Kapitel XXIII - Tod

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Mein ganzer Körper begann zu zittern und auf einmal fühlte ich mich so hilflos wie noch nie. Als wäre ich kein Werwolf, als wäre ich nur ein hilfloses kleines Mädchen. Blake hatte sich von seinem Stuhl erhoben und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Ich hatte immer noch die Glasscherbe in der Hand, die ich hinter meinem Rücken zu verstecken versuchte.

»Du bist so dumm, Alyssa. Deine Wut hat dich mir in die Arme getrieben. Vor deinem Rudel hattest du aber noch ein großes Mundwerk, was hat sich denn jetzt geändert?«

Er stand mir nun so nahe, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Er nahm sich eine meiner Haarsträhnen in die Hand und spielte damit herum, nur um mir kurz darauf mit voller seine Hand in mein Gesicht zu schlagen. Woher wusste er von dem Gespräch, was zwischen dem Rudel und mir stattgefunden hatte?

»Robert«, schrie er, und kurz darauf wurde die Tür aufgerissen. Doch ehe die Tür aufgerissen wurde, kam mir der widerliche Geruch von totem Fisch in die Nase. Diesen Geruch kannte ich doch, das war . . . Er! Es war der, dem ich im Wald begegnet war, der der mir die Kehle beinahe zerdrückt hätte.

»Weißt du, Schätzchen, ich dachte, dass eure Tode sich wenigstens ähneln sollten. Zwei Wölfe, die von einem Vampir getötet wurden. Zumal Wölfe nicht gerade zu den appetitlichsten Mahlzeiten Roberts sind, aber was soll man machen, nicht?« Er grinste mich an, beinahe hätte ich das auf die falsche Schulter genommen, hätte ich nicht gewusst, in was für einer Lage ich mich befand, und was für ein gefährlicher Mann Blake war.

»Lange nicht mehr gesehen, Süße«, sagte Robert mit einem rauen Lachen. Auf der Stelle überkam mich eine Gänsehaut. Ich fühlte mich so, als würde ich in einem dämlichen Actionfilm die beknackte Hauptrolle spielen, in der das Mädchen immer dumm wie ein Stück Brot war. Und das war ich auch, ich hatte mich selber in diese Situation gebracht. Auf einem Schlag vermisste ich Noah schrecklich, bereute alles, was ich gesagt hatte. Denn egal was er auch getan hatte, ich liebte ihn. Sehr sogar.

Unkontrolliert flossen die Tränen über mein kreidebleiches Gesicht herunter. Blake kam mir noch etwas näher und schaute mir tief in die Augen. Ich war so darauf fixiert, dass ich nicht bemerkt hatte, dass er eine Spritze in der Hand hielt, die er nach einem fiesen Grinsen direkt in meine Ader stach und die Flüssigkeit hineinspritzte.

»Nur, damit du nicht doch auf die Idee kommen solltest, zu fliehen oder dich gar zu verwandeln.« Es ging relativ schnell, bis sich mein Körper wie ein totes Stück Fleisch anfühlte. Alles war betäubt, ich war nicht in der Lage auch nur einen Finger zu krümmen.

»Es war mir eine große Freude, dich kennenzulernen, Schätzchen. Ich werde deine Eltern von dir grüßen. Aber eins muss ich noch loswerden.« Erneut kam er auf mich zu.

»Ich bereue es keinesfalls, deine Scheineltern umgebracht zu haben. Das sollte nur ein Vorgeschmack darauf sein, was ich dir noch alles antun werde. Sie wussten von allem Bescheid, und hätten sie nicht widerstand geleistet, wären sie am Leben. Sie hätten nur sagen sollen, wo du dich befindest. Siehst du, alle Menschen sterben wegen dir. Aber mach dir keine Gedanken, du wirst nicht lange von ihnen getrennt sein. Adieu, Alyssa.«

Ich versuchte zu schreien, doch es kam nichts anderes außer ein erbärmliches Winseln heraus.

»So sieht man sich wieder, nicht?«, sagte Robert, und schnappte sich den Stuhl, auf dem vorhin noch Blake gesessen hatte, und setzte sich direkt vor mich.

»Ich hätte nie gedacht, dass du irgendwann mal so hilflos vor mir liegen würdest. Aber so ist das Leben. Ich denke, für heute werde ich deinen abscheulichen Geruch ignorieren. Es wird auch ganz schnell gehen, das garantiere ich dir.«

Ich schloss die Augen und spürte, wie eine einzige Träne mein Gesicht entlanglief. Meine Lippen zitterten und ich saß einfach so da - eine leichtere Beute könnte es wohl nicht geben. Ich dachte an Noah, an jeden Kuss den ich von ihm bekommen hatte. An den ersten, an seinen intensiven Geruch. An dieses Gefühl wie es war, in seinen starken Armen zu liegen. Ich dachte an seine dunklen Augen, an sein verschmitztes Lächeln, an alles an ihm. Alles würde ich vermissen. Und auf der Stelle bereute ich jedes gesagte Wort am Vortag. Ich könnte ihn niemals hassen, und als ich dann seine Augen sah, die nichts als puren Schmerz widergespiegelt hatten, verpasste es mir einen tiefen Stich ins Herz.

»Wo sollte ich wohl den ersten Biss verpassen, Herzchen?«, fragte er und stand auf.

»Oder sollte ich dich doch lieber in Stücke zerreißen?«

Während er grübelte, wie er mich am besten hätte umbringen können, war ich mit meinen Gedanken wieder bei Noah.

Als sein Gesicht jedoch wieder nahe an meines war, holte ich mit letzter Kraft aus und wollte die Glasscherbe, die sich in meiner Hand befand, in seinen Hals rammen. Jedoch war er schneller, riss es mir aus der Hand und schaute es sich an.

»Na na, wo hast du das denn jetzt her? Das gehört sich für ein anständiges Mädchen wie dich aber überhaupt nicht. Lass mich mal gucken«, sagte er und schaute sich die spitze Scherbe an, nur um sich dann meinen Arm zu schnappen und einen tiefen Schnitt zu verpassen. Der Schmerz kam erst im Nachhinein, ein fürchterliches Brennen.

»Du glaubst es mir nicht, aber selbst als Wöfin riechst du so köstlich.« Er leckte sich über die Lippen.

»Jetzt hast du all die Antworten die du haben wolltest, bekommen. War es das wert? War es wert, dafür zu sterben? Blake hat recht. Du bist ein dummes Gör. Hast echt gedacht, dass du es mit Blake aufnehmen könntest und . . .« Er konnte nicht weiterreden, denn kurz darauf wurde die Tür gewaltig aufgeschlagen. Ich wusste nicht, wie ich vor Freude hätte reagieren sollen, aber noch nie war ich so froh, Ellas Gesicht gesehen zu haben. Wenn Ella hier war, war Noah auch nicht weit entfernt! Ein – wenn auch nur winziger - Hoffnungsschimmer machte sich in mir bereit.

»Sie ist hier«, schrie Ella und wollte auf mich zukommen, jedoch stellte sich Robert ihr in den Weg.

»Alyssa«, hörte ich eine Stimme schreien. Jetzt oder nie; Robert war abgelenkt und mir fiel mein letzter Ass in meinem Ärmel wieder ein. Ich griff in meinen Ausschnitt – versuchte es so gut es ging - und holte mein Klappmesser hinaus. Ich wollte aufstehen, jedoch spürte ich meine Beine immer noch nicht so richtig. Mein ganzer Körper war wie eingeschlafen. Ella hatte sich verwandelt und stand nun Robert gegenüber. Ich zwang mich hoch und stützte mich die Wand entlang ab, mit dem Messer in der Hand. Meine Sicht war mehr als verschwommen, aber ich durfte jetzt nicht aufgeben. Kurz bevor ich an der Tür war, kam mir jemand entgegengerannt. Wie ich ihn vermisst hatte, seine Augen, sein Gesicht, einfach alles.

»Noah . . .«, hauchte ich, ehe ich das Gleichgewicht verlor und er mich gerade so noch auffangen konnte.

»Alyssa«, sagte er mit zittriger Stimme.

»Es tut mir leid«, flüsterte ich.

»Ich bringe dich hier raus«, sagte er. Er hatte aber mehr mit sich selbst gesprochen als mit mir.

Hope you like it.

- G. <3


Run (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt