Kapitel 16

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Ich sitze auf dem Rücken eines weißen Hirsches, der zufällig auch noch einer von Gaias sieben Söhnen ist, und fliege, obwohl er keine Flügel hat. Der Wind rauscht an meinen Ohren vorbei und treibt mir die Tränen in die Augen. Um nicht zu fallen, halte ich mich an Ralfs Hals fest.

Wir durchbrechen die Wolkendecke und es ist, als wäre ich in einem Märchen.

Die Sonne wirft lila und rosa Licht auf die Wolken und ich habe das Gefühl, die Luft glitzert. Ralf bemerkt mein Staunen und fliegt etwas tiefer, sodass wir genau über den Wolken sind. Ich strecke die Hand nach einer aus und fühle die große weiße Masse aus Regentröpfchen, die sich Wolke nennt.

"Das ist mein zuhause.", ruft Ralf plötzlich und ich sehe auf. Vor uns schwebt ein gigantischer Baum, der Blätter  in allen Formen und Farben trägt und darauf entdecke ich ein hölzernes Baumhaus. Es ist, als würde der Baum den Punkt zwischen Tag und Nacht darstellen.

"Der Schein trügt..", lächelt er mir aufmunternd zu und tritt ein. Ich folge ihm und schlage mich innerlich selbst dafür, dass ich so unfassbar unhöflich bin. "Tschuldigung. Ich bin total unhöflich, aber wie kommt es, dass ich die erste bin, die hierher kommt?", verlegen gehe ich ein paar Schritte weiter in den Eingangsbereich, bleibe jedoch sofort wieder stehen, weil es hier einfach so viel gibt, dass ich mir ansehen möchte.

Schon die Eingangshalle ist größer als die Hütte, die Dad baute. Der Boden ist, wie ich vermute, aus hellem Marmor und poliert bis zum geht nicht mehr. In allen Ecken stehen edle Pflanzen in riesigen braunen Töpfen. An den Wänden winden sich Ranken bis zur Decke, welche in sieben Meter Höhe liegt. Die Wände sind aus Sandstein und unverputzt. Sie spiegeln die Einfachheit in all dem Prunk und runden das ganze wunderschön ab.

"Alle vorherigen waren nicht so wie du. Du hast ein Auge für die Schönheit auf Erden und darüber hinaus. Außerdem besitze ich nicht die Fähigkeit dich zu durchschauen, dass ist mir bisher noch nie passiert und es macht mich neugierig.", Ralf schreitet in seiner menschlichen Gestalt voran in das nächste Zimmer.

Es ist, als würde es mit jedem Schritt magischer hier werden. Im nächsten Zimmer ist alles eingerichtet wie ein Wohnzimmer. An den Wänden stehen Sofa- und Sesselgruppen sowie kleine Teetischchen. Es sieht aus wie ein Zimmer aus einem Puppenhaus eines kleinen Mädchens und doch so erwachsen wie eine Tee-Gesellschaft. In der Mitte ist eine Bar aufgebaut, an der jedoch niemand steht. "Durst, Kätzchen?", fragt Ralf freundlich. "Ähm...Ja. Aber woher kennst du meinen Spitznamen?", erwidere ich unsicher, während er schon auf dem Weg zur Bar ist. "Dein Vater erzählte viel über ein kleines Mädchen, dass seiner Nachbarin gehört, aber immer bei ihm zu Besuch war. Was hättest du gern?", fragt er ausweichend. "Wodka, bitte. Was hat Dad über mich erzählt?", ich habe nicht vor locker zu lassen. "Wodka in deinem Alter?...Nagut. Er redete viel darüber, dass du immer auf Bäume kletterst, weil du die Perspektive wechseln willst. Außerdem liebst du Lasagne wie deine Mutter und du hilfst Tieren, doch am liebsten bist du im Wasser. Das ist auch der Grund, warum ich ein wenig erschrocken war, als du mir sagtest, dass du dich zu einem Dämon mit Flügeln verwandelt hast.", fährt er fort, während er mir mein Glas gibt. "Ich dachte, meine Verwandlung mit Flügeln hat damit zutun, dass ich in dem Moment einfach wegfliegen wollte...", überlege ich laut. "Du denkst also, du könntest einen Nixenschwanz bekommen, wenn du das willst?", hakt Ralf nach. "Ich denke nicht, dass ich einen brauche, weil ich auch so schon schneller als alle anderen im Wasser bin, aber ja das denke ich.", ich nippe an meinem Glas und seufze erleichtert, als der Wodka brennend meinen Hals hinunter läuft. "Ich habe einen großen Pool...Wie wäre es mit einem Experiment?", zwinkert er mir zu. "Aber erst will ich alle Räume sehen.", bestimme ich und öffne die erste Tür, die ich zu fassen bekomme. Es ist ein Badezimmer. Blaue und schwarze Mosaiksteine zieren die Wände und die Holzbögen an der Decke lassen eine harmonische Stimmung aufkommen. Der Boden sieht aus wie eine einzige weiße Steinplatte, in der ich mein eigenes Spiegelbild so klar wie in einem Spiegel sehe. Ich entdecke ein kleines Zimmer aus Zedernholz, welches ich als Saune identifiziere. Auch hier stehen überall Pflanzen. Schnell gehe ich wieder aus dem Bad raus, da es hier sehr stickig ist.

Das nächste Zimmer ist das einzige Gästezimmer, wie Ralf mir erklärt. "Es ist so eingerichtet, wie jeder es möchte. Für mich ist hier einfach ein weißes Bett und ein Teppich davor.", erzählt er weiter. "Ich sehe mein Zimmer aus meinem zuhause.", antworte auf seine unausgesprochene Frage. "Du fühlst dich in dem Schloss deines Volkes nicht zuhause?", trifft der weiße Hirsch voll ins Schwarze. "Es ist einfach nicht das Gleiche. Wird es auch nie sein. Ich bin in meinem Herzen immer ein Mensch, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Es verletzt mich jede Sekunde, die ich von dem getrennt bin, was mir etwas bedeutet. Ich habe immer das Gefühle, ich lasse die im Stich, die sich um mich sorgen, wenn ich vollends zu den Dämonen gehe. Andererseits fühlt es sich an wie Verrat an meinem Vater, wenn ich sein Volk im Stich lasse.", ich weiß nicht mal, warum ich ihm das alles erzähle, ich kenne Ralf gar nicht. "Du denkst mit dem Kopf, doch du musst es mit dem Herzen fühlen. Nur dann kannst du sicher sein, dass du auf dem richtigen Weg bist.", er schließt die Tür hinter mir und führt mich einen Gang entlang zu einer schwarzen Tür.

"Mein Zimmer.", erklärt er kurz und öffnet die Flügel. Erschrocken reiße ich die Augen auf. Alle Fenster sind mit Vorhängen verdeckt und überall liegen dicke Staubschichten. Auf dem Boden liegen zerknüllt Blätter, herausgerissene Seiten und die dazugehörigen Bücher, Scherben von Vasen und Glas, außerdem verwelkte Blätter und dreckige Sachen. Ein Bett mit dicken Vorhängen und zerrissener Bettwäsche steht an der Wand gegenüber. Rechts von mir steht ein Schreibtisch, der in zwei Teile zerborsten ist und an dessen Rändern eine Flüssigkeit klebt. Links von mir liegen zerborstene Blumentöpfe, daraus gefallene Erde und welke Pflanzen. Meine Aufmerksamkeit gilt jedoch dem Baum, der in der Mitte des Raumes durch den Boden und über die Decke hinaus gewachsen ist. Ich trete näher an in heran und wirble dabei eine Staubwolke auf, die mich husten lässt. Ich stelle mein Glas auf dem Boden ab und bedecke meinen Mund mit meiner Hand. Ich gehe um den Baum herum und stelle fest, dass er einen Durchmesser von über sechs Metern haben muss. Auf der anderen wurde Bretter in die Rinde gehauen, sodass es jetzt wie eine improvisierte Treppe aussieht. Fragend sehe ich zu Ralf, doch der nickt und ich betrete die erste Stufe.
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Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich liebe Baumhäuser ❤️!
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