Erleichterung schoss in mein Herz. Ich hatte recht behalten. Mein neuer bester Freund würde uns nicht verraten und es war sogar besser ausgegangen, als ich es mir erhofft hatte. Er würde mitkommen. Das erste mal seit einer Ewigkeit fühlte ich mich nicht allein. Hoffnung flammte auf und das Feuer des Glücks tobte durch meine Adern.
Ich sprang ihm um den Hals und er fing mich auf. Eine Weile standen wir da, Arm in Arm.Wir diskutierten lang darüber wie wir Kontakt zu den Streichern aufnehmen konnten, ohne auffällig zu werden. Nebenbei erledigte ich meine Arbeit. John blieb den ganzen restlichen Tag an meiner Seite, half mir gelegentlich, doch zu einem Entschluss kamen wir nicht.
Die gute Laune, die ich über den Tag hinweg immer weiter abgebaut hatte, erstarb, als John den Laden verließ. Es war schon dunkel draußen.
Er wollte etwas früher gehen, um Daz aus dem Büro abzuholen.
"Das schulde ich ihm", hatte er gesagt.Die restliche Stunde, die ich allein im Laden verbrachte, zog sich. Es waren kaum noch Leute unterwegs und kaum jemand verirrte sich noch zu mir. Jedesmal, wenn die Tür aufging hoffte ich, es wäre einer der Streicher, die mein ewiges Gegrübel beenden und mich mitnehmen würden, doch ich hatte an diesem Abend kein Glück.
Als ich nach der Arbeit nach Hause kam, war es totenstill im Gebäude. Ein ungutes Gefühl zog sich durch meinen Magen. Selia war schon wieder nicht da. Ich hasste es so sehr. Wärend ich arbeitete hatte sie irgendwo ihren Spaß zusammen mit anderen Arschlöchern.
Brodelnd begann ich den Haushalt zu machen, der ebenfalls immer auf mir hängen blieb.
Ich fegte, wischte und brachte alles an seinen Platz zurück, was Selia aus irgendeinem Grund verschoben oder verbraucht hatte. Dann begann ich zu kochen. Ich bereitete irgendetwas, was viel beanspruchte. Normalerweise machte ich immer nur etwas mehr als eine Portion, denn Selia gab mir häufig nur die Reste zu essen, doch heute spuckte ich auf ihre Regeln.
Ich aß so viel, dass ich das erste Mal seit Wochen wieder richtig satt wurde und hatte dann immernoch genug über, um es noch drei mal zu werden.
Als ich gerade dabei war die Reste kühl zu stellen, hörte ich den Schlüssel in der Haustür. Ich verharrte in meiner Bewegung. Wenige Sekunden später fiel die Tür wieder ins Schloss."Liiiz?", hallte Selias Stimme durch die sonst toten Gemäuer. Sie lallte etwas. Vermutlich war sie betrunken.
Ich sagte nichts. Unentschlossen, ob ich wütend sein, oder mir Sorgen machen sollte, starrte ich auf den Eingang der Küche.
"Liizzz!", rief meine Patnerin noch einmal. Ich hörte Rascheln und Klopfen, was vermutlich von der Kleidung stammte, die Selia achtlos in die Ecke warf.
Dann leicht torkelne Schritte, die immer näher kamen. Sie musste komplett dicht sein. Wie war sie überhaupt hier her gekommen, ohne irgendwo liegen zu bleiben?
Ob sie einer von ihren komischen Freunden gebracht hatte?
Still schloss ich den Kühlschrank, als meine Patnerin schon durch die Tür schwankte.
"Da bis'su ja", lallte sie , "Warum sags'u denn nich's?"
"Du hast mir auch nicht gesagt wo du hin bist."
Wider Erwarten machte sie mich nicht sofort für meine "frechen" Worte fertig, sondern lallte eine Entschuldigung. Haltlos viel sie in meine Arme. Ich konnte sie gerade noch so oben halten. Sie war definitiv voll.
"Was machst du denn?", fragte ich sanft und strich ihr zögernd durch die seidigen Haare. Sie hatte mitlerweile einen ziemlich langen dunkelen Ansatz. Sie hing mit roten Wangen und geschlossenen Augen in meinen Armen und trotzdem schaffte sie es dabei gut auszusehen.Vorsichtig brachte ich sie ins Wohnzimmer und legte sie auf dem Sofa ab. Wie ein kleines Kind klammerte sie an meiner Hand.
"Bleib hier", bettelte sie.
Ich lächelte. "Ich hole dir nur ein Glas Wasser und komme dann zurück, okay?"
Widerwillig ließ sie meine Hand los. Selia war immer so niedlich, wenn sie getrunken hatte, doch aus irgendeinem Grund hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie auch jetzt, hier, in der Selektion, so sein würde.
Schnell holte ich ein Glas Wasser aus der Küche und brachte es ihr. Ich stützte ihren Rücken, um ihr beim Trinken zu helfen, dann setzte ich mich neben sie. Sofort griff sie wieder nach meiner Hand und schmiegte sich an mich. Ich erwiderte den Druck ihrer Hände.
Ja, ich hatte mir geschworen diesem Mädchen als Freundin abzudanken, doch ich konnte nicht verleugnen, dass ich die Zärtlichkeiten genoss. Es erinnerte mich an alte Zeiten. Die Zeiten vor der Selektion, als alles noch gut war.
Doch vor allem erinnerte es mich an meine Gefühle für sie, die über eine normale Freundschaft hinausgingen. Ich wusste, dass Selia nicht mehr das selbe für mich empfand. Nicht mehr wie damals, zumindest. Aber ich hatte auch geglaubt zu wissen, dass mein eigener Funke schon lange erloschen war.
Bedacht legte ich mich neben sie auf das schmale Sofa und zog eine Wolldecke über uns. Draußen spielten noch immer die weißen Flocken im Wind. Die Kerzen tauchten das Zimmer in ein schwaches warmes Licht. Selia schmiegte sich an mich. Ich konnte deutlich spühren wie sich die Wärme unserer Körper mischten. Es war angenehm.
Obwohl ich vor ein paar Minuten noch stink sauer gewesen war, floss nun Ruhe und Gelassenheit durch meine Adern. Endlich war es still in meinem Kopf. Es gab nur Selia und mich auf dieser Welt.
"Liizzy...", nuschelte die Betrunkene neben mir nach einer ganzen Weile.
Ich sagte nichts.
"Lizzy... Ich liebe dich... 's tun mir leid..."
Zögerlich legte ich einen Arm um sie, zog sie dichter an mich. Dann versuchte ich mein Glück.
"Ist schon gut... Kannst du mir jetzt endlich sagen warum du dich so scheiße benommen hast?"
Sie zögerte merklich lange.
"War sauer auf dich... has' mich abblitzen lass'n... Du kenns' mich doch..."
"Selia, ich wollte dir doch die ganze Zeit sagen, dass ich deine Gefühle erwidere, aber du hast mich ignoriert und dann angefangen mich so mieß zu behandeln. Hättest du mir nur kurz zugehört, wäre doch alles gut gewesen. Eigentlich habe ich es dir sogar schon gesagt, aber du hast mich abgewiesen."
"Hab' ich?"
"Ja, hast du."
Die Größere setzte sich auf, drehte sich zu mir. Sie sah müde aus. Ihre Wangen waren rot. Ein paar Haarsträhnen hingen ihr im Gesicht. Ich widerstand dem Bedürfnis sie ihr hinters Ohr zu streichen.
"'s tut mir leid, Lizzy", wiederholte sie immernoch lallend, "Ich hab' dir versproch'n dich zu beschütz'n.. ich hab das nich' vergess'n, ehrlich. Ich liebe dich immernoch, von ganz'n Herz'n... Is mir egal, ob du d's erwiders'... Kannsu mir verzeih'n?"
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, bevor ich nickte. Mein Bauch und mein Herz kribbelten angenehm. Beim Frieden, ja, das musste Liebe sein.
Bevor ich noch etwas sagen konnte lagen ihre Lippen auf meinen. Sie küsste mich jetzt zum zweiten Mal, doch dieses Mal war es anders. Ich war darauf vorbereitet. Vielleicht hatte ich es mir sogar gewünscht.
Ich erwiderte den Kuss. Sie schmeckte nach Alkohol, aber auch nach etwas süßem. Schokolade?
Wie von allein wanderten meine Hände zu ihrer Taille. Sie zog sich auf meinen Schoß. Sie war zwar größer als ich, wog aber fast nichts.
Ich spührte ihre Hände an meinem Nacken und kurz darauf ein angenehmes Kribbeln, das durch meinen Körper wanderte. Gänsehaut stellte sich mir auf. Ich löste den Kuss nicht und sie tat es auch nicht.
Ihre Haarekitzelten an meinen Händen, als ich sie über ihren zierlichen Rücken wandern ließ. Meine Augen waren geschlossen und damit war auch die restliche Welt verschwunden. Es gab nur noch Selia und ihre sanften Berührungen. Mein Herz klopfte schneller. Was tat ich hier eigentlich?
Noch ehe ich mich dagegen wehren konnte schossen die Gedanken zurück in meinen Kopf. und damit kehrte auch die restliche Welt zurück. Das hier war nicht richtig. Ja, Selia hatte sich entschuldigt, aber sie war auch sturz besoffen. Schon Morgen würde sie ihr Versprechen wieder vergessen haben und alles würde wieder sein wie vorher. Ich öffnete die Augen und löste den Kuss. Selia wollte schon nach rücken, doch ich drehte beschämt meinen Kopf weg. Auch wenn sie sich daran erinnern würde, ich wollte sie nicht küssen, wenn sie nicht bei klarem Verstand war. Das gehört sich einfach nicht. Ein Stechen zog durch meinen Magen. Ich fühlte mich dreckig, dass ich es so schön fand sie so nah bei mir zu haben.
"Ist alles gut?", fragte Selia besorgt und ich nickte kurz als Antwort.
"Komm, ich bring dich rauf. Wir sollten schlafen gehen", bestimmte ich, ignorierte Selias Blick, der ganz klar signalisierte: "Ich bin nicht einverstanden."
Glücklicherweise beließ sie es aber dabei und rutschte von meinem Schoß runter. Sofort spührte ich, wie die Kälte ihren Platz einnahm.
Wehmütig stand ich auf.
"Na komm", wiederholte ich, wärend ich ihren Arm über meine Schulter zog und sie so zum stehen brachte.
"Ich kann selbst geh'n...", behauptete sie und löste sich von mir.
Konnte sie nicht.
Kaum stand sie allein, kippte sie etwas zur Seite. Ich konnte sie gerade so auffangen, ehe sie in den Chouchtisch krachte.
Seufzend hievte ich sie zurück über meine Schulter und brachte sie nach oben.
Im Badezimmer half ich ihr sich zu waschen und sich umzuziehen. Es machte mir nicht viel aus, da wir uns sowieso schon nackt und noch viel häufiger in Unterwäsche gesehen hatten, doch diesesmal hatte es einen komischen Beigeschmack.
Als wir beide fertig waren, drapierte ich sie im Bett recht mittig, dass sie nicht raus fallen würde und legte mich dichter zu ihr. Ich hatte eigentlich nicht vor gehabt zu kuscheln, doch kaum hatte ich mich richtig hingelegt, schlang Selia schon ihre Arme um mich.
"Ich hab dich lieb", flötete sie kindlich.
"Ich dich auch."
Sie nahm meine Hand, ich drückte sie.
"Gute Nacht, Lizzy."
Ich zögerte.
"Schlaf gut, Lialein."
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Die Selektion
Fiksi IlmiahEine Welt des absoluten Friedens, des Glücks und der Gemeinschaft. Keine Diskriminierung auf Grund von Herkunft, Glauben, Aussehen, Geschlechts, oder Sexualität - und mitten drin: die Selektion. "Wir nutzen Gewalt um den Frieden zu wahren." Jed...