Kapitel 9

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Die darauf folgenden Tage verliefen ganz ähnlich.
Jeden Abend kamen wir total ausgelaugt nach Hause, quälten uns einer nach dem anderen in die Dusche und lebten von kalter Kost, da keiner von uns beiden lust hatte noch etwas zu kochen.
Dank dem Regen waren die Felder weicher und schlammiger geworden, weshalb man aufpassen musste nicht auszurutschen und kopfüber in den Matsch zu fallen. Genau dies passierte aber sowohl Selia als auch mir, als ich mitte der Woche das Gleichgewicht verlor, mich an dem nächst besten zu halten versuchte und Selia mit in mein verderben riss. Beinahe bin ich mir sicher, dass es ernste Konsequenzen gehabt hätte, wären wir auf die Ernte gefallen, die wir nur knapp verfehlten.
Selia hatte es mir zum Glück nicht all zu übel genommen, auch wenn man ihre miese Laune bereits in zehn Meter Entfernung spüren konnte.
Diese miese Laune wurde von Tag zu Tag schlimmer. Vor allem, weil um die Mittagszeit herum stehts die Sonne durch die Wolken brach und die nassen Felder zu erwärmen begann. Ganze Armeen von Fliegen, Mücken und anderen Insekten schwirrten dann um unsere Köpfe. Noch dazu gab der erwärmte Schlamm einen unangenehmen modrigen Geruch von sich, was die Arbeit nicht unbedingt erleichterte.
Selbst mich, die Anfangs noch so viel Motivation für das Arbeiten auf dem Feld gezeigt hatte, verließ der gute Wille nach dem dritten Tag.
Es gab durchaus Leute in unserer Truppe, die gefallen an diesem Job gefunden hatten und wahrscheinlich auch nach der Probewoche diesen Platz beibehalten würden, doch Selia und ich einigten uns rasch, es bei diesen sieben Tagen zu belassen.
Selia hatte diesen Beschluss ja bekanntlich schon gefällt. Beipflichtigen konnte ich ihr nun aber doch.
Diese Knochenarbeit war nicht für uns gemacht.

Als wir am letzten Tag von unserer Arbeit nach Hause kamen, legte Selia sich direkt nach betreten des Gebäudes auf den Flurboden und stieß einen Jubelschrei aus.
Schmunzelnd setzte ich mich neben sie.
"Geschafft!", pflichtete ich ihr bei, strich dabei als Aufmunterung über ihren Rücken.
"Ja!", quietschte sie glücklich und zog mich in eine schlammige Umarmung.
Protestierend lachend versuchte ich sie von mir zu drücken, doch Selia hatte andere Pläne.
Freundschaftlich ringend rollten wir über den Steinboden, auf der wir, mindestens, eine Schicht Erde hinterließen.
"Seli, lass das, wir müssen das alles wieder sauber machen!", versuchte ich angesprochener verzweifelt und belustigt zu gleich zu verklickern.
"Mir egal! Ich bin glücklich! Der Rest kommt später!"
Triumpfierend grinste sie mich an, als sie es geschafft hatte meine Hände am Boden zu halten.
Ich gab meinen Wiederstand auf.
"Gut, du hast gewonnen. Aber nur weil ich ausgelaugt bin. Jetzt geh schon runter!", sagte ich und verdeutlichte es noch einmal mit einem zappeln.
"Als ob nur deswegen, Kleine", grinste sie neckend, half mir dann aber dabei aufzustehen. Ich boxte sie leicht an der Schulter.
"Klappe."
"Ätsch."
Rasch warf ich ihr noch einen gespielt süffisanten Gesichtsausdruck zu, ehe ich mich umdrehte und zur Küche ging.

Wollte ich zumindest.

Denn dann geschah etwas, womit ich nie im Leben gerechnet hätte:
Schwungvoll zog Selia mich an meiner Hand zurück in ihre Arme und ehe ich noch verdutzt hätte schaun können lagen ihre Lippen auf den meinen.
Sie küsste mich.
Selia Adlai, meine beste Freundin, seit ich denken kann - küsste mich.
Es war ein sanfter, fordernder, aber auch gleichzeitig unsicherer Kuss, als befürchtete sie ich würde sie gleich schlagen.
Vielleicht war mir auch ein bisschen danach. Was tat sie da?
Doch statt zu protestieren stand ich nur perplex da, wusste nicht mehr wohin mit mir und meinen plötzlich aufkommenden Gefühlen. Die Verwirrung, die Angst und das leise Klopfen von meinem Herzen, das immer lauter und heftiger wurde, bis es so stark war, das ich befürchtete ich würde gleich an einem Herzinfarkt sterben. Es war Liebe. Das wusste ich so schnell, dass es mich noch mehr verwirrte.
Ich hatte noch nie etwas für ein Mädchen empfunden und gerade bei Selia, wo sie doch immer wie eine Schwester für mich war.

War das überhaupt legitim?

Tränen der Verwirrung sammelten sich in meinen Augen. Selia musste gewusst haben, dass mich das komplett aus der Bahn werfen würde. Warum tat sie das? Wollte sie mich ärgern? War das ein schlechter Witz? Ein Test? Oder ... Empfand sie etwas für mich? Und, wenn ja, wie sollte ich damit umgehen?
Abertausende Fragen schossen in meinem Kopf - und das nur binnen eines Augenblicks, der an mir vorbeizog wie dutzende Ewigkeiten. Drei Sekunden, vielleicht vier, ehe sie sich wieder von mir löste und mich direkt ansah, mit ihren haselnussbraunen Augen.

Ich sagte nichts.
Ich wäre auch nicht dazu in der Lage gewesen etwas zu sagen.
Also starrte ich sie nur an, mit offenen Mund, wartete auf eine Erklärung.

Auch sie schwieg einen Moment, bevor sie zu sprechen begann.
"Liz, ich liebe dich", sagte sie, "eigentlich schon seit Jahren, aber ich konnte es dir nie sagen. Ich wusste nicht wie. Es gab keinen guten Zeitpunkt. Ich hatte Angst das du mich danach nicht mehr magst. Es tut mir leid, dass es jetzt so plötzlich ist. Es tut mir leid, okay?"
Ihre Stimme überschulg sich. Ihre Augen suchten eine Antwort in den meinen.
Sie bekamen keine. Ich war wie versteinert. Mein Körper schien Dinge zu verarbeiten, sich auf andere Dinge vorzubereiten, doch an mir ging alles vorbei ohne mein Gesicht zucken zu lassen.
"Ich hätte es dir sagen sollen, ich weiß. Ich dachte ich lasse erst meine Taten für mich sprechen. Ich dachte du sollst es wissen, sollte das hier dein letztes Jahr sein. Versteh mich nicht falsch", sie erhob ihre Hände und versuchte mich im Geiste zu beschwichtigen, obwohl ich ihr nicht böse war, "ich tu alles dafür das du dieses Jahr überlebst, ich schwöre. Aber nur für denn Fall... sollte ich versagen, solltest du wissen das ich dich liebe - Mehr als nur Freundschaftlich."
Sie wurde immer verzweifelter. "Es tut mir leid, du musst es nicht erwiedern, ich verstehe das, ich..."
"Sei still."
Als die ersten Wörter meinen trockenen Hals verließen war ich mindestens genauso überrascht wie das zitternde Mädchen. Die Prozesse in meinem Inneren hatten ein Ergebnis ausgespuckt.
"Was redest du da?", wisperte ich. Ich wusste selbst nicht genau was ich da sagte. Es war als würde ich nur daneben stehen und zusehen. Als wäre ich nicht ich selbst. "D-du hättest es mir sagen sollen, ja", kurz gab ich mir Zeit mich zu sammeln. "Ich fühl mich gerade ein bisschen überrumpelt, dass ist alles, ich verstehe nicht....ich...."
Dann war der kurze schwall von Redensmut vorbei.
Stattdessen agierte mein Körper von allein. Meine Hände drückten die Pastellhaarige bei Seite. Meine Füße führten mich die Treppe mach oben und über meine Wangen kullerten heiße Tränen.
"Liz! Lizzy!", hörte ich meine Freundin noch von unten rufen, doch ich schlug einfach nur die Badezimmertür hinter mir zu und ließ mich daran heruntersinken.
Ich zog meine Knie an, versteckte mein Gesicht in ihnen und versuchte das Chaos meiner Gefühle irgendwie wieder in den Griff zu bekommen.

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