Kapitel XI - Notlügen

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Am nächsten Morgen wurde ich durch etwas feuchtes in meinem Gesicht geweckt. Ich verbrachte die Nacht in einem mehr oder weniger tiefem Halbschlaf. Das einzige positive an der Sache war es, dass ich nicht schreiend aufgrund irgendwelchen diversen Albträumen aufgewacht war.

Ich öffnete die Augen und sah einen überaus amüsierten Lennox über meinem Gesicht, der mich wohl anscheinend versuchte, mit seiner Tat aufzuwecken. Er wusste jedoch genau, dass er etwas falsch gemacht hatte, und setzte seinen niedlichen Hundeblick auf. Dabei neigte er seinen Kopf etwas nach rechts und streckte seine Zunge hinaus. Kurz danach rollte er sich ein Mal und legte sich auf den Rücken. Das sollte für mich signalisieren, dass es an der Zeit war ihn zu kraulen.

Nachdem ich ihm die gewünschte Aufmerksamkeit geschenkt hatte, stand ich letzendlich auch aus meinem Bett auf und ging in das Badezimmer, um meine morgendliche Routine durchzuführen. Jedes Mal, wenn ich an einem Spiegel vorbeilief, faszinierte mich das Resultat meiner Verwandlung immer mehr. Ich war ein komplett anderer Mensch. Nachdem ich dann mit allem fertig war, ging ich wieder zurück in Noahs Zimmer und legte mir ein paar Klamotten heraus, die ich eventuell anziehen könnte.

Von weitem hörte ich Schritte, die auf das Zimmer zukamen. Irgendwas in meinem Körper sagte mir, dass es Noah war. Und komischerweise bestätigte sich meine Theorie.

"Darf ich hereinkommen?"

"Moment bitte", sagte ich, und zog mich schnell um. Nach ein paar Minuten bittete ich ihn dann hinein.

"Ich muss mal mit dir sprechen", sagte er, und das Desinteresse in seiner Stimme war nicht zu überhöhren.

"Ich höre", sagte ich, und versuchte mich auf irgendwas anderes in meinem Zimmer zu fixieren.

"Du musst wieder zur Schule gehen. Wenn du dich beeilen würdest, könntest du es noch zur zweiten Stunde schaffen", sagte er und steckte seine Hände in seine Hosentaschen und schaute auf den Boden. Sein schwarzes T-Shirt, welches eng an seinem Körper lag, betonte seine Muskeln. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte nicht aus dem Konzept zu kommen.

"Du meintest selber, dass ich mich Optisch sehr verändert habe. Denkst du, die aus meiner Klasse sind blöd und merken nicht, dass ich anders bin?"

"Ihr Mädels habt doch so ein komisches Zeug, womit ihr euch immer bemalt. Ein bisschen davon und fertig."

"Ja, sowas nennt man auch Schminke. Willkommen im 21. Jahrhundert."

Er verdrehte nur die Augen und ging auf das gigantische Fenster zu.

"Mach dich fertig, ich fahre dich. In zehn Minuten fahren wir."

"Warte, was ist mit meinen Aggressionen? Was wenn ich versehentlich meine Politiklehrerin auffresse, weil sie mir mit ihrem Geschwätz auf die Nerven geht?"

"Ich werde die ganze Zeit in der Nähe der Schule sein. Wenn du merkst, dass sich dein Magen zusammenzieht, bittest du einfach kurz um Erlaubsnis, das WC zu benutzen. Du bekommst immer mehr Fehltage und das wirkt sich auf dein Zeugnis aus."

"Sorry, aber die Schule und meine Fehltage interessieren mich gerade nicht."

"Zehn Minuten, ich warte draußen", sagte er, und verließ das Zimmer. Okay, Widerstand war zwecklos. Na toll.

Ich schnappte mir meine "Schminktasche" und ging ins Badezimmer. Schminktasche wäre in diesem Falle übertrieben, ich hatte lediglich zwei Mascara, Concealer, und eine Lidschattenpalette. Ich war also keine Süchtige, die einen zweiten Douglas bei sich im Zimmer hatte.

Ich schnappte mir meinen Pinsel und trug etwas Lidschatten auf mein Augenlid und entschied mich hier für eine dunkle Farbe, ja man könnte fast schwarz sagen. Danach trug ich mir noch ein bisschen Concealer auf und tuschte meine Wimpern. Das sollte reichen. Ich holte meine Tasche, jedoch nur mit einem Stift und einem Block. Meine ganzen Schulsachen waren in meinem Haus. Das Haus, wo ich mich schon seit Wochen nicht mehr hineintraute, aus Angst dort einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.

Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt