Kapitel 11

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"Wo sind wir hier?", frage ich ehrfürchtig. Wir stehen in einer riesigen Halle. Alles ist weiß. Die Geländer, die Treppen, der Boden, die Wände, die Kerzenständer, die Pflanzen, die Fenster, die Menschen, alles weiß. "Du wirst es noch früh genug erfahren.", säuselt Diana und läuft weiter vorneweg. Ihren Namen sagte sie mir, das wars aber dann auch schon wieder. "Muss ich auch ein weißes Kleid tragen?", frage ich vorsichtig, denn ich bin als einzige in lila gekleidet. "Oh, nein. Ab jetzt ist lila deine Erkennungsfarbe.", versucht Diana mir zu erklären, doch es wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Wir kommen zu einem langen Gang, dieser ist mit unzähligen Türen bespikt und ich würde Tage brauchen, um all diese Räume zu erkunden. Diana bleibt vor einer der Türen stehen und zottelt einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Manteltasche. Sie faltet ihn auseinander und vergleicht ihn mit der Tür. Neugierig gehe ich zu ihr und sehe Diana vorsichtig über die Schulter. Auf dem Stück Pergament steht eine lange Reihe von Ziffern, Zahlen und Zeichen, welche ich nicht entschlüsseln kann. "Welche Sprache ist das?", mache ich staunend auf mich aufmerksam. "Unsere Sprache, junge Skayla, und du wirst sie auch bald lesen können.", säuselt sie und holt einen kleinen Schlüssel aus ihrer anderen Tasche. "Wieso sind wir hier?", frage ich weiter. "Du stellst zu viele fragen, folge mir.", lacht Diana und schließt die Tür auf. "Was...?", ist alles, was ich herausbekomme. In dem Zimmer stehen zwei Kleiderschränke mir gegenüber an der Wand, zwei Himmelbetten stehen sich, rechts und links von mir, gegenüber, auf beiden Seiten liegen weiche Teppiche, ein Schminktisch und ein Arbeitsplatz stehen bereit und darüber hängt ein edler Kronleuchter, zu beiden Seiten entdecke ich eine geheimnisvolle Tür, dies alles ist schon zum staunen Grund genug, doch das, wovon ich geschockt bin, ist nicht das merkwürdig an dem Zimmer. Es sind die Wände. Sobald ich das Zimmer betrat, veränderte sich die Wand zu meiner rechten. Erst war es nur ein Gewirr aus Farben, doch dann entstanden die Umrisse von Ralf, der mich jetzt wie gebannt mustert. Er sieht gesund aus und glücklich. Diana folgt meinem Blick und schmunzelt. "Die Wände zeigen entweder das, was wir sehen wollen oder das, was sich unser Herz am meisten sehnt. Ich vermute jetzt mal, dass das dein Freund ist?", fragt sie und lächelt mir zu. "Er ist gestorben.", stelle ich fest und denke konzentriert an Ralf und mich, als wir in der Irrenanstalt die Aufseher geärgert haben, indem Ralf und ich eine gigantische Essensschlacht in der Cafeteria anzettelten. "Wie machst du das?", fragt plötzlich eine zarte Stimme hinter mir. Ich zucke zusammen und öffne die Augen, doch ich habe noch immer die Schlacht im Kopf. Die Wand verändert sich wieder und wieder und es entsteht eine Art Film. "Ich habe nur daran gedacht, wie Diana es mir erklärt hat.", murmle ich verwirrt. "Welche Diana? Die einzige Diana, die jemals zu uns gehörte, ist seit sieben Jahrhunderten Tod.", erwidert das Mädchen ebenfalls verwirrt. "Sie hat mich jedoch hergeführt....", staune ich. "Du bist seltsam. Du müsstest schon mit Geistern kommunizieren können, um Diana sehen und hören zu können. Diese Gabe hatten aber erst sieben von uns. Diese sieben waren aus einer Familie und zwar aufeinanderfolgend. Der letzte Dämon, der diese Gabe hatte, war Ethan Black. Er war zudem der stärkste Dämon seit jeher. Die einzige, die stärker war als er, war Diana... Was ist mit dir?", unterbricht sich das Mädchen selbst, als sie meinen entsetzten Gesichtsausdruck sieht. "Wie heißt du eigentlich?", frage ich zögernd. "Ähm.. Mein Name ist Emma Armstrong. Und wie heißt du?", antwortet Emma verwirrt. "Mein Name ist Skayla Black. Ich habe einen Bruder, Tom Black. Er ist wie ich und mein Dad. Zwar nicht genauso aber fast. Ich aber komme genau nach meinem Dad, Ethan Black....", erläutere ich ihr meine erschreckende Erkenntnis. "Aber...aber Mr Black sagte, er habe keine Nachkommen.", schreit Emma und erschreckt mich damit fast zu Tode. "Jetzt wo du es sagst, Dad sagte immer etwas davon, dass er Tom und mich niemals den Dämonen überlassen würde.", ich will es noch verhindern, doch meine Gedanken erscheinen schon auf der Wand. "Was ist das?!? ... Wer bist du!?", ruft eine männliche Stimme hinter mir. "Sie heißt Skayla Black und ist eine der beiden Nachkommen von Ethan Black!", kreischt Emma plötzlich. In diesem Moment wünsche ich mir nichts sehnlicher, als unsichtbar zu werden. "Wo ist sie hin?", ruft der Typ in der Tür. Ich denke schnell wieder, nur um es auszuprobieren, daran, sichtbar zu werden. "Ach du heilige Scheiße!", ruft der Kerl, er steht immer noch in der Tür, und verbeugt sich tief vor mir. "Was machst du denn da?", rufe erschrocken aus und renne zu ihm, um ihn wieder aufzurichten. "Ich bin Richard Sawyer. Komm Skayla, ich begleite dich in den großen Saal, damit es alle mitbekommen.", stellt er sich vor und streckt mir seine Hand freundlich entgegen. "Was sollen alle wissen?", frage ich verwirrt. "Du weißt es nicht? Alle Dämonen, die wie du waren, waren unsere Herrscher. Manche wurden ermordet, andere entschieden sich für ein menschliches Leben. Jedoch weiß keiner von uns, wie dein Vater umgekommen ist, da er sich ja eigentlich für ein Leben als Dämon entschieden hatte. Das ist aber jetzt nicht von Bedeutung. Es ist wichtig, dass alle von deiner Heimkehr erfahren.", er nimmt meine Hand und bedeutet mir, ihm zu folgen. "Sollte ich mich nicht noch umziehen?", versuche ich mich herauszureden. "Denk einfach an das, was du anziehen willst.", erwidert Richard und geht weiter schnellen Schrittes voran. Ich versuche mich an irgendein weißes Kleid von mir zu erinnern. "Schönes Kleid.", meint Richard mit einem Augenzwinkern. Na klasse, ich habe an mein kurzes weißes Sommerkleid gedacht. Es ist schlicht, nur etwas kurz. An den Füßen trage ich ebenfalls weiße, schlichte Ballerinas mit einer Schleife an der Spitze. Meine Haare sind zu einem schönen Zopf hochgesteckt, nur ein paar Strähnen fallen mir locker ums Gesicht. Wir gehen eine Weile durch ein endloses Labyrinth aus weißen Gängen, bis Richard endlich vor zwei riesigen Eichenholzschwingtüren stehen bleibt. Die Türen schwingen auf und sofort richten sich Millionen von Augenpaaren auf uns zwei. Wir treten langsam ein und Richard beginnt zu sprechen: "Wir glaubten die Linie der Blacks wäre nun vollständig ausgelöscht, doch seht her. Dies ist die Tochter des großen Ethan Black, Skayla Black!", ruft er in die Menge und zeigt auf mich. Schlagartig geht die versammelte Menge zeitgleich auf die Knie. Ich bin nun also eine Herrscherin? Ich wünsche mir trotzdem nichts mehr, als das mir herrliche große Flügel wachsen und ich hier heraus fliegen könnte. Kaum habe ich das gedacht, kribbelt mein Rücken und etwas hebt mich in die Luft. Ich drehe mich schneller und schneller, bis ich ganz oben an der Decke der Halle bin, dann geht es abrupt nach unten. Ich schließe meine Augen und breite die Flügel aus. Es ist, als würde nichts um mich herum mehr existieren. Ich fliege schnell durch die Gänge und hinaus in die Natur. Dort wo vorhin noch elende Leere herrschte, sprießen nun überall Bäume und Blumen. Man hört die Vögel zwitschern und die Bienen summen. Ich fühlte mich noch nie so frei und sorglos wie jetzt. Ich könnte überall hin fliegen oder aber hier bleiben und über ein Volk, nein über mein Volk, aus Dämonen herrschen...
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