Kapitel 10

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Es sind jetzt noch fünf Tage, bis Tom und ich wieder in die Schule müssen. Er schläft immer noch, während ich seine Sachen zusammenpacke. Tom denkt, dass er noch vier weitere Tage hier bleibt, doch ich will Mom Zeit geben, zu verstehen, warum ich ihr ihren kleinen Sohn für fast zwei Monate weggenommen habe. Um zehn bin ich fertig und wecke Tom auf. "Paul?", rufe ich meinen besten Freund. "Jo.", kommt es aus seinem Zimmer. "Ich bringe Tom jetzt weg. Vielleicht bleibe ich auch ein oder zwei Tage dort. Jedoch nur um meine letzten Sachen zu packen und meine Schulsachen zu holen.", informiere ich ihn kurz. "Gehst du auch gleich einkaufen? Geld liegt auf dem Küchentresen. Ich gehe ab Montag wieder arbeiten, nur so als Info.", sein Kopf taucht aus seinem Zimmer auf und grinst mich an. "Ja, ich gehe einkaufen. Was brauchen wir?", frage ich, muss jedoch über mich selbst lachen, weil ich weiß, dass wir, außer ein paar Keksen, nichts mehr da haben. "Bring Wein mit. Du trinkst doch immer gerne.", meint Paul und streckt mir die Zunge raus. Das wird er mir büßen und das scheint mein bester Freund genauso zu wissen, denn seine Ohren laufen rot an und der Kopf verschwindet wieder. Leider hat er es zu spät gemerkt und ich bin gerade noch rechtzeitig da, um meinen Fuß in die Tür zu schieben. "Verdammt!", ruft Paul noch dann hat den Mund voller ungewaschener Socken. Lachend renne ich wieder nach unten und raus in den Garten. "Du weißt, dass ich schneller bin.", schreit er und schießt mir hinter her. "Nur bin ich auf den Bäumen unschlagbar.", reize ich ihn und springe einen Baum hoch. "Wieso wohnen wir auch im Wald?", fragt Paul mehr sich selbst, als mich. Er macht sich nicht mal die Mühe, den Baum hochzuklettern. Enttäuscht lasse ich mich fallen und mein bester Freund reagiert, mal wieder, erst im aller letzten Moment. "Du Idiot! Ich dachte wirklich du lässt mich im Stich.", ich boxe ihm gegen die Brust und renne wieder ins Haus. Tom und ich gehen schnell einkaufen, bevor ich mich Mom stelle.

Ich klopfe zweimal kräftig gegen die Buchenholztür und trete einen Schritt zurück. Von drinnen höre ich Schritte, die eilig zu Tür rennen und sie wird mit Schwung aufgerissen. Mom sieht fürchterlich aus, dennoch tut mir meine Aktion kein bisschen leid. "Hi, Mom.", bringe ich hervor, umarme sie flüchtig und trete ein. "Tom!", ruft Mom stattdessen und schließt ihren geliebten Sohn in die Arme. Mein kleiner Bruder wirft mir über Moms Schulter hinweg einen so dermaßen genervten Blick zu, dass ich mir auf die Zunge beißen muss, um nicht lauthals loszulachen. Auch Tom muss grinsen und löst sich aus der Umarmung. "Ich bringe mein Zeug hoch.", entschuldigt er sich. Sobald Mom die Zimmertür zuschlagen hört, kommt sie zu mir. "Wieso hast du das getan?", schreit Mom mich an. "Ich wollte Tom zeigen, wo er wirklich hingehört!", blaffe ich sie an. "Das hier ist unser zuhause!", erwidert Mom, erschrocken von meinem Ton. "Es ist dein zuhause! Ich bleibe nicht hier. Du sorgst dich nur um dich selbst. Hast du schon jemals nach meiner oder Toms Meinung zu dem ganzen hier gefragt? Tom hatte nie die Möglichkeit, zu erfahren, wie es ist ohne den Lärm hier zu leben. Ich hasse es hier! Ich gehe nur zu arbeiten in die Schule, damit ich dir so ein bescheuertes Zeugnis zeigen kann. Alle Lehrer wissen, dass ich alles wüsste um jetzt mein Abitur zu machen. Ich will nicht in die Schule und das weißt du. Du weißt, warum ich sie hasse. Du weißt, dass weder Psychologen, noch das Irrenhaus mir helfen und deswegen schickst du mich zur Schule, aber die macht alles nur noch schlimmer! Ich will da nicht hin. Ich will einfach, dass ich unserem wirklichen zuhause leben darf und das ich Tom ab und zu zu mir nehmen darf.", inzwischen rollen mir Wuttränen über die Wangen. "Wieso hast du nichts gesagt?", ist die einzige Frage, die Mom stellt. "Weil ich weiß wie sehr du leiden musst und das du immer stark sein musst. Du musst immer stark sein, weil du Tom und mich nicht im Stich lassen kannst. Ich komme aber alleine klar. Du gibst mir einfach das mir zustehende Kindergeld und ich bin weg. Wenn ich dann noch Tom manchmal zu mir nehme, kannst du endlich mal für dich sein und um Dad trauern.", verzweifelt versuche ich, Mom zu sagen, dass sie sich keine Sorgen um mich machen muss. Mom ist plötzlich ganz still und ich nehme an, dass es jetzt Zeit für mich wird, zu gehen. "Kätzchen", murmelt Mom auf einmal einen Namen, den ich schon fast vergessen habe, "So hat Grandpa dich immer genannt oder?" "J-ja. Das weißt du noch?", stammle ich völlig perplex. "Du bist schon mit zwei Jahren immer auf die Bäume geklettert. Es war erstaunlich. Wir konnten uns gar nicht erklären, wie du das machst. Du bist kein einziges Mal runtergefallen. Und du konntest tauchen, wie ein Wassertier. Du warst manchmal mehrere Tage untergetaucht, um dich zu verstecken, aber nie hast du dich verletzt. Einmal bist du von einem drei Meter hohen Fels gesprungen und standest in der Luft! Es ist verständlich, dass ich mir Gedanken gemacht habe, aber erst dein Opa hat es mir bestätigt und deswegen zogen wir dort weg. Tom war lange Zeit ganz normal, bis du ihn das erste Mal zum schwimmen mitgenommen hast. Du bist schuld, dass mein kleiner Tom nun auch merkwürdig ist!", kreischt Mom mich an. Ich wusste schon immer, dass ich nicht gut mit Mom kann, aber jetzt erst habe ich es selbst gehört und es ist viel schmerzhafter, als ich dachte. "Was bin ich Mom?", frage ich, außer mir vor Zorn. "Das weiß ich nicht, aber es dürfte nicht sein. Du solltest nach mir kommen, aber du kommst nach deinem Vater!", damit ist für sie das Gespräch beendet. Weinend renne ich aus dem Haus und in den Wald. Ich renne an dem Haus vorbei und an der Lichtung, bis ich nicht mehr weiß, wo ich bin. Ich bleibe stehen und sehe mich um. Links von mir ist es ungewöhnlich bunt vor Blumen und rechts von mir wächst keine einzige Pflanze. Was ist nur los mit dem Wald? Ich setze mich auf den Boden, schrecke jedoch sofort wieder hoch. Dort wo ich saß, wachsen nun die schönsten Blumen, die ich je gesehen habe. Ich sehe auf und dort steht eine Frau mit langen schwarzen Haaren und einer Haut wie Porzellan. Sie ist groß und trägt ein weißes, langes Kleid und einen weißen Umhang. Das Kleid ist übersät von Spitze. Sie trägt keine Schuhe, scheint jedoch nicht zu frieren. Ich sehe ihr ins Gesicht und erstarre. Diese Augen... Sie sind strahlend grün und tragen den Hauch von leben in sich, den ich schon seit Jahren bei niemandem mehr gesehen habe. Ich winke unsicher zur Begrüßung. "Hallo Skayla. Ich habe dich schon erwartet.", ertönt eine Stimme, wie Engelsgesang, aus ihrem Mund.
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