Kapitel 16

343 13 0
                                    

Als Tracy wieder wach wurde, strahlte ihr das helle Licht von den Lampen an der Decke in die Augen. Ihr Kopf dröhnte und das grelle Licht machte das nicht gerade besser. In ihren Ohren rauschte es, als wären 1000 Bienen darin am arbeiten. Es war ein merkwürdiger Vergleich, aber es hörte sich so an. Wie ein leises, aber penetrantes Summen oder Rauschen.

Vorsichtig stützte sie sich auf ihre Ellenbogen und stöhnte sofort auf. Ein kurzer Schmerz durchzuckte ihren Kopf und ihr wurde etwas schwindelig. Langsam sah sich Tracy um und versuchte sich zu orientieren. Den Raum kannte sie. Kurz dachte sie nach, bevor sie sich erinnerte. Die Krankenstation. Natürlich. Hier war sie ja schon einmal mit den anderen.

Am Ende des Raumes ging eine Tür auf. Tracy's Kopf schoss sofort herum und schon wieder stöhnte sie schmerzhaft auf. Das musste sie wirklich lassen.
Eine große, junge Frau betrat den Raum. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden und unter ihrem Arm hatte sie ein Klemmbrett. Ihre Augen hatte sie auf ein Blatt in ihren Händen gerichtet und schien etwas nachzulesen, wobei sie leicht die Augenbrauen zusammenzog. Als sie aufsah, blickte sie mit ihren blau-grünen Augen direkt zu Tracy und ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

„Du bist wach", grinste sie vergnügt und ging einige Schritte auf das Bett zu, vor dem sie dann auch stehen blieb. „Hat aber auch ganz schön gedauert. Du hast bestimmt ein wenig Kopfschmerzen. Das liegt daran, dass du eine Gehirnerschütterung hast. Morgen sollte das weit genug abgeklungen sein, sodass du übermorgen beim Training wieder mitmachen kannst."
Die Frau ratterte alles, was sie zu sagen hatte, bevor sie plötzlich verstummte und sich leicht auf die Lippen bis: „Ich glaube Eric möchte noch mit dir reden. Ich lasse ihn gleich holen."
Tracy nickte nun leicht. Die war etwas überfordert. Schnell versuchte sie alle neuen Informationen zu verarbeiten. Krankenstation, Gehirnerschütterung, Eric wollte mit ihr reden. Soweit so gut.

„Wer sind Sie nochmal?", wollte sie dann wissen und die Ärztin grinste leicht. Ihre angespannte Haltung löste sich und sie setzte sich galant auf einen Stuhl, der neben Tracy's Bett stand.
„Ich bin Josie und ich arbeite hier", antwortete sie dann.
Tracy nickte leicht: „Seit wann bin ich hier?"
„Etwa zwei Stunden."
„Wie bin ich hier hergekommen?"
„Eric hat dich hier hergetragen", dabei blickte sie Tracy nachdenklich an. „Ich will mich ja nicht einmischen, aber er hat noch nie eine Initiantin hier her gebracht und er hat sich sicher keine Sorgen um jemanden gemacht. Aber bei dir schon. Er wollte es zwar verbergen, aber ganz ehrlich. Ich habe einen sechsten Sinn für die männliche Psyche. Jedenfalls läuft da doch was und du musst gar nicht erst den Kopf schütteln. Ich kann es dir nämlich ansehen. Schnapp ihn dir! Er sieht gut aus, du siehst gut aus und ihr habt beide Gefühle für einander. Ich habe das in weniger als zwei Minuten bei ihm gecheckt und bei dir muss ich dich nur auf ihn ansprechen. Du solltest mal darüber nachdenken", damit stand Josie auf und ging weg.

Tracy saß nur etwas überfordert da und ließ sich zurück in die Kissen sinken. Hatte Josie recht? Hatte sie wirklich Gefühle für ihn und wenn ja, konnte man diese tatsächlich so schnell erkennen? Es würde so vieles erklären. Warum sie so eifersüchtig und verletzt war, nachdem sie Lauren und Eric zusammen im Bett vorgefunden hatte. Warum ihr ganzer Körper bei seinem Kuss gekribbelt hatte. Nur an ihn zu denken, brachte ihr Herz wieder zum stolpern.

Eine Weile starrte sie auf ihre Hände und dachte über Eric nach. Er würde sicher gleich hier sein. Josie hatte ja gesagt, dass sie ihn sofort holen lassen würde.

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür der Krankenstation und Eric betrat mit ernstem Gesicht den Raum. Auch wenn er so eine Miene hatte, musste Tracy leicht lächeln. Sie musste sich schon eingestehen, dass sie sich etwas freute, dass er da war. Oder hatte er ihr schlechte Mitteilungen zu machen?

„Du bist wach", stellte Eric fest und Tracy bildete sich kurz ein, so etwas, wie Erleichterung heraus zu hören. Vermutlich irrte sie sich da aber mal wieder.
Tracy nickte leicht. Trotz ihrer Kopfschmerzen konnten ihre Lippen nicht aufhören, sich vor Freude nach oben zu ziehen: „Sieht wohl so aus."
„Kannst du dich noch an alles erinnern?"
„Ein wenig. Ich und Tris haben gekämpft und dann hat sie auf mich eingetreten und geschlagen, bis alles um mich herum schwarz wurde. Wieso? Sollte ich mich an noch etwas erinnern?"
Eric schüttelte den Kopf: „Nein. Ich wollte nur wissen, ob in deinem kleinen Köpfchen noch alles richtig funktioniert."

Eric grinste, doch es sah in keinster Weise fies aus, sondern eher schmunzelnd, oder liebevoll? Wohl kaum. Es ging hier ja immer noch um Eric.
„Vielen Dank" jammerte Tracy und zog leicht eine Schnute. „Bei mir im Kopf stimmt glaube ich alles noch."
„Na ja! Es dürfte auf jeden Fall nicht mehr Unstimmigkeiten da sein, als davor."
Empört schnaubte Tracy und öffnete den Mund, als wollte sie etwas dazu sagen, doch ihr fiel einfach nichts ein.

Eric hatte aufgehört, sie auszulachen und lächelte nun wieder normal. Von seinem ernsten Gesicht, mit dem er davor noch den Raum betreten hatte, war nichts mehr zu sehen, was es ihr aber erleichterte, zurück zulächeln und sich etwas zu entspannen.

Das Lächeln stand ihm und ließ ihn nicht mal halb so gefährlich aussehen, wie er tatsächlich sein konnte. Was Tracy's Herz aber am meisten zum Pochen brachte, war dass das Lächeln ihr galt. Nicht Lauren oder einer der anderen Schlampen, die sich sonst so an ihn ran schmissen, sondern ihr! Der kleinen Initiantin. Oder hatte er einfach nur Mitleid, weil sie sich nicht hatte wehren können? Als ob er deshalb mit ihr Mitleid hätte. Er musste sie wenigstens ein wenig mögen. Er musste einfach!

Tracy redete sich das die ganze Zeit ein und hatte gar nicht bemerkt, wie sie ihn anstarrte. Eric, der ihr bei ihren Überlegungen zusah, hatte es aber schon bemerkt.
„Alles klar?", schreckte er Tracy aus den Gedanken auf, die ihn auch sogleich irritiert anblickte.
Sie hatte gestarrt. Und wie sie gestarrt hatte. Das war ja vielleicht peinlich. Sogar noch peinlicher, als nun hier vor ihm im Bett zu sitzen, während sie vermutlich überall, auch im Gesicht, hässliche blaue Flecken hatte.
Weshalb machte sie sich darüber eigentlich Gedanken? Er war doch dabei gewesen, als sie ihren Kampf gegen Tris gewonnen hatte. Er hatte sie in einer ihrer schwächsten Sekunden gesehen. Es hätte nur schlimmer sein können, wenn sie dabei angefangen hätte, zu weinen. Natürlich war es normal, Schwächen zu haben, doch es war auch normal, dass es einem unangenehm war, wenn andere einen so schwach sahen. Und bei Eric war es ihr sogar extrem unangenehm.

„Tracy", riss Eric, der nun wirklich verwirrt war, sie ein weiteres Mal aus ihren Gedanken heraus. „Ob alles in Ordnung ist, wollte ich wissen?"
Er klang besorgt! Jetzt war sich Tracy sicher. Er machte sich Sorgen. Sie wusste es. Aber das hieß doch nicht, dass er sie wirklich mochte. Andererseits, warum machte man sich um jemanden Sorgen, wenn man die Person nicht mochte? Oder? Wieso konnte sie ihr Gehirn nicht einfach mal ausschalten. Könnte jemand ihre Gedanken lesen und dieses ganze wirre Durcheinander mitbekommen, würde er vermutlich denken, sie wäre eine Ken, soviel dachte sie nach.

„Ja. Mir geht es gut. Alles bestens", erwiderte sie schließlich. Ihr Trainer sah sie weiterhin skeptisch an und Tracy dachte nach, wie sie ihn endlich von diesem Thema abbringen konnte. Dann fiel es ihr endlich ein: „Bekomme ich eigentlich Punktabzug, weil ich gegen Tris verloren habe?"
Eric seufzte und ging dann aber auf das neue Thema ein: „Ich denke nicht. Du hast dich wirklich sehr gut gehalten, Tracy. Du warst wahnsinnig gut, wenn man bedenkt, dass du gegen eine wirklich gute, vollwertige Ferox gekämpft hast."

Tracy lächelte nun breit. Dieses Lob bedeutete ihr so unglaublich viel und es machte sie so glücklich.
„Ich bin wirklich froh, dich als Initiantin zu haben", murmelte Eric und sah auf den Boden. Fast hätte Tracy es nicht verstanden, so leise hatte er das gesagt. Erstaunt riss Tracy ihre Augen auf und ihr Kopf zuckte nach oben. Doch die Bewegung war zu schnell gewesen. Ein Schmerz durchzog Tracy's Kopf. So eine Scheiße! Und die Übelkeit kam auch wieder!

Eric blickte sofort nach oben, kam etwas näher und legte Tracy sachte eine Hand auf ihren Arm. Weil sie nur Shirt trug, war sein Hand direkt auf ihrer Haut und sie hatte das Gefühl, als würde sich von dort sofort die Wärme weiter in ihrem Körper ausbreiten. Dabei war es doch nur eine total normale Berührung, oder nicht? Natürlich war sie normal. Es war doch schließlich nur ihr Arm.

„Ist alles in Ordnung?", er klang schon wieder so, als würde er sich Sorgen machen.
„Ja. Wie schon gesagt: alles gut", meinte Tracy und winkte leicht mit ihrer Hand ab, als wäre gar nichts passiert. Misstrauisch sah er sie an und setzte sich dann auf den Stuhl, auf dem vorher bereits Josie gesessen hatte.
„Was hat die Ärztin gesagt?", wollte er wissen und beobachtete sie nun aus Argusaugen.
„Nichts besonderes. Sind quasi nur ein paar Kratzer."
„Lüg mich nicht an", schnappte er sofort zurück und presste angespannt seine Zähne aufeinander. Dadurch kam sein markanter Kiefer noch mehr zum Vorschein, was ihn unglaublich männlich wirken ließ. Kurz musste Tracy schlucken. Er sah so wahnsinnig gut aus. Schon fast verboten gut.

„Nur eine Gehirnerschütterung. Übermorgen darf ich wieder mitmachen", gab sie dann zu und Eric nickte leicht.
„Das glaube ich dir schon eher", dabei atmete er leicht aus und lehnte sich wieder zurück. „Den anderen sag ich es morgen, aber da bist du dann ja nicht da. In drei Tagen, also der Tag, nachdem du wieder mitmachst, ist der Besuchertag. Da kommen eure Familien. Jedenfalls manche."

Sie seufzte leicht. Auch das noch. Ob ihre Familie sie besuchen würde? Sie war sich nun wirklich nicht sicher. Wenn ihre Mutter nicht kam, so war sie sich sicher, würde wohl auch ihr Vater nicht auftauchen.
„Du hast Angst, dass deine Familie nicht kommt", stellte Eric fest und sah sie dabei beruhigend an. „Mach dir keine Gedanken darüber. Wenn sie nicht kommen, haben sie es gar nicht verdient, dass du dir über sie deinen hübschen Kopf zerbrichst. Du hast hier eine neue Familie. Neue Freunde. Die Ferox halten zusammen. Wir sind eine eingeschworene Gruppe. Sonst würde dieses ganze System hier ja wohl kaum funktionieren. Oder nicht?"

Dabei lächelte er sie sanft an, sodass sie leicht nickte. Er hatte Recht. Sie hatte hier neue Freunde. Die ganze Zeit hatte sie sich keine Gedanken über ihre Familie gemacht. Weshalb sollte sie sich jetzt davon beunruhigen lassen? Das war doch total unsinnig.
„Du hast recht", meinte sie schließlich und zuckte locker mit ihren Schulter. „Wenn sie nicht kommen, dann weiß ich wenigstens, woran ich nun bei ihnen bin."

Eric sah sie zufrieden an. Es war viel schöner, sich mit ihm zu unterhalten, wenn niemanden in der Nähe war. Er war so viel ruhiger und keifte sie nicht die ganze Zeit an oder sagte ihr, dass er ihre Meinung nicht wissen wollte. Er war einfach ganz normal. Wahrscheinlich war das sonst alles nur eine Fassade. Ließ er diese Fassade fallen, wenn er sich wohl fühlte? Tracy hoffte es sehr.

„Danke, Eric", sagte sie dann und schmunzelte ihn an. „Es ist echt nett, so mit dir zu reden. Bitte nimm es mir nicht übel, aber sonst bist du so viel ernster und na ja.. ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... aber ich würde es wohl 'fieser' nennen."

Leicht zog sie ihren Kopf ein und blickte leicht auf den Boden. Hatte sie sich zu viel gewagt? Würde er jetzt ausflippen? Aus dem Raum stürmen? Ihr eine Predigt über Respekt halten? Oder würde er sie schlagen? Es konnte alles geschehen. Doch als gar nicht passierte, hob sie leicht den Kopf und blickte ihn an. Eric schaute auf seine Finger, bevor er ihr in die Augen sah.

„Ich fühle mich eben sehr wohl, wenn ich hier sitze und mich mit dir unterhalte."

Hatte er das wirklich gesagt? Ihr Herz überschlug sich fast vor Glück. Er mochte sie. Er fühlte sich wohl in ihrer Gegenwart. Josie hatte Recht gehabt. Solche Glücksgefühle, wie die, die sie in diesem Moment verspürte, konnten unmöglich einfach so kommen. Tracy hatte Eric gern. Sie mochte ihn wirklich. Aber nicht so, wie sie Daniel oder Kim mochte oder so, wie sie ihren Vater liebte. Das hier war anders.

„Ich denke, dass du dich ausruhen solltest", Eric stand auf, strich Tracy leicht über den Kopf, um ihr auch ja nicht weh zu tun und verließ dann nach einem kleinen Lächeln in ihre Richtung die Krankenstation.

Tracy's Gedanken überschlugen sich. Sie wusste gar nicht, wie sie sich fühlen sollte. Als sie Eric beobachtete, wie er sich von ihr entfernte, fühlte sie sich traurig und doch war sie wegen dem, was er gesagt hatte, immer noch so glücklich Wie sollte sie sich denn jetzt fühlen? So etwas war ihr davor noch nie passiert.

Die Tür an der anderen Seite des Raumes öffnete sich wieder und Josie betrat breit grinsend den Raum: „Ich hab gehört, wie er den Raum verlassen hat. Ist alles gut? Was hat er denn so gesagt?"

Tracy blickte sie überfordert an. Sie kannte Josie doch gar nicht richtig und doch gab ihr diese das Gefühl, als könnte sie mit ihr reden. Also erzählte sie alles. Jedes kleine Wörtchen, was gewechselt wurde, alles was sie dabei gefühlt hatte und am Ende saß Tracy immer noch ratlos und Josie noch breiter grinsend da.

„Tracy. Herzlichen Glückwunsch!", meinte Josie dann feierlich. „Du bist verliebt!"




Tracy LevineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt