Kapitel 27

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Tracy hatte das Gefühl, dass ihr das Blut in den Adern gefror, als sie die Stimme hörte. Sie wollte sich nicht umdrehen und dieser Person in die Augen sehen. Sie wollte, dass er verschwand und sie in Ruhe ließ.
Wut durchzuckte sie, als Daniel freundlich anbot: „Hey! Willst du dich nicht hinsetzen?"
„Würde ich gerne, aber zuerst muss ich mit Tracy reden", kam die Antwort.
Kim runzelte die Stirn, als sie ihrer besten Freundin ins Gesicht sah. Tracy sah sie panisch und flehend an. Ihr war klar, dass Kim ihre Reaktion nicht verstand, trotzdem mischte sich diese geistesgegenwärtig ein und stellte mit deutlicher, aber strenger Stimme klar: „Sie will sich aber nicht mit dir unterhalten. Also mach die Fliege!"

„Ich bitte dich, Tracy", versuchte es Derek nun. „Lass mich doch wenigstens erklären."
Sauer drehte sie sich um: „Erklären?! Da gibt es nichts zu erklären! Ich würde sagen, dass deine Tat für sich selbst spricht."
„Ich war betrunken. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle", versuchte er die Fast-Vergewaltigung herunterzuspielen.
„Nein!", wehrte Tracy ab und versuchte die irritierten und sorgenvollen Blicke ihrer Freunde zu ignorieren. „Ich war betrunken. Du hattest dich voll im Griff und dir war sehr wohl bewusst, was du getan hast."
„Ich konnte...", wollte er anfangen.
„Sie möchte nicht mit dir reden! Verschwinde!", zischte Kim feindselig.
„Das hast du nicht zu entscheiden", fauchte er zurück.
Tracy schnaubte abfällig: „Wie oft denn noch? Ich will nicht mit dir reden und ich werde es auch nicht. Verschwinde und sei froh, dass das keine Folgen haben wird. Ich halte meine Klappe den anderen gegenüber, aber nur, wenn du jetzt abhaust und mich niemals wieder ansprichst und ansiehst. Ach ja. Und sollte ich mitbekommen, dass du einem anderen Mädchen das Gleiche antun willst, dann ist mein Schweigen zu Ende!"
„Tracy, bitte...", versuchte er es.
„Jetzt geh! Oder ich hole Eric", drohte sie ihm an, was ihn Schlucken ließ. Es schien, als wollte er noch etwas sagen, doch dann hielt er seine Klappe und verschwand zähneknirschend.

Ärgerlich sah Kim Derek hinterher, bevor sie sich wieder Tracy zuwandte: „Du weißt, dass du mir das erklären musst?"
Ergeben nickte sie. Das musste sie wohl tatsächlich. Immerhin hatten ihr Kim und Daniel gerade wirklich geholfen und das, ohne zu wissen, worum es überhaupt ging. Außerdem waren die Beiden ihre Freunde und sie würden sie verstehen, auch wenn es Tracy sehr unangenehm und peinlich war, davon zu erzählen.

„Okay", willigte sie ein. „Aber nicht hier."
„Ist es denn ein solches Geheimnis?", fragte Daniel ungläubig, als sie zu dritt den Speisesaal verließen.
„Geheim genug, um neugierige Ohren nicht mithören zu lassen."

Die Tür zum Trainingsraum war glücklicherweise nicht abgeschlossen. Seit die zweite Phase begonnen hatte, war der Trainingsraum wieder allen Ferox zugänglich. Auch jetzt trainierten dort einige Leute. Die drei Initianten ignorierten die anderen und liefen in eine der hinteren Ecken, wo sie sich auf ein paar aufeinander gestapelte Matten setzten.
„Also: Was ist passiert? Bei der Party schienen Derek und du euch noch ganz gut zu verstehen."
Tracy seufzte. Gut verstanden? So würde sie das nun wirklich nicht nennen.

„Naja... gut verstanden haben wir uns von meiner Seite her nicht wirklich. Ich wollte eigentlich bloß nicht unfreundlich sein. Also haben wir ein wenig getanzt und ich habe ein bisschen zu viel getrunken. Dann sind wir raus gegangen, was wirklich ziemlich dämlich von mir war. Ich hatte ihm glaube ich etwas sagen wollen und er hat mich bei der lauten Musik nicht verstanden."
Sie schluckte. Jetzt musste sie weiter erzählen. Sie war schon so weit gekommen.

Ihre Freunde musterten sie nachdenklich und abwartend. Bisher war ja noch nichts wirklich schlimmes passiert.
„Kaum, dass wir draußen in einem stillen Flur waren, ist er einfach so über mich hergefallen. Ich hab ihm gesagt, dass ich es nicht möchte, habe geweint, geschrien und versucht, ihn zu treten. Er hat mich nicht in Ruhe gelassen."

Tracy rannen Tränen aus den Augenwinkeln und sie schluchzte auf, als sie Dereks Hände wieder an sich spürte. Wie sie sich an ihrer Hüfte und ihren Schenkeln ihren Weg suchten und ihre Haut gewaltsam abtasteten.

„Oh mein Gott", hauchte Kim und schlug sich die Hände vor ihr Gesicht. Ihre Augen waren schreckgeweitet. Daniel schien seine Wut so gut zu unterdrücken, wie er konnte.
„Was... Hat er...", es sah aus, als würde er nach den richtigen Worten suchen. Tracy schüttelte auf seine unausgesprochene Frage den Kopf und wischte sich ihre Tränen am Ärmel ihrer Jacke ab.
„Er ist nicht so weit gekommen. Eric hat ihn.. gestoppt."
„Er hat Derek verprügelt, oder?", Daniel hatte einen nachdenklichen Ausdruck auf seinem Gesicht.
Tracy flüsterte leise: „Ja."
„Wenigstens ein Punkt auf der Liste mit Dingen, die ich an diesem Typen mag."

Tracy lächelte etwas und nahm dann Kim in den Arm, die immer noch erschüttert da saß. Kim zitterte. Ob sie überhaupt mitbekommen hatte, dass Derek Tracy nicht vergewaltigt hatte? Das er gar nicht dazu gekommen war?
„Es tut mir so Leid, Tracy", nuschelte Kim in ihre Schulter. „Wir hätten bei dir bleiben müssen, doch wir waren einfach zu sehr mit uns beschäftigt. Hätten wir auf dich Acht gegeben, dann wäre das alles niemals passiert. Derek wäre dir nicht zu nahe gekommen und Eric hätte dich nicht retten müssen."
Eigentlich wollte Kim weiter reden, doch dann stoppte sie und blickte ihre beste Freundin mit riesigen Augen an: „Eric hat dich gerettet. Ich war so mit Daniel beschäftigt, dass ich vergessen habe, dich nach Eric zu fragen. Und du wolltest mich doch eigentlich auf dem Laufenden halten!"

Ihre Stimme war vorwurfsvoll und sie schlug mit ihrer flachen Hand auf Tracy's Arm. Diese grinste immer noch ein wenig und schob den Gedanken an Derek in den Hintergrund. Sie wollte gerade nicht so schlechte Gedanken haben. Da war es ihr sogar lieber, mit Kim über ihre Beziehung zu Eric zu reden.
„Ich weiß, dass ich es dir versprochen habe, doch ich weiß auch selbst nicht so genau, was das zwischen uns ist", verteidigte sie sich.
„Dann finden wir das jetzt zusammen heraus", meinte Kim erfreut und wischte sich über ihr Gesicht.
„Irgendwie hab ich das Gefühl, dass das nichts für mich ist, Mädels", funkte Daniel dazwischen und stand auf, um den Trainingsraum zu verlassen.
„Sehen wir uns später?", fragte Kim noch schnell und Daniel nickte freundlich lächelnd, bevor er sich eilig aus dem Raum begab.

„Und jetzt zu dir", Kim drehte sich wieder um. „Ich möchte alles wissen."
„Ich weiß noch gar nicht, wo ich da anfangen sollte", Tracy fand ihre Aufregung äußerst amüsant.
„Hm... habt ihr euch geküsst?", wollte sie schließlich wissen und Tracy nickte schüchtern. Kim quietschte verzückt auf und ihre Augen strahlten, als sie das hörte.
„Und habt ihr schon.. du weißt schon", Tracy sah sie erschrocken an.
„Was?!", fragte sie schockiert. „Nein! Was denkst du denn von mir?"

„Ist ja gut", beschwichtigend hob Kim ihre Hände. „Dann sag mir, wie es überhaupt dazu gekommen ist."
„Was soll ich schon groß sagen? Nachdem Derek mich.. du weißt schon... danach bin ich mit Eric in seine Wohnung, ich hab bei ihm geschlafen und er hat sich gut um mich gekümmert. Wir haben eine Menge geredet und haben Filme geguckt. Ich hab sogar bei ihm geschlafen."
„Ist seine Couch bequemer, als dein Bett bei uns im Schlafsaal?", fragte Kim skeptisch.
„Seine Couch nicht, sein Bett schon", gestand sie.
„OH MEIN... Ich kann das gar nicht glauben. Und küsst er denn gut?"
Tracy nickte beschämt und wurde rot. Ein verträumtes Lächeln trat auf ihr Gesicht. Der Kuss war so schön gewesen und jetzt war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob es noch so einen Kuss geben würde. Ihr hatte der Kuss gefallen, aber ihm auch?

„Was ist los?", Kim's Euphorie war verflogen.
„Ich weiß nicht, wie er über den Kuss denkt. Vielleicht hat er ihm gar nicht gefallen. Weißt du. Vorhin war ich mit ihm draußen. Auf dem Dach. Wir haben geredet und dann haben wir uns geküsst. Es war einfach bombastisch."
„Bombastisch?", lachte Kim und Tracy rollte gespielt genervt ihre Augen.
„Ja", sie hatte nun erst recht nicht mehr vor, dieses Wort zurückzunehmen. Egal, wie dämlich es sich anhörte. „Als es angefangen hat zu donnern, sind wir wieder reingegangen. Den Weg zum Speisesaal haben wir schweigend zurückgelegt und über den Kuss haben wir nicht mehr gesprochen."

Kim blickte sie nachdenklich an: „Du magst ihn wirklich gerne. Das hättest du mir nicht so lange verschweigen sollen."
„Dass ich ihn mag, das kann ich wohl kaum noch bestreiten. Es ist ein Wunder, wenn es noch nicht alle wissen."
„Da hast du Recht. Deine Blicke sind kaum noch zu ignorieren", stimmte Kim ihr grinsend zu und wackelte mit den Augenbrauen.
Tracy brachte sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: „Aber was ist, wenn er nicht das Gleiche für mich empfindet, wie ich für ihn? Ich möchte ja gar nicht sagen, dass ich glaube, dass er mich benutzt, wie diese ganzen anderen Schlampen, die vor mir da waren, aber was ist, wenn ich mehr in das Ganze hineininterpretiere, als es eigentlich ist. Wenn er es einfach nicht genauso sieht und empfindet, wie ich?"

Kim lächelte sie an: „Ich mochte ihn eigentlich anfangs nicht, das weißt du auch. Aber ich finde, dass er schon sehr viel angenehmer geworden ist, seit du dich mit ihm abgibst. Er würde dich niemals bei sich im Bett schlafen lassen, ohne Sex mit dir zu haben, wenn er dich nicht wirklich mag. Und ich möchte jetzt gar nichts hören von wegen, dass er dich vielleicht nur mag, wie eine Schwester, denn wenn das der Fall wäre, dann hätte er dich nicht geküsst. Er empfindet etwas für dich. Fragt sich nur, ob er das selbst schon weiß."
Unsicher blickte Tracy sie an: „Bist du dir sicher?"
„Aber natürlich bin ich mir sicher. Nenne mir ein Mal, bei dem ich unrecht hatte."
„Du hast letztens gedacht, mein Tattoo wäre von meiner Schulter verschwunden, dabei war es nur auf der anderen Seite. Und vor ein paar Tagen hast du..."
„Schon gut, schon gut", unterbrach Kim sie ruppig. „Ich habe mich ein paar Mal vertan, aber jetzt bin ich mir absolut sicher."

„Du hast recht. Aber das sagt mir noch immer nicht, was ich nun tun soll", seufzte Tracy.
„Mein erster Tipp wäre, mit ihm zu reden, doch ich kann Eric sehr schlecht einschätzen und wenn er selbst noch nicht weiß, ob er in dich verliebt ist, dann wird er vermutlich jegliches Gespräch, das mit dem Thema 'Bist du in mich verliebt?' oder so beginnt, direkt abwehren. Ich würde ein wenig warten, Zeit mit ihm verbringen, so wie bisher auch. Nichts gezwungenes. Du wirst merken, ob du dich bei ihm wohl fühlst und er wird sich vielleicht sogar noch mehr zu dir hingezogen fühlen."
Tracy nickte: „Ja. Das werde ich wohl machen. Oh man! Danke, dass ich mit dir darüber reden konnte. Ich hätte vermutlich viel früher zu dir kommen sollen."
„Das hättest du, aber ich hab dich trotzdem lieb", nuschelte Kim und umarmte Tracy stürmisch. Diese lachte und zog sie noch näher an sich.

Tracy seufzte: „Ich hoffe du bist dir auch bewusst, dass ich dir niemals solche Tipps geben kann, weil ich mich mit Jungs absolut nicht auskenne."
Kim lachte: „Das weiß ich doch."


--- Daniel POV ---

Daniel hatte die Trainingshalle hinter sich gelassen und war die stillen Flure entlang zu den Quartieren der gebürtigen Ferox gegangen. Er hatte zwar versucht, seine Wut über die Tat von Derek zu unterdrücken, doch es funktionierte nicht. Dieser verdammte Bastard hatte seine beste Freundin fast vergewaltigt. Sie war vielleicht gerettet worden, doch es machte an der Tat seines Mitinitianten nichts besser. Er war immer noch zu weit gegangen und hatte nicht gesehen, wann er an die Grenze gekommen war.

Energisch klopfte er an die Tür des Schlafsaals für die gebürtigen Feroxinitianten und trat dann ein. Die meisten hoben erstaunt die Köpfe. Nur einer duckte sich etwas nach unten.
„Derek!", rief Daniel und lief weiter in den Raum hinein. Seine Wut schien plötzlich überzukochen. In seinen Gedanken stellte er sich vor, wie Tracy geweint hatte und darum gebeten hatte, dass er sie in Ruhe ließ. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dieses starke Mädchen geschwächt zu sehen.
„Du Schwein!", er zog Derek von dessen Bett nach oben. „Du wolltest sie vergewaltigen! Was stimmt nur nicht mit dir? Wir sollen die Menschen beschützen, nicht ihnen schaden!"
„Es ist ja gar nicht passiert", wollte er sich verteidigen, während sich andere um sie sammelten.

„Was ist denn los?", fragte Jason verwundert und wollte Daniel von Derek wegziehen, was er aber nicht zuließ.
„Was passiert ist? Dieses Arschloch ist passiert", er wendete sich Derek zu, ließ seinen Kragen los und schlug ihm, bevor irgendjemand reagieren konnte, mit aller Kraft ins Gesicht. Derek sank stöhnend zu Boden und hielt seine Hände über seine Augen und die Nase, die zu bluten begonnen hatte.
„Sag mal, spinnst du?", schnaufte Jason und zog Daniel weg. „Was hat er dir denn getan?"
„Nicht mir!", schimpfte er und konnte sich gar nicht mehr stoppen. „Er wollte Tracy vergewaltigen und wäre er nicht gestoppt worden, was glaubst du? Denkst du etwa, dass er sie plötzlich einfach so in Ruhe gelassen hätte? Er hätte noch viel mehr, als diesen mickrigen Schlag verdient."

Jason sah geschockt zu dem Jungen am Boden: „Derek! Was hast du getan?"
„Ich wollte das doch nicht! Es tut mir Leid!", wimmerte er.
Daniel schnaubte: „Sie wollte das auch nicht!"
„Paige", Jason hielt seine Stimme ruhig, als er sprach. „Bring Derek doch bitte auf die Krankenstation."
„Was? Wieso ich?", empört sah Paige ihn an.
„Weil ich es sage", stellte Jason klar. Er hatte damit gezeigt, dass er nicht weiter darüber reden würde. Paige biss die Zähne aufeinander, zog Derek nach oben und verschwand mit ihm aus dem Raum. Dabei schnappte sie auch gleich noch ein paar andere, die nichts mit dem Ganzen zu tun hatten. Hier wurden nicht noch mehr gebraucht, die nur lauschen wollte.

„Und jetzt noch einmal", Jason holte tief Luft und sammelte sich. „Derek wollte sie vergewaltigen?"
Daniel blickte sich im Raum um. Nur noch Jason und Luna waren da. Jetzt, da er mit dem Thema begonnen hatte, konnte er es nicht einfach so stehen lassen. Schuldgefühle machten sich in ihm breit. Er hatte gerade vor allen Initianten ausgeplaudert, dass Tracy sich nicht gegen jemanden hatte wehren können, der sie extrem aufdringlich angefasst hatte. Ihm war klar, dass es nicht genau so passiert war. Immerhin würden alle, die etwas darüber ausplaudern wollten die Geschichte so hinstellen, wie es ihnen passte und nicht so, wie es wirklich gewesen war. Das seine beste Freundin betrunken und unter starkem Alkoholeinfluss gewesen war und versucht hatte, sich zu wehren, dieser ganze Teil würde absolut weggelassen werden. Tracy würde als schwach dargestellt werden.

„Auf der Party in einem der dunklen Flure. Sie war betrunken und er wollte mehr von ihr, als sie von ihm. Sie hat sich gewehrt, aber am Ende wurde sie von jemand anderem da rausgeholt. Mehr sollte ich wohl nicht sagen. Ich hab schon mehr erzählt, als ich eigentlich sollte. Ich hätte niemals so die Kontrolle verlieren dürfen."

Jason nickte: „Da hast du sicher recht. Sie wird nicht begeistert sein."
Daniel schluckte. Das würde sie vermutlich nicht und er hoffte, sie würde niemals erfahren, dass ihm etwas rausgerutscht war.

--- Daniel POV Ende ---

Tracy LevineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt