"Einsteigen! Ungenehmigte! Hier rein!", brüllte ein uniformierter Mann von einem hohen Podest. Einige Mitarbeiter schoben meine leidtragendenden Genossen unwirsch in die Züge.
Ich sah immer wieder zu dem anderen Zug hinüber. Der für die Genehmigten. Sie wurden freundlich, einer nach dem anderen, in die Züge gelassen, nachdem ihnen das Gepäck abgenommen wurde. Fieberhaft suchte ich nach Selia und als ich sie fand erwiederte sie meinen Blick. Es war ein leidender, vielsagender Blick. Das letzte mal das wir uns sehen würden, denn als ich ihr ein letztes mal "Leb wohl!" zurufen wollte, wurde ich gepackt und in den Zug gezerrt.
Wir hatten uns bereits voneinander verabschiedet. Nicht genug - am liebsten würde ich noch immer mit ihr auf meinem Bett sitzen und sie umarmen - aber wir hatten es getan. Nach dem Selektionsessen, war sie mit ihrer Familie zu uns gekommen. Wir hatten uns geherzt, umarmt, viel geweint. Es würde das letzte mal gewesen sein, dass ich sie alle gesehen habe. Meine Eltern, Tycho, Selia, Mr. und Mrs. Adlai - Selias Eltern.
Auch wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten würde, dass ich mich beweisen konnte - niemand in meiner Siedlung war ein ehemaliger Ungenehmigter - würde ich danach in eine andere Siedlung dekradiert werden.
Es war nicht möglich zwischen den Siedlungen hin und her zu reisen- es würde zu viele Rohstoffe verbrauchen. Das einzige was man tun konnte ist Briefe zu schreiben. Recycelbare Briefe. Die Tinte konnte man mit einem bestimmten Stift aufsaugen, um sie wieder neu an zu ordnen, so dass man den Brief wieder zurück schicken konnte, ohne großarig Papier zu verschwenden. Nichts für Sammeler, aber sinnvoll für die Gemeinschaft. Die Briefe wurden in extra Briefschächte geworfen, die die Siedlungen miteinander verbanden und nur wenig Energie verbrauchten. Das war die einzige Möglichkeit miteinander Kontakt zu halten. Zu Siedlung eins gab es allerdings keine Briefleitung. Die Teilnehmer wurden für dieses Jahr komplett von der Außenwelt abgeschnitten.Ich stellte mich in eine Ecke des Wagons. Zwar hatte ich nicht damit gerechnet das wir Sitzplätze bekommen, aber ich hatte auch nicht erwartet, dass wir wie Vieh in einem Güterwagon transportiert werden würden.
Mutter hatte mir erzählt, dass die Fahrt mehrere Stunden andauern würde und nun fragte ich mich, ob ich vielleicht schon in der Zeit hier drinnen sterben konnte. Die Luft war bereits stickig und so aneinander gedrängt war einem viel zu warm. Mir wurde unwohl als ich über die Fahrt nachdachte, aber da mir in den letzten Tagen sowieso dauerhaft unwohl war, spielte es kaum noch eine Rolle. Immerhin waren kleinere Luft schlitze vorhanden und die Sonne wurde, soweit ich es gesehen hatte, zum teil von einer Plane abgeschirmt, die über den Zug gespannt war. Außerdem musste man dazu sagen, dass Mutter früher in Siedlung 20 gelebt hatte und das viel weiter von Siedlung 1 entfernt war.Ich sah mich in dem Raum um, soweit ich trotz Dämmerlicht und Menschen sehen konnte, als die Türen geschlossen wurden.
Direkt neben mir stand ein etwas kleinerer rothaariger Junge und ein asiatisch wirkendes Mädchen, die etwa genauso groß war wie ich. Die grünen Augen des Jungen waren von dunklen Schatten unterstichen. Er stand in einer abweisenden Haltung, halb an die Wand und halb an einen großen dunkelhäutigen Mann gedrückt vor mir und schien in seiner eigenen kleinen Gedankenwelt versunken zu sein.
Das Mädchen wurde von einer anderen Ungenehmigten gegen meinen Leib geschoben. Unsere Haut klebte unangenehm aneinander, weshalb sie beschämt zu Boden sah. Auch mir war es ein wenig peinlich, aber ich kam nicht eine Sekunde auf die Idee sie von mir zu schubsen. Einerseits, weil das eine ganze Welle von stürzenden Menschen auslösen würde, andererseits weil sie in den letzten Tagen sicher schon genug Leid erfahren hatte. Ihr dunkeles Haar und die helle Haut wirkten in dem Zwilicht des Güterwagons beinahe gespenstisch, was durch die blutunterlaufenden Augen noch unterstichen wurde. Wie ich trug sie einen Rock und ein Shirt, aber bei ihr sah es irgendwie viel ordentlicher und gepflegter aus als bei mir. Ich fragte mich wirklich, was sie falsch gemacht haben könnte, dass sie keine Genehmigung erhalten hatte und plötzlich schien die Theorie, dass alles nur durch Zufall entschieden wurde, gar nicht mehr so weit her geholt.
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Die Selektion
Science FictionEine Welt des absoluten Friedens, des Glücks und der Gemeinschaft. Keine Diskriminierung auf Grund von Herkunft, Glauben, Aussehen, Geschlechts, oder Sexualität - und mitten drin: die Selektion. "Wir nutzen Gewalt um den Frieden zu wahren." Jed...