Kapitel 21

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Joslins Augen blitzten auf.
"Zieh dir was an, ich zeig dir was."
Ich streifte mir meine schwarze Kleidung über. Inzwischen beseitigte Joslin die Spuren unser kleinen Verartztungsaktion. Ich zog meine Jacke an und schaute erwartungsvoll auf meine neu gewonnene grünäugige Hoffnung.
Die Tatsache, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich erwartete oder was mich erwartete, war mir egal. Ich wollte jetzt los. Eine Art Abenteurergeist hatte mich gepackt. Jetzt war die Zeit Bäume auszureißen und Berge zu versetzen.

Ich zögerte. "Soll ich schnell ein paar Sachen packen?"
Ich hätte weglaufen können. Tage und Nächte lang.

Warmes Verständnis breitete sich auf Joslins Lippen aus. Sie fasste meine Hand mit beiden der ihren. "Ich kann verstehen, dass du weg willst. Aber so schnell geht das noch nicht, okay?"
"Wir sind spätestens in einer Stunde zurück", fügte sie hinzu, sichtlich unsicher, ob das eine gute oder schlechte Nachricht war.

Die Luft draußen war rein wie selten. Das Gewitter hatte sie gewaschen und nun war sie frisch und unverbraucht. Die Umgebung hatte sie noch nicht mit ihren Düften angereichert. Offen für Neues ging die Natur auf den Winter zu, so schien es. Bald würden die Temperaturen umschlagen. Die Zeit der großen Stürme - so nannten unsere Eltern den Frühling und den Herbst. Getrennt waren beide von unerbittlichen heißen und ermüdenden Sommern und kalten zugeschneiten Wintern. Es muss hart gewesen sein als man vor 50 Jahren all das errichtete, das uns heute am Leben hält. Inzwischen haben sich die Wetterextreme abgeschwächt und werden kaum merklich von Jahr zu Jahr weniger. In Vorzeitkunde haben wir damals gelernt, dass der Mensch sich früher nicht nur untereinander bekämpfte, sondern auch einen Krieg gegen die Erde führte. Er verlor diesen Krieg und die Erde, so sagt man heute "macht harte Friedensverträge".

Relativ schnell führte mich Joslin zu einer der großen Schneisen, die die Siedlung durchzogen.
Genauer gesagt, eine der alten Schneisen. Gras hatte sie überdeckt. Trotzdem fanden sich überall Zeichen der alten Zeit. Große, ungepflegte Bäume rahmten die Straße in regelmäßigen Abständen und brachen die Wege mit ihren Wurzeln auf. Joslin deutete auf eine dunkle Ecke zwischen zwei besonders mächtigen Pflanzen. Ein Wagen. Kein Nachbau aus Mier. Ein Original. Mindestens 50 Jahre alt. Wahrscheinlich älter. Es muss einmal in hellem Blau geglänzt haben, doch inzwischen war der Lack fast überall ab und Beulen hatte das Fahrzeug so viel, dass die Stellen auffielen, die noch glatt aussahen. Die Tür zum Besteigen war nicht mehr vorhanden; Innen waren an der Decke und den Sitzen die Stoffe zerrissen.
"Kletter durch.", sagte Joslin.

Vorsichtig setzte ich einen Fuß in das Gefährt. Über die Knöpfe und Hebel, die in der Mitte waren, hiefte ich mich auf den Sitz rechts. Die ganze Kiste wackelte stark, als sei ich ein Bär, der in einer Birke hängt. Ich rutschte mich zurecht. Elegant stieg Joslin hinter mir ein. Auch bei ihr wackelte der Wagen. "Wie willst du ihn zum laufen bringen?", fragte ich. Ich hatte noch nie in so einer Erfindung gesessen. "Relativ einfach.", sagte meine Fahrerin mit einer Ladung Zuversicht und ungetrübtem Tatendrang in den Augen, wie ich sie noch bei keinem anderen gesehen hatte. Sie zwirbelte zwei Kabel, die auf Kniehöhe aus der Innenverkleidung des Wagens lugten, zusammen und trat - offenbar genau im richtigen Moment - eine der Klappen zu ihren Füßen mit dem Fuß und griff den mit Abstand größten aller Hebel, die zwischen uns waren entschlossen mit der rechten Hand und legte ihn rabiat um. Der Motor begann zu surren und regelmäßig zu rattern und die Eiche vor uns wurde von jetzt auf gleich hell erleuchtet. Joslin betätigte einen kleinen Hebel, das Licht erlosch. Sie schaute mich an. In der Dämmerung erkannte ich ihr Lächeln, das Neugierde barg. "Schon mal Auto gefahren?"

"Auto?" Ich stutzte. Ich hatte dieses Wort noch nie gehört.

Mein Gegenüber verdrehte die Augen. "Ach ja richtig, ihr sagt einfach ... 'Wagen', oder sowas?"

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