Kapitel 11

464 16 0
                                    

„Tracy", jammerte Kim und sah sie mit ihren großen Augen an, während sie ihrer besten Freundin nachlief.
„Nein! Lass es. Ich weiß nicht mal, was du meinst", wehrte sie ab und biss sich auf die Lippe.
„Komm schon. Wer ist er?"
Kim lief ihr schnell hinterher, als Tracy ihre Schritte beschleunigte. Sie wollte wirklich nicht mit Kim darüber reden und ihr war das alles unglaublich peinlich. Sie fragte sich sowieso, wie ihre beste Freundin auf so etwas kam.
„Tracy! Du bleibst jetzt auf der Stelle stehen!", meinte Kim mit fester Stimme und vollkommen ohne Erbarmen. Erstaunlicherweise blieb sie wirklich stehen und drehte sich seufzend um. Ergeben hob sie die Hände.
„Kim... ich weiß wirklich nicht, was du meinst. Es gibt keinen Jungen. Ich habe niemanden kennengelernt. Wo oder eher wie denn auch? Ich war bisher auf keiner Party und abgesehen vom Essen, wo ich bei dir und Daniel sitze, und dann noch im Schlafsaal, wo sich, wenn ich absolut ehrlich bin, niemand befindet, in den ich mich verlieben würde. Auch nicht, wen einer von denen der letzte Mensch auf der Welt ist. Die meisten sind sowieso ziemliche Flaschen, auch wenn sie alle ganz gut aussehen. Aussehen ist aber leider nicht alles. Und die einzigen, die in Frage kommen würden, wären Cole und Daniel."

Sofort verzog Kim das Gesicht: „Wirklich? Daniel? Ich meine, er ist unser bester Freund. Du stehst doch nicht auf ihn. Oder?"
Tracy hätte am liebsten gelacht. Was? Das war eigentlich nicht wirklich ernst gemeint gewesen. Sie würde nie etwas mit Daniel anfangen. Sie hatte bloß freundschaftliche Gefühle für ihn. Mehr aber auch nicht. Und Cole? Er war eigentlich sehr nett, aber er hatte sich zu dem Mädchenschwarm entwickelt, wie sich Tracy das von vorne herein gedacht hatte. Es würde also nicht mehr lange dauern, bis er sich zum Player entwickeln würde und Tracy hatte nicht vor sein erstes Opfer zu werden. Wobei es immer noch besser wäre, als das hundertste Opfer eines Playboys zu sein.

„Komm mal wieder auf den Teppich, Kim!", beruhigte Tracy die Blonde, die aussah, als wäre sie kurz vorm verzweifeln. „Ich habe nicht vor, dir Daniel wegzunehmen. Und an Cole bin ich auch nicht interessiert."

Kim schnappte empört nach Luft und quietschte mit unnatürlich hoher Stimme: „Was? Wie kommst du denn darauf? Ich will auch nichts von Daniel." Dabei färbten sich ihre Wangen rot und sie spielte nervös mit einer Strähne ihres Haares.
„Wen willst du hier überzeugen? Mich oder dich?"
Tracy grinste und ging weiter, wobei ihre Freundin ihr folgte. Beide schwiegen kurz. Kim versuchte ihre Gedanken zu ordnen und ruhig zu bleiben. Es war einfach zum verrückt werden. Wieso konnte Tracy so einfach in ihren Kopf gucken? Okay. Sie konnte nicht wirklich sehr gut lügen, aber trotzdem. Es war irgendwie nicht fair.

„Ich muss mich nicht überzeugen!", protestierte sie schließlich. „Ich weiß es. Und lenke nicht ab. Ich sehe doch, dass du so gute Laune hast und am strahlenden Sonnenschein und dem schönen blauen Himmel wird das ja sicher nicht liegen."
Mit diesen Worten zeigte sie an die graue Decke und Tracy wurde sofort wieder daran erinnert, dass sie nun schon seit geraumer Zeit keine frische Luft mehr abbekommen hatte. Wenn sie ehrlich war vermisste sie es etwas. Aber sie wusste, dass sie, wenn sie eine richtige und vollwertige Ferox war, auch nach draußen gehen durfte, ohne die Erlaubnis von irgendwem zu bekommen, und das hob ihre Laune etwas.

„Ich bitte dich! Kim! Du bist meine beste Freundin. Wenn etwas interessantes in meinem Leben passiert, werde ich dir das schon erzählen. Jetzt mach dir doch nicht immer solche Gedanken. Das ist ja zum verrückt werden."
„Pff!", machte Kim und sah sie unbeeindruckt an. „Ich glaube dir irgendwie nicht und weißt du was? Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir ganz verschiedene Auffassungen von dem Wort 'wichtig' haben. Meinst du nicht auch?"

Tracy hätte fluchen können. Sie stimmte dieser Aussage vollkommen zu, aber sie hätte nicht gedacht, dass Kim diese kleine Lücke in ihrem Versprechen entdeckte. Scheinbar hatte sie sich getäuscht.
Ein weiteres Mal seufzte sie: „Okay, okay! Es tut mir Leid. Ich werde dich ab jetzt nicht mehr anlügen. Ja, es gibt da jemanden, den ich mag. Nein, ich werde dir den Namen nicht verraten. Ja, wenn etwas passiert, dann werde ich es dir sagen. Okay? Bist du zufrieden?"
Kim nickte und quietschte: „Du hast dich verliebt! Ist das süß! Ich werde nicht weiter nachhaken. Aber meine Augen behalte ich trotzdem offen. Ich werde dich und dein Umfeld genau beobachten."
Die Braunhaarige verdrehte die Augen: „Du bist einfach unglaublich. Wenn ich jemanden mag erkennst du es sofort, aber bei dir selbst verschließt du deine Augen. Man muss nicht sonderlich klug sein, um zu bemerken, dass du in Daniel verknallt bist und wo wir gerade so dabei sind: Ich bin nicht verliebt. Ich mag ihn. Aber mehr kann ich jetzt auch nicht sagen."

Damit drehte sich Tracy um und ging ohne Kim weiter. Sie wollte nicht zu spät zum Training kommen und das würde heute auf dem Dach stattfinden. Der Weg dort hin war sehr viel länger, als bis zur Trainingshalle.
Sie würden heute schießen lernen und dafür würden sie bis auf das Dach des Ferox Hauptquartiers müssen. Tracy freute sich schon, vor allem, weil sie es sich in etwa so vorstellte, wie beim Messerwurf. Es kam eben auf Genauigkeit an. Man sollte dort nicht unbedingt drauf los feuern. Aber wie genau die Waffen funktionierten, wusste sie nicht. Das war aber gar nicht schlimm, denn genau dafür waren sie ja hier. Um das zu lernen.

Eilig lief sie weiter. Sie hatten heute morgen im Speisesaal den Weg aufs Dach erklärt bekommen. Doch Tracy konnte sich nur noch an die Hälfte der Beschreibung erinnern. Wäre sie mal besser nicht vorgegangen. Die anderen Initianten aßen noch und Kim war vermutlich auch wieder zurück gegangen. Leider musste sie auch zugeben, dass sie nun an der Stelle angekommen war, wo sie den Weg nicht mehr wusste. Vor ihr erstreckten sich nun zwei Abbiegungen und sie konnte sich wirklich nicht entscheiden, welchen Weg sie nehmen sollte. In einem Kinderbuch hatte sie früher mal gelesen, dass wenn man sich in einem Labyrinth verirrte, man immer nach rechts gehen musste und dann irgendwann wieder an den Ausgang gelangte. Aber zum einen befand sich Tracy gerade nicht in einem Labyrinth und außerdem hatte sie so eine Art Tick. Immer wenn sie die Wahl zwischen zwei Wegen hatte, nahm sie den linken. Also dachte sie gar nicht darüber nach. Sie konnte ja immer noch umkehren. Sie musste nur endlich mal die Treppe oder den Aufzug oder was auch immer finden, der nach oben führte. Sie lief eine Weile durch den linken Gang und bekam immer mehr das Gefühl, dass es nicht die richtige Wahl getroffen hatte.

Mittlerweile war sie an einigen Türen angekommen. Es sah fast so aus, als hätte sie die Wohnungen der vollwertigen Ferox gefunden. An den Wohnungstüren standen Zahlen. Links von ihr war 132 und dahinter, ebenfalls auf der linken Seite war 134. Rechts waren 133 und 135. Es war so wie in Straßen. Auf der einen Seite waren die ungeraden Zahlen und auf der anderen die geraden. So ging das scheinbar noch viele Türen weiter.

Frustriert seufzte Tracy. Auch wenn es sehr interessant war, war das nicht das, was sie wollte. Also drehte sie sich wieder um und lief langsam an den Türen vorbei, als plötzlich 134 ruckartig geöffnet wurde. Erschrocken trat Tracy zurück und begab sich in Angriffsposition, so wie sie es im Training gelernt hatte. Als sie allerdings sah, wer aus der Tür getreten war und sie nun skeptisch musterte, war ihr ihre Reaktion extrem unangenehm. Peinlich berührt räusperte sie sich und biss sich auf die Lippen.
„Ähm", machte sie und sah auf den Boden.
„Was tust du hier? Du hast hier nichts zu suchen!", meinte Eric vollkommen ruhig. Seine Haare waren, wie immer perfekt gestylt und Tracy musste sich wirklich bemühen, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Hatte Kim etwa Recht und sie hatte sich verliebt? Wie konnte das nur sein? Die letzten Tage hatte sie nichts, als Abscheu gegenüber Eric verspürt und jetzt plötzlich, war das alles weg. Und zu allem Überfluss hatte sie auch noch so ein Kribbeln in ihrem Bauch.

„Ich war auf dem Weg aufs Dach und habe mich wohl etwas verlaufen. Es tut mir wirklich Leid. Ich wusste nicht, dass ich hier nicht hin darf. Ich habe glaube ich nur den falschen Weg genommen", plapperte sie und kam sich dabei so dumm vor. Wieso konnte sie nicht ihre Klappe halten?!
Eric stieß leise Luft aus: „Du redest zu viel. So bist du doch sonst nicht."
Damit schloss er seine Tür ab und lief vor. Tracy folgte ihm.
„Komm einfach mit. Wir haben ja eh das gleiche Ziel. Auch wenn du etwas früh bist. Dann muss ich wenigstens nicht alleine aufbauen und du kannst dich etwas nützlich machen. Es ist ja auch nicht so, dass ich diesen nervigen kleinen Initianten gerne alles hinterher trage", meinte er leicht genervt.

„Ich weiß, was du meinst", erwiderte Tracy und dachte dabei an ihre Kindheit bei den Candor. Sie hatte schon, als sie klein war immer ihrer Mutter alles hinterher geräumt. Man konnte nicht sagen, dass sie eine schlechte Mutter war, aber sie war manchmal einfach zu selten Zuhause. Entweder war sie Arbeiten oder shoppen und außerdem war sie nicht sehr selbstständig. Ständig musste man ihr helfen. Ob es beim Putzen oder beim Kochen war. Kein Wunder, dass Tracy's Mutter, irgendwann eine Putzfrau eingestellt hatte und ihr Vater hatte sich mit Tracy abgewechselt, was das Kochen anging.

Schnell schüttelte Tracy ihren Kopf, um diesen Gedanken wieder aus dem Kopf zu bekommen. Wieso dachte sie auch ständig über ihre Vergangenheit nach?
„Komm. Wir müssen hier nach rechts", meinte Eric und legte ihr eine Hand auf den Rücken, um sie um die Ecke zu schieben. Tracy konnte die Wärme seiner Hand durch ihr Shirt fühlen und dort, wo er sie berührte, kribbelte es schon wieder. Es fühlte sich gut an.

„Hilft Lauren auch beim Aufbauen?", wollte Tracy wissen, um sich etwas abzulenken und hätte sich im nächsten Moment am liebsten geschlagen. Was war denn das für eine bescheuerte Frage von ihr?! 'Hilft Lauren auch beim Aufbauen?', äffte sie sich innerlich selbst nach.
Auch Eric sah sie verwundert an: „Ähm... nein. Die würde niemals früher aufstehen, um sich die Finger schmutzig zu machen, die kleine Schla-..."
Abrupt hörte er auf zu reden und es war ihm sichtlich unangenehm, dass er scheinbar vergessen hatte, dass er da mit einer Initiantin über die Trainerin sprach und das auch noch ziemlich abfällig.
„Was ich sagen wollte: Nein sie hilft nicht mit. Apropos.. weshalb bist du eigentlich schon hier?", wechselte Eric schnell das Thema und Tracy ging gerne darauf ein.
„Ich war etwas aufgeregt, weil ich mich schon so auf das Schießen freue. Ich hoffe, dass es genauso viel Spaß macht, wie das Messerwerfen. Auch wenn ich bezweifle, dass das überhaupt möglich ist."

Tracy grinste bei dem Gedanken an das gestrige Training und auch Eric schmunzelte leicht. Man hatte wirklich gesehen, dass es ihr Spaß gemacht hatte.

Die Treppe hatte mindestens 80 Stufen, wie Tracy schätzte und jetzt wunderte sie sich auch nicht mehr, dass sie sich heute nicht aufwärmten. Sie konnte sich gut vorstellen, dass die anderen nach diesem Gang nach oben noch verschwitzter waren, als sie. Vor allem, weil die letzten paar Stufen keine richtigen Stufen waren, sondern Sprossen von einer Leiter. Tracy hasste Leitern. Sie war mal auf einer ausgerutscht und mit dem Rücken auf den Boden gefallen. Nach dem Aufprall spürte sie den Schreck in jedem Muskel und die ganze Luft wurde aus den Lungen gepresst. Seitdem hasste sie Leitern. Nicht die Höhe, aber Leitern.

„Hörst du mir zu?", wollte Eric wissen und wedelte mit der Hand vor Tracy's Gesicht herum. Dabei versuchte er streng auszusehen, doch sie bemerkte sein leichtes, kaum vorhandenes Schmunzeln sofort.
„Aber sicher doch!", grinste sie und salutierte vor ihm. Auch Eric's Schmunzeln wurde nun größer.
„Ach ja?"; meinte er und stellte sich ganz nah vor sie. „Was habe ich denn gesagt?"
Tracy blickte zu ihm hoch und es prickelte an ihrem ganzen Körper. Es passte kaum noch ein Blatt zwischen sie und auch Eric war ganz still geworden. Er beugte sich etwas weiter nach unten und Tracy's Brust hob und senkte sich schnell. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals.
„Äh", meinte sie und versuchte nachzudenken. Eric stand ihr so nah. Gerade hatte sie noch eine perfekte Antwort im Kopf gehabt, die ihn aus den Socken gerissen hätte, aber so stand sie nun, wie bekloppt da. „Ich weiß nicht mehr", hauchte sie dann und Eric ging schnell einen Schritt zurück, als er ihren Atem auf seiner Haut spürte. Es war, als hätte er sich verbrannt und Tracy blickte schnell zu Boden. Kurz hatte sie wirklich gedacht, dass er sie küssen würde. Wie hatte sie sich nur so irren können?

„Hilf mir beim Aufbauen"; meinte er streng und dieses mal war nicht auch nur der Ansatz eines Lächelns zu sehen. Stattdessen sah er nur kalt und abwertend auf sie hinunter, bevor er sich umdrehte und ihr ein paar Zielscheiben reichte, die wieder in der Form von Menschen waren. Tracy half, sie an einer Mauer aufzustellen und zu befestigen. Die anderen Initianten würden mit Sicherheit auch bald zu ihnen stoßen und bis dahin sollte alles fertig sein, damit sie auch direkt anfangen konnten.
Eric malte mit einem weißen Spray eine Linie auf den Boden, von wo aus die Initianten später wohl schießen sollten. Dann legte er ein paar Pistolen auf den Tisch. Tracy sah ihm verwundert dabei zu.

„Wo sind die Kugeln?", wollte sie wissen und Eric sah sie an, als wäre sie verrückt geworden.
„Du spinnst ja wohl, oder?", schnaubte er empört. „Ich werde diesen Vollpfosten doch keine geladene Waffe in die Hände drücken. Die haben keine Ahnung, wie man mit so etwas umgeht und würden vermutlich, bevor ich auch nur zu Wort komme, um sich schießen, wie Verrückte. Aber ich werde ihnen davor Anweisungen geben und wenn sie sich nicht daran halten, werden sie ziemlichen Ärger bekommen. Und wenn du es niemandem erzählst, dann kann ich dir ja sagen, dass diese Patronen heute keine echten sind und wenn einer der Initianten auf einen anderen Menschen zielt, kann es zwar schmerzen, aber es bringt einen nicht um."
Eric schien ja damit Erfahrung zu haben, deshalb ließ Tracy seine Antwort einfach mal so stehen. Sie würde es sicher nicht weiter sagen und hielt es persönlich auch für vernünftiger, dass die Waffen keine echten Patronen beinhalten würden.



„Eric! Da bist du ja!", erschallte Lauren's Stimme über das Dach und Eric stöhnte genervt auf. Tracy konnte ihn verstehen. Lauren war bestimmt eine Stunde zu spät und die Initianten übten schon richtig. Nachdem Eric ihnen erst mal eine Rede über Verantwortung gehalten hatte, was Tracy ziemlich verwundert hatte, hatte er ihnen gezeigt, wie man schoss. Dann durften sie es selbst ausprobieren und sowohl Tracy, als auch Eric waren erstaunt, dass sich alle an die Regeln hielten. Außerdem funktionierte es bei allen und nach etwa 10 Minuten schafften es auch alle, das Ziel zu treffen. Manche besser, als andere, aber immerhin verstanden alle das, was ihnen gesagt wurde und konnten es umsetzen. Selbst Devon machte sich großartig und warum auch immer, war Tracy ein wenig stolz darauf, dass sich keiner in ihrer Gruppe vollkommen bescheuert anstellte und seine Mitinitianten abknallte.

Lauren kam arschwackelnd auf Eric zu, der schräg hinter Tracy und Kevin stand und den beiden beim schießen zusah. Dieser rollte mit den Augen und sah ihr wütend entgegen.
„Du bist zu spät", meinte er und man konnte hören, dass es ihm schwer fiel, seine Wut zu unterdrücken. „Du hast einen Job. Also komm gefälligst auch pünktlich."
Lauren schnaubte und schien nicht minder wütend zu sein: „Vielleicht war ich ja etwas wütend, weil ich gestern wegen einem gewissen Anführer noch wach war und auf ihn gewartet habe. Vergebens!"
Tracy hörte heimlich das Gespräch mit an und hatte das Gefühl, als würde sie am liebsten kotzen wollen. Wieso hatte Lauren gestern auf ihn gewartet? Wollte er sich mit ihr treffen? Um was zu tun? Okay. Sie wollte es sich eigentlich gar nicht vorstellen. Aber wenn sie es richtig verstanden hatte, dann war Eric ja wohl nicht aufgetaucht.

„Sei still!", zischte er Lauren zu, in der Hoffnung, dass keiner der Initianten das bisherige Gespräch belauscht hatte. Allerdings hatten die meisten aufgehört, zu schießen und drehten sich nun verwundert zu ihnen um. Nur Tracy und Devon schossen weiter. Devon, weil er nicht schon wieder Ärger bekommen wollte und Tracy, weil sie zwar zuhörte, aber nicht wollte, dass Eric dachte, es würde sie interessieren.

„Ich soll still sein?", wollte die Trainerin empört wissen und tippte Eric mit ihrem Zeigefinger auf die Brust. „Ich habe auf dich gewartet und ich hatte mich hübsch gemacht. Ich war ganz nackt."
Den Rest flüsterte sie ihm verführerisch ins Ohr und beugte sich zu ihm vor, wobei sie ihre Brüste an ihn presste, sodass sie noch größer aussahen. Eric sah ihr dabei kein bisschen beeindruckt zu und schien eher genervt. Aus den Augenwinkeln konnte Tracy sehen, wie Devon sich nun leicht umdrehte und Lauren direkt in den Ausschnitt sah. Am liebsten hätte sie laut aufgelacht. Dieser Blick von Devon war wirklich zum totlachen. Es sah aus. Als würde er gleich anfangen, zu sabbern.
„Schön", erwiderte Eric. „Du warst nackt. Ist ja bei dir nichts besonderes."
Lauren ignorierte ihn: „Du kannst es aber wieder gut machen. Später. Nach dem Abendessen. Du und ich. Ganz allein."

Eric seufzte: „Komm nicht noch einmal zu spät." Damit wendet er sich ab und guckte zu den Initianten, die ihre beiden Trainer teils skeptisch, teils belustigt musterten. „Macht weiter! Hat jemand was vom Aufhören gesagt?! Wenn ihr nicht sofort weiter übt, dann macht ihr alle ein paar Strafrunden. Und glaubt mir, mir ist das egal! Ich kann euch auch bis morgen früh weiter schuften lassen!"
Eric brüllte laut über das Dach, doch manche waren einfach zu perplex, als dass sie sofort hätten weitermachen können. Lediglich Tracy und Devon waren noch am Schießen. Eric's Geduld schien allerdings schon zu überspannt, als dass er noch viel Nachsicht hätte mit sich bringen können.

„Okay! Das reicht. Alle außer Tracy und, ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal sagen würde, Devon kommen nach dem Mittagessen in die Trainingshalle zu einem Straftraining!"

Sofort zogen alle den Kopf ein und begannen wieder mit den Übungen. Auch Lauren lief nun wieder herum und versuchte die Initianten zu korrigieren, ohne sich anmerken zu lassen, wie peinlich ihr die Situation gegen Ende gewesen war. Tracy hatte ein fettes Grinsen auf ihrem Gesicht, was sie verzweifelt zu unterdrücken versuchte. Doch mit der Zeit wurde es immer schwerer und sie fing leise an zu kichern.

„Das fandest du wohl sehr lustig. Nicht wahr?", hauchte Eric's raue Stimme hinter ihr. „Du solltest aufpassen. Wenn Lauren das hört, bist du auch ganz schnell im Team 'Ich-habe-Scheiße-gebaut-und-muss-extra-Training-absolvieren'."
Tracy schnaubte: „Und was besseres, als dieser Name ist dir nicht eingefallen?"
„Du legst es wohl darauf an, übers Knie gelegt zu werden", stellte Eric fest und lehnte sich von hinten ganz nah an Tracy heran, von wo aus er ihr grinsend ins Ohr hauchte: „Oder ist dir das zu schmutzig?"

Tracy ließ ihre Waffe sinken und drehte sich leicht zu ihm um: „Stimmt. Das ist nicht ganz so mein Ding. Außerdem solltest du dich vielleicht um Kevin kümmern. Ich denke, dass Lauren ihn, wenn er noch weiter so daneben schießt, mit ihren Blicken töten wird."
Damit sah sie mit einem Seitenblick zu Lauren, die ihr Gesicht gerade zu einer wütenden Fratze verzog. Sie erinnerte sie ein wenig an ihre ehemalige Kenlehrerin in Algebra. Sie hatte Tracy schon immer an einen Drachen oder etwas ähnliches erinnert und immer, wenn sie sauer wurde, dann hatte man das Gefühl, dass ihr Augen dunkler wurden und die meisten Kinder waren sich sicher gewesen, dass es nicht mehr lange dauern könnte und sie würde aus ihrem Mund Feuer speien. Natürlich waren das nur Fantasien junger Kinder. Trotzdem war es lustig gewesen, sich komische Schauergeschichten über sie auszudenken.

Eric sah zu Lauren, die gerade ihre Hände zu einer Faust ballte und wohl kurz davor war, Kevin eine reinzuhauen.
„Lauren!", rief Eric und eilte zu ihr, um sie von dem abzubringen, was sie später vermutlich mal bereuen würde. Tracy verdrehte die Augen und schoss wieder auf die Figur.

Es machte fast genauso viel Spaß, wie das Messerwerfen. Aber mit Messern gefiel es ihr doch etwas besser. Da hatte sie einfach mehr Gefühl für das, was sie tat. Sie hatte das Messer in ihren Händen, konnte es ausbalancieren und in die Richtung lenken, in die sie es haben wollte.


Nach dem Training gingen alle erst mal zum Essen, wobei sich Daniel die ganze Zeit über Eric aufregte: „Ich hasse diesen Scheißkerl! Straftraining?! Wisst ihr, was ich gerade gehört habe? Er wird nicht mal anwesend sein und stattdessen wird Lauren das Training leiten, weil sie ja eine Stunde zu spät war. Geschieht ihr irgendwie recht. Aber ich kann nicht glauben, dass dieser dämliche Flachwichser uns wirklich dazu verdonnert, mit dieser Schlampe Straftraining zu machen."
„Daniel. Du solltest aufhören, so viele Schimpfwörter zu benutzen", meinte Kim und sah ihren besten Freund tadelnd an. „Ich kann dich ja verstehen, denn falls du es schon vergessen haben solltest, wir sind alle mit dabei. Naja.. also alle bis auf Tracy und Devon. Diese Streber."
Tracy sah Kim verwundert und empört an. Streber? Sie? Niemals! Wie zum Teufel kam sie darauf?
„Ich soll ein Streber sein? DEVON soll ein Streber sein?", lachte Tracy laut auf. „Wo? Im Land der unmöglichen Möglichkeiten?"

Tracy gackerte lauthals vor sich hin und wäre sie noch bei den Candor, hätte sie sicherlich die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen. Aber sie war nun mal bei den Ferox und hier war es nichts außergewöhnliches, dass jemand mal laut wurde. Es erregte nur die Aufmerksamkeit der anderen, wenn es um einen der Anführer ging, oder um irgendjemand anderen, der einen hohen Rang hier inne hatte.

„Okay. Das war vielleicht nicht unbedingt das perfekte Wort, aber trotzdem! Nur weil ihr weitergemacht habt. Wie habt ihr es eigentlich geschafft, die beiden zu ignorieren? Das war doch wirklich zu lustig. Ich meine, ich wusste ja, dass Lauren ein ziemliches Flittchen ist, aber dass sie sich auf Eric einlässt... Ich meine, wie bescheuert muss man sein, auf sein Machogehabe reinzufallen? Er ist so ekelhaft zu den Frauen. Der Tätowierer, der mir die Blume auf mein Handgelenk gestochen hat, hat gesagt, dass Eric seit er hier ist fast wöchentlich eine Neue hat. Wie tief muss man denn sinken, um sich in ihn zu verlieben, geschweige denn mit ihm ins Bett zu steigen?"

Kim hatte sich so in Rage geredet, dass sie gar nicht bemerkte, wie Tracy schluckte und betreten auf ihre Finger sah. Aber Daniel hatte es bemerkt und sah nun vollkommen verwirrt auf auf die Braunhaarige, die seinen Blick aber gar nicht bemerkte.

„Jedenfalls macht er beim Training nicht mit, wie Daniel eben gesagt hat. Aber die Pause ist vorbei. Wir müssen jetzt los", meinte Kim und zeigte zu Abby und Cole, die gerade zusammen den Speisesaal verließen. Tracy nickte abgelenkt, als Daniel und Kim aufstanden und den Tisch, an dem sie zusammen gesessen hatten, verließen. Tracy konnte sich gar nicht bewegen. Kim's Worte geisterten in ihrem Kopf umher. Wie konnte man sich von Eric angezogen fühlen? War sie verrückt? Stimmte etwas nicht mit ihr? Und überhaupt: Wann hatte sie sich nochmal dazu entschlossen, dass sie sich von Eric angezogen fühlte? Hatte sie sich in ihn verliebt? Sie war so unglaublich verwirrt.

Grübelnd starrte sie auf die Tischplatte, sodass sie gar nicht bemerkte, wie sich Eric mit einem vollen Teller Pommes vor sie setzte und ihr dabei zusah, wie sie bei den verschiedenen Gedanken komische Grimassen zog und ab und zu schwer aufseufzte.
„Worüber du denkscht du denn so angeschtrengt nach?", schmatzte er mit vollem Mund und riss sie somit aus ihren Gedanken. Tracy sah ihn erschrocken an und verzog dann angeekelt den Mund.
„Rede nicht mit vollem Mund", mahnte sie und meinte es auch wirklich ernst. Für sie gab es nichts schlimmeres, als wenn Leute mit vollem Mund sprachen. „Und worüber ich nachdenke ist nicht wichtig und geht dich nichts an."
„Es geht mich also nichts an?"
„Nein, das tut es nicht. Was machst du überhaupt hier?", schnappte Tracy und versuchte nicht rot zu werden, was ihr kläglich misslang.
„Erstens wollte ich nicht alleine essen und du bist die einzige, die noch hier sitzt", Tracy sah sich kurz um. Eric hatte Recht. „und zweitens, bist du niedlich, wenn du rot wirst."
Tracy zog ihre Nase kraus und kniff ihre Augen zusammen: „Flirtest du mit mir?"
„Das würde mir nie einfallen", grinste er zurück und aß eine Pommes. Tracy konnte nicht anders und ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.
„Das solltest du wirklich nicht tun", maßregelte sie ihn.
„Wieso denn nicht?"
„Warum wohl?"
„Keine Ahnung. Sag du es mir!", dabei sah er wirklich verwirrt aus.
„Weil du mehr oder weniger eine Freundin hast, bei der du heute Abend eine 'Wiedergutmachung' leisten musst."

Eric schnaubte: „Zunächst mal ist sie nicht meine Freundin, sondern nur jemand, mit dem ich, bis vor ein paar Wochen, alle paar Tage mal abends Kontakt hatte. Aber mehr auch nicht. Ich denke, sie hat noch nicht so vollkommen verstanden, dass ich langsam kein Interesse mehr an ihr und ihren ... ihren Dienstleistungen habe."

Tracy fand es lustig, wie er versuchte es so vorsichtig, wie möglich zu umschreiben und sie hätte sicher gelacht, wenn der Gedanke an Lauren und Eric zusammen im Bett ihr nicht so wehgetan hätte. Es schmerzte, auch wenn sie sich versuchte einzureden, dass es egal war.

„Tracy?", sprach er sie an und hörte nun auch auf zu essen, bevor er anfing zu grinsen. „Es stört dich, dass ich mit ihr geschlafen habe!"
„Was?!", wehrte sie ab und sah hektisch hin und her.
„Versuch gar nicht erst es zu leugnen! Du magst mich und es stört dich, wenn ich auch nur von ihr rede."
Tracy biss fast die Zähne zusammen und sah ihn gereizt an, während er eher triumphierend aussah: „Ich weiß nicht, was du meinst! Du bist mein Trainer und Anführer. Also benimm dich auch so. Außerdem bist du viel älter als ich und.."
„Vier Jahre nennst du viel?"
„.. vor allem haben meine Freunde Recht. Wie könnte man sich in ein Ekelpaket, wie dich verlieben, dass die Frauen häufiger wechselt, als die Unterhosen und keinen Respekt ihnen gegenüber hat? Du bist mir sowieso schon viel näher gekommen, als du vermutlich dürftest und ich habe nicht vor meinen ersten Freund nur für drei Tage zu haben, bevor er sich von mir trennt und ich verlassen und gedemütigt zurück bleibe. Wie könnte ich mich nur selbst auf diese Weise zerstören?"

Schwer atmend hielt sie inne, und bemerkte erst jetzt, dass sich Eric's und ihre Nase fast schon berührten, so nah waren sie sich. Sie konnte seine blauen leuchtenden Augen sehen, die sie so verletzt musterten. Sie schluckte: „Ich.,."
Weiter konnte sie nicht sprechen, denn schon wurde sie von Eric's Lippen unterbrochen, die sich fest auf ihre pressten. Tracy hatte das Gefühl, als würde in ihrem Bauch ein riesiges Feuerwerk stattfinden. Ihr Körper kribbelte und ihre Lippen drückten sich denen von Eric entgegen. Sie wollte mehr. Viel mehr. Aber bevor sie auch nur irgendetwas tun konnte, löste er sich wieder von ihr. Er hatte immer noch den gleichen schmerzlichen Gesichtsausdruck, wie vor dem Kuss.

„Es ist schade, dass ich dich scheinbar so sehr anekle."

Damit stand er auf und verließ den Speisesaal.





Tracy LevineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt