Kapitel 1

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Erik:

Ich werde am Morgen durch einen kleinen Körper, der sich zitternd an mich drückt geweckt. Sofort ziehe ich sie an mich und schließe sie in meine Arme. Sie hatte Angst. Jeder hatte heute Angst, auch ich. Denn es war Erntetag. Ein Mädchen und ein Junge aus jedem Distrikt wurden gezogen, damit sie sich gegenseitig in den Hungerspielen abschlachten. Und nur einer darf überleben. Meist ist es einer aus den ersten Distrikten. Sie werden von klein auf auf die Spiele vorbereitet, damit sie sich, wenn sie 18 sind freiwillig melden können. Wenn man jedoch aus einem der äußeren Distrikten kommt hat man kaum eine Chance. Es ist mein letztes Jahr. Doch viel mehr Angst habe ich um Tatjana. Sie ist erst 16 und hat somit noch zwei Jahre vor sich. Und wenn sie gezogen wird, dann wird sie auch nicht wieder kommen. Sie war zwar die schönste Frau aller Zeiten, aber sie war dafür auch sehr schwach und gutherzig. Sie würde es niemals über's Herz bringen jemand anderen zu töten. Leider war ich nicht der einzige, der sie so attraktiv fand. So gut wie jeder andere aus unserem Distrikt begehrt sie. Aber solange ich bei ihr war traute sich keiner mehr an sie ran. Einmal hatte es einer gewagt sie anzufassen, weshalb sie war nur weinend zu mir gelaufen war und sich zitternd an mich gedrückt hat. Daraufhin habe ich dem Kerl eine runter gehauen. Nicht unbedingt der beste Weg einen Konflikt zu lösen, aber es war effektiv. Keiner hatte sich seitdem mehr an sie ran getraut. Ich lasse sie seitdem auch nicht mehr alleine raus. Tja das ist Tatjana und dann war da noch ich. Ein riesiger Schrank von Mann ohne Familie. Ich war nicht annähernd so beliebt wie Tatjana. Ich war eher genau das Gegenteil. Alle waren sie neidisch auf mich oder hatten Angst vor mir. Meine ganze Familie war tot und Tatjana ist dann zu mir gezogen, damit ich nicht alleine lebe. Ihre Familie fand das nicht sehr toll, aber ich bin ihr immer noch sehr dankbar. Ich öffnete meine Augen und musterte sie. Mit ihren großen wunderschön grünen Augen schaute sie mich ängstlich an. „Ich habe so Angst.“ hauchte sie. „Shht. Du wirst schon nicht ausgewählt. Du bist nur vier mal drinnen und es gibt so viele andere Mädchen im Distrikt.“ Ich zwang mir ein Lächeln auf und strich ihr durch ihre langen, braunen Haare. Sie legte ihre kleinen Hände auf meine Brust und sah mich intensiv an. „Und was wenn du gezogen wirst? Du hast so viele Tesserasteine genommen.“ Es war jedes Jahr das selbe. Jedes Jahr diese Diskussion. „Ich werde nicht gezogen. Keiner von uns wird gezogen, okay?“ Sie schluckte und nickte leicht. „Komm jetzt. Wir dürfen nicht zu spät kommen.“ Sanft nahm ihren Kopf in meine Hände und gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn. Ich setzte mich auf und schwang meine Beine aus dem Bett. Leichte Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster und erleuchteten die ganzen Staubpartikel, die durch das Zimmer flogen. Ich ging in unser kleines Bad und wusch mir mit ein bisschen Wasser das Gesicht und meinen Bart. Ich ging zurück ins Schlafzimmer. Tatjana war nicht mehr da. Ich schaute auf die staubige Taschenuhr, die auf unserem kleinen Holzschrank lag. Es war 12:16. Um 14:00 Uhr beginnt die Ernte, doch man muss schon um 13:00 Uhr auf dem Platz erscheinen. Normalerweise wäre ich schon seit Stunden bei der Arbeit, aber es war Ernte. Keiner musste heute arbeiten und durfte ausschlafen, solange er konnte. Ich ging in unsere Küche, die gleichzeitig auch unser Wohnzimmer war. Wir hatten nur ein Haus mit drei Zimmer. Man verdiente einfach viel zu schlecht, um sich etwas besseres leisten zu können. Tatjana hatte schon den Tisch mit unseren spärlichen Auswahl an Essen gedeckt. Ein halber Käse und nur noch ein viertel Brot. Ich muss mir einen weiteren Job suchen. Ich habe zwar schon zwei, aber sie reichen immer noch nicht. Tatjana arbeitet auch schon durchgängig in der Fabrik. Ich würde ja gerne weiterhin Tesserasteine nehmen, aber ich bin jetzt 18. Es ist mein letztes Jahr. Und ab da darf man sie nicht mehr nehmen. Tatjana habe ich von Grund auf verboten welche zu nehmen. Ich setzte mich auf den knarzenden Stuhl gegenüber von ihr hin. Sie schnitt zwei hauchdünne Scheiben ab und gab mir eine. Auch vom Käse schnitt sie zwei dünne Scheiben ab. Ich nahm mir eine und legte sie auf mein Brot. Hungrig biss ich hinein. Ich wünschte so sehr wir könnten uns auch nur eine Tag mal satt essen. Aber solange man nicht im Kapitol lebt war das praktisch unmöglich. Ich habe sogar gehört, dass sie im Kapitol das Essen wieder ausspucken, nur damit sie noch mehr essen können. Es war ziemlich krank und reine Verschwendung. Es gibt so viele Menschen in den Distrikten, für die durch die wenige Nahrung es ein täglicher Kampf ums Überleben ist. Und was machen die? Fressen wie die Schweine, während die Menschen in den Distrikten verhungern. Kein Wunder, dass es einen Aufstand gab. Der Grund, warum es überhaupt die Hungerspiele gibt. Um angeblichen Frieden zwischen den Distrikten und dem Kapitol zu schaffen. Kein Wettstreit der Ehre, des Mutes und der Aufopferung, wie unser Bürgermeister jedes Jahr in seiner Rede sagt, sondern einfach nur eine Show, an der sich das Kapitol sich ergötzt. Mein Brot war schon lange aufgegessen. Ich hatte immer noch ziemlichen Hunger und auch Tatjana starrte nur hungrig auf das bisschen Brot, was wir noch hatten. Aber wir durften jetzt nicht noch mehr essen. Wir brauchen es noch für die nächsten Tage, vielleicht auch die nächsten Wochen. Mit einem lauten Seufzen stand sie auf und nahm zwei Tücher, in denen sie den Käse und das Brot einwickelte. Sie nahm beides und packte es in eine Kiste. Ich stand auf und nahm unsere Teller und das Messer mit zu dem Eimer Wasser, der auf einer Art Tisch stand. Ich tauchte den ersten ins Wasser und gab ihn Tatjana, die schon mit einem Handtuch auf mich wartete. Sie nahm ihn entgegen und trocknete ihn ab. Danach stellte ihn auf das Regal über dem Tisch und nahm den nächsten entgegen. So machten wir das jeden Tag. Es war viel zeitsparender, als wenn es nur einer macht. Nachdem alles fertig abgewaschen war trocknete ich noch meine Hände ab und folgte Tatjana ins Schlafzimmer. Sie war jedoch schon ihm Bad und schien sich zu waschen. Ich schaute wieder auf die Uhr. 12:38. Ich öffnete die unterste Schublade mit unseren besten Klamotten, die wir nur zur Ernte anzogen. Ich legte Tatjana ihre Sachen auf's Bett und nahm meine heraus. Ich wischte den Staub von dem Spiegel, der neben unserem Bett stand und zog mir meine Hose an. Ich war gerade dabei mein Hemd zuzuknöpfen, als Tatjana die Tür öffnete. Sie schlüpfte aus ihrer Hose und zog sich das Shirt über den Kopf. Sie war unglaublich dünn. Genau wie ich und jeder andere, doch gerade bei ihr schmerzte es mich es zu sehen. Es war einfach so unnatürlich und ungesund. Sie zog sich ihr Kleid an und machte den Reißverschluss zu. Ich nahm den Kamm, den ich damals von meiner Mutter bekommen hatte und bürstete meine Haare. Weiterhin beobachtete ich Tatjana durch den Spiegel. Sie zupfte den Spitzenkragen an ihrem Kleid zurecht und machte eine Schleife in das Band um ihrer Taille. Ich legte den Kamm zurück auf den Schrank und setzte mich auf's Bett. Sie schlüpfte in ihre Schuhe und nahm den Kamm wieder vom Schrank. Sie stellte sich vor mich und hielt mir den Kamm hin. „Kannst du?“  Mit ihrem süßesten Hundeblick schaute sie mich an. Ich nahm ihr den Kamm ab und stand auf. Ich stellte mich hinter sie an den Spiegel und begann sanft ihre Haare zu kämmen. Nach kurzer Zeit legte ich den Kamm wieder zur Seite und nahm die Klammern entgegen, die sie mir hin hielt. Ich drehte ihre Haare leicht ein und steckte sie dann nach oben. Ich strich ihren Kragen ein wenig glatt und küsste sie am Hals. Sie kicherte leicht und drehte sich zu mir um. Sanft legte sie ihre Hand an meine Wange und kraulte meinen Bart. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihre trockenen Lippen auf meine. Langsam löste sie sich wieder von mir und schaute auf die Uhr. Leise seufzte sie auf. „Wir müssen los.“ Ich nickte leicht und zog mir meine Schuhe an, die noch am Bett standen. Wir gingen durch's Haus und blieben vor der Haustür stehen. Zitternd griff sie nach meiner Hand und öffnete langsam die Tür.

Die Tribute von Panem - Panik & CurrbiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt