Kapitel 12

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Es war der Montag der vierten Woche. In ein paar Tagen würde die Selektion zum ersten Mal vollozogen werden. Selia hatte gestern - zusätzlich zu den Papieren, die sie jede Woche bekommt - einen Brief mit allen Eckdaten rund um das Treffen bekommen, bei dem erstmals Selektionsurteile gefällt werden würden. Doch die Regularien waren kompliziert und undurchsichtig. Ich kam langsam nicht mehr mit, mit all der Bepunktung, den Berichten und Regeln. Vielleicht wollte das Regime nur ganz sicher gehen, dass es nicht die falschen selektiert. Vielleicht war das alles nur eine Verwirrungstaktik, um zu prüfen, wer den hohen Anforderungen und komplizierten Situationen entspricht.

"Ich bleibe heute hier. Geh alleine zur Arbeit", sagte sie zu mir, als sie im Pijama im Türrahmen der Küche stand, anstatt sich im Bad fertig zu machen, wie ich es von den letzten Tagen gewohnt war.
Verwirrt sah ich von meiner Arbeit auf - Ich machte immer Frühstück wärend Selia sich wusch.
"Warum? Geht es dir nicht gut?"

"Doch, mir gehts prima."

"Warum willst du dann hier bleiben?"
Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Es war Ärger.

"Hör auf Fragen zu stellen und nimm es einfach hin, Elisabeth", waren die Worte, die aus dem Funken eine Flamme machten.
Verärgert legte ich das Brotmesser auf die Theke und drehte ich mich zu ihr um.
"Ich stelle aber Fragen!", fauchte ich schnippisch, "Was ist dein scheiß Problem, Selia!?"
Einen Moment schwieg die Ältere. Ihr Blick verfinsterte sich, ehe sie forsch antwortete.

"Ich habe kein Problem, sondern du. Wag es nicht noch einmal die Stimme gegen mich zu erheben. Ich muss dich streng bewerten und es ist mir scheiß egal, wer du bist. Sonst funktioniert das System nicht und-"
"Seit wann kümmerst du dich um das System!? Wegen dir bin ich doch erst in dieser Lage! Du mit deinen bescheuerten Ideen! Du solltest hier die nicht Genehmigte sein!" Meine Stimme brauste auf. All die Unsicherheit hatte sich in Zorn umgewandelt, welcher nun wie Hagel auf meine Patnerin einprasselte. "Und weißt du was!?", fuhr ich etwas hysterisch fort, "Wenn wir Rollen tauschen würden, wäre ich nicht so zu dir! Egal was gewesen wäre! Wir sind beste Freundinnen, verdammt nochmal, du bist mir wichtig, vielleicht liebe ich dich, vielleicht-" Ich schnappte nach Luft, dachte nicht über meine Worte nach. Es prasselte einfach raus, "Vor allem wenn du mich auch liebst, verstehe ich nicht wie du so sein kannst, Selia! Wenn du-"
Diesmal unterbrach sie mich. Jedoch nicht mit Worten. Ein brennender Schmerz zog sich durch meine Wange.

"Ich liebe dich nicht", zischte sie von oben herab, wärend ich die schmerzende Stelle hielt. Hatte sie mich tatsächlich geschlagen?
Verletzt sah ich zu ihr auf.

"Warum...?", hauchte ich, doch sie zog mich nur ruppig zu sich und schubste mich Richtung Tür.

"Du stellst schon wieder eine Frage!"
Ich zuckte bei dem zornigen Ton zusammen, befürchtete schon, sie würde nocheinmal zuschlagen.

"Selia, was-" "Verpiss dich jetzt!", unterbrach sie mich. Angst kribbelte in meinem Körper.
Das elektrisierende Gefühl bewegte meine Füße zum Ausgang und so schnell sie es vermochten, zu dem alten Laden. Tränen rollten mir über die Wange. Ich trauerte.
Nicht um mich, sondern um den Tod meiner besten Freundin.

Ich war einerseits ziemlich entsetzt, wie weit Selia nun ging, anderseits versprach dieser Tag ohne sie weniger angespannt zu werden. Ich verfluchte mich kurz, so über meine ehemals beste Freundin zu denken, doch ich tat es trotzdem. Es war bereits morgens extrem warm und der Himmel zeigte sich unverändert wolkenlos.
Es hatte seit Tagen nicht geregnet und die Hitze staute sich auch über die Nacht an.

Ich öffnete die Tür und trat in den, vom Sonnenlicht strahlenden Laden ein. Ich ging durch die Regale und stellte fest, dass ich in den letzten Tagen meinen Job so gründlich gemacht hatte, das es wirklich gar nichts mehr zu verbessern gab. Werder an der Sortierung, noch an der Sauberkeit. Ich legte eine der alten Platten auf. 'Waterloo' von 'Abba' schallte durch den Moment. Ich konnte die alte Kriegssprache, die sie "Englisch" genannt hatten, zwar fehlerfrei mitsingen, doch die Bedeutung einiger Worte, wusste ich nicht immer. Man lehrte die, die sich interessierten in Vorzeitkunde im verstehen der alten Sprachen und ich gehörte zu den Interessierten. Es war praktisch und Interessant, jedoch nicht sehr nützlich. Man traf selten auf jemanden, der die alten Sprachen ebenfalls beherrschte und wenn doch, verständigte man sich sowieso mit Miersch.

Die SelektionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt