, der an der Wand gegenüber der Badezimmertür angelehnt stand und seine Augen nicht von mir nahm.

»Wo gehst du hin?«

»Weg von hier, siehst du doch«, war meine einzige Antwort.

»Deine Tante kommt erst morgen«, stellte er erstaunt fest.

»Und wer sagt, dass ich zu meiner Tante gehe? Ich verstehe auch nicht, warum dich das so dermaßen interessiert.« Nachdem ich den Satz ausgesprochen hatte, flog ich auch schon an ihm vorbei und ging zur Haustür.

Ich ging in den Wald, die Sonne schien und man hörte die Vögel zwitschern. Unter meinen Stiefeln hörte man allerdings auch das matschige Geräusch des Rasens. Wahrscheinlich hatte es geregnet. Ich ließ mich allerdings nicht davon abhalten und ging immer weiter. Meine Beine gingen eigentlich wie von alleine, und irgendwann befanden sich vor mir tausende von weißen Blumen.

Ich wusste nicht, was für Blumen, aber sie sahen wunderschön aus. Ich legte mich zwischen dieser Wiese voll Blumen und schloss die Augen. Dass meine hellbraune Hose durch den feuchten Untergrund nass werden könnte, war mir egal. Ich schloss die Augen und versuchte mich nur an das Zwitschern der Vögel zu orientieren. Urplötzlich verschwand die Sonne über mir und graue Wolken breiteten sich aus. Als ich jedoch eine große Gestalt hinter mir wahrnahm, verschwanden jegliche Gefühle des Wohlbefindens. Wie erstarrt lag ich auf dem Boden und traute mich nicht, die Augen zu öffnen.

Hey ihr da draußen! Da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel und hoffe, dass es Euch gefallen hat. Wie immer würde ich mich über Feedback und Votes freuen!
Hab eine schöne Restwoche. Übrigens ist eine eventuelle Lesenacht in Planung, jedoch kann ich Euch noch kein genaues Datum nennen, aber ich versuche es möglichst Zeitnahe einzuplanen. Weitere Infos werdet Ihr dann in den kommenden Kapiteln erfahren.

Eure G. <3

Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt