Kapitel 5

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Mein Herz und mein Atem fanden sich nach Sekunden wieder, doch meine Muskeln gaben nach. Ich fiel einfach in Selias Arme. Sie federte mich zurück und stütze mich. 
"Hey, na?", hauchte sie berührt und ich konnte ein leichtes Schmunzeln auf ihren Lippen hören.
1000 Fragen kreisten in meinem Kopf, doch ein lähmendes Glücksgefühl überschattete die Antworten.
"S-Selia?", fragte ich überfordert, in der Vermutung es sei vielleicht ein Traum.

"Ja, tatsächlich! Schön das du deine beste Freundin noch wieder erkennst."

Ich spürte wie sie mich ins Haus zog und hörte die Tür hinter uns ins Schloss fallen.
"Du bist meine Selektionspatnerin?", blinzelte ich ungläubig zu ihr auf.
Selia strahlte über das ganze Gesicht.
"Ja! Anscheinend!", lachte sie, "Liz, weißt du was das bedeutet!?"
Ich nickte.
Natürlich wusste ich es. Ich würde überleben, weil Selia nur positives über mich schreiben würde. Ich hätte eine tolle Zeit im Selektionsjahr - zusammen mit meiner besten Freundin.

Die Informationen mussten sacken. Alle Befürchtungen, alle Sorgen waren unberechtigt gewesen. Selia und ich waren wieder vereint und mit etwas Glück und sogar viel Wahrscheinlichkeit, könnten wir in die selbe Siedlung eingeteilt werden und selbst wenn nicht - mit Briefen würden wir Kontakt halten. Es würde bestimmt ein großartiges Jahr werden. Ich würde ein tolles Leben leben, mich vielleicht verlieben, Kinder bekommen, einen tollen Beruf ausüben! Ich würde die Chance bekommen mehr als nur die Gitarre spielen zu lernen, vielleicht meinem Traum nachgehen, Musikerin zu werden. Das Schicksal hatte es also gut mit mir gemeint und das Glück war auf meiner Seite. Man konnte die Gefühle die ich in diesem Moment verspürte nicht in Worte fassen. Es war großartig. Ein Kribbeln, mehr als das. Tausende Schmetterlinge in meinem Bauch! Millionen! Milliarden! Ich hätte vor Glück schreien können, aber gleichzeitig lähmte mich dieses Gefühl und verbat mir einen Laut von mir zu geben. Meine Mundwinkel zitterten. Mein ganzer Körper bebte. Tränen schossen mir in die Augen und ich begann zu weinen.
Diesmal vor Glück.

Ich fiel zurück in Selias Arme, die mir sanft über den Rücken strich und ihren Kopf auf meine Schulter legte.

Eine ganze Weile standen wir so dort in dem Flur, den ich noch nicht ganz wahrgenommen hatte, bis Selia die Stille unterbrach.
"Komm, ich zeig dir das Haus", murmelte sie und rang sich ein Lächeln ab. Auch sie hatte geweint, was ich unschwer an meiner nassen Schulter spüren konnte.
Nickend löste ich mich von ihr und ich begann mich umzusehen:
Der Flur, in dem wir uns befanden, schien hell, da ein Fenster über der weißen Haustür angebracht war. Alles war in hellen bläulich-weißen Farben gehalten und blinkte beinahe vor Sauberkeit. Von hier aus führte ein länglicher Gang zu weiteren Türen und an der Seite befand sich eine Treppe, die ins nächste Stockwerk führte.
Ich fragte mich ob dort dann das andere Pärchen wohnte, doch Selia überraschte mich, als sie mit ihrer Erklärung begann:
"Hier unten ist ein kleines Bad" -sie deutete auf die jeweiligen Türen- "die Küche, dort hinten sind Esszimmer und das Wohnzimmer. Sie sind in einem Raum zusammen gelegt. Von dort aus kommt man auch über eine kleine Terasse nach draußen in den Garten - wir haben einen verdammten Garten, Liz!" Ihre Augen glitzerten vor Freude. Sie war schon immer der Pflanzenfreund gewesen.
"Oben - bevor du fragst: Ja, oben gehört auch noch uns - befindet sich das Schlafzimmer, noch ein größeres Bad und ein leeres Nebenzimmer, das aber ziemlich trostlos zu dem Rest hier ausschaut."
Sie machte eine kurze Pause, in der ihr Blick zu einer Tür unter der Treppe wanderte, die mir bis jetzt noch nicht aufgefallen war. Ihre Mine wurde ein bisschen weniger enthusiastisch.
"Dort unter der Treppe steht ein Bett. Ich denke, es ist für die Ungenehmigten hin gestellt worden, aber ich lass dich da ganz sicher nicht schlafen. Du kannst oben bei mir pennen. In dem Schlafzimmer steht ein Doppelbett."
Glücklich nickend lächelte ich sie an. Unter einer staubigen Treppe in einem noch staubigeren Bett zu schlafen, stellte ich mir nicht ganz so toll vor und wieder einmal dankte ich wer-weiß-wem, dass Selia meine Patnerin war und nicht irgend ein Arschloch. Hätte ich jemand anderen abbekommen würde ich gewiss in dem kleinen schäbigen Raum schlafen müssen. Allein schon, weil sich kein Fremder mit mir ein Bett teilen wollen würde, wenn er nicht unbedingt pervers war. Aber dann wäre ich freiwillig in den kleinen Raum gegangen und am liebsten nie wieder raus gekommen. Wobei, sollte es wirklich solche Leute geben, würden sie dann wahrscheinlich sowieso zu den Ungenehmigten zugeteilt worden sein, oder? Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich plötzlich an den Jungen denken musste, der mich beim Selektionsessen so komisch angeschaut hatte. Zwar war nichts passiert, aber was wäre wenn?

Glücklicherweise holte mich Selia wieder in die Realität zurück.
"Willst du es in natura sehen?", fragte meine Selektionspatnerin aufmunternd lächelnd, als hätte sie meinen Gedankengang erkannt. Sofort warf ich die Gedanken an den Typen bei Seite. Sicher hatte ich mich sowieso nur geirrt und er war ein total netter Kerl. Immerhin saß er an dem Tisch der Genehmigten.
Um meiner Freundin zu antworten, schüttelte ich den Kopf.
"Nein, ich werde es früher oder später eh sehen. Lass uns lieber reden, oder... essen... ich habe seit dem Selektionsessen nichts mehr bekommen. Ein Wunder das ich noch nicht verdurstet bin."

Natürlich war ich neugierig wie unsere Behausung wohl aussehen mochte, aber mein Magen rebellierte bei dem bloßen Gedanken etwas zu sich nehmen zu können. Außerdem würde ich mich lieber mit Selia über geschehene Ereignisse unterhalten, als über die Bequemlichkeit einzelner Möbelstücke, oder die Farben und Muster der Tapeten.

"Oh, natürlich!", sagte meine violetthaarige Freundin rasch, nahm mich bei der Hand und führte mich zu dem Raum, den sie bereits als 'Küche' betitelt hatte.
Mein Magen machte beinahe einen freudigen Hüpfer, als ich die angenehmen Gerüche verschiedenen Essens wahrnehmen konnte. Auf dem kleinen Holztisch in der Mitte des Raumes befand sich eine Schale mit Brot und frischem Obst, von der der süßliche Geruch auszugehen schien. Selia erklärte mir, dass sich dies bereits bei ihrer Ankunft am Vorabend dort befunden hatte, mit einer Karte in der ein Willkommensgruß und einem "Lassen Sie es sich schmecken" vermerkt war.
Sie sei jedoch zu aufgeregt gewesen auch nur irgendwas zu sich zu nehmen, weshalb sie es noch nicht angefasst hatte.
Mir aber lief bei dem Anblick auf der Stelle das Wasser im Mund zusammen, was Selia natürlich sofort auffiel. Grinsend nahm sie einen Apfel aus der Schale und warf ihn mir zu.
Ich fing ihn geschickt auf, lächelte sie dankbar an, ehe ich hinein biss.
Ich liebte Äpfel sowieso, aber das er so toll schmecken würde, hätte ich nicht im Traum gedacht.
Entweder es lag daran, dass ich seit fast drei Tagen nichts mehr zu mir genommen hatte, oder weil die Qualität einfach herausragend war. Egal was davon zu traf, ich war einfach unendlich dankbar wieder etwas gutes essen zu können. Die letzten Tage hatte ich nicht wirklich darüber nachgedacht ob ich nun Hunger hatte, oder nicht. Ich hatte andere Probleme, die meine menschlichen Bedürfnisse zurück gestellt hatten.

"Oh Gott, der Apfel ist so genial", hauchte ich und biss abermals in die rote Frucht.
Selia lachte.
"Ich koch uns was leckeres", grinste sie. Das Mädchen gab mir nicht mal die Zeit zu antworten, sondern begann schon alles Nötige aus den Schränken zusammen zu suchen.

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