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"D..Danny?"

Er ist es.
Er ist es definitiv.
Die dunklen Haare, die rehbraunen Augen.. Ich würde sie immer wieder erkennen. Das ist Danny. Der Danny, der mich aus dem Albtraum damals gerettet hat wie ein großer Held, und dann von heute auf morgen verschwunden ist. Der Danny, der mir damals Hoffnung geschenkt und mir meine Welt aufgebaut hat, nur um sie dann zu zerstören.
Mein Kindheitsfreund.
Meine damalige bessere Hälfte.
Der Junge, dem ich so viel zu verdanken habe.
Warum ist er hier?
Warum begegne ich ihm genau jetzt?
Während ich wie angewurzelt hier sitze und all diese Fragen wie ein Sturm in mir toben, betritt die Kellnerin wieder den Raum.
"Kannst du es bitte kurz für mich auch an den Tisch bringen? Ich muss nämlich sofort das Zucker nachfüllen, bevor die Chefin kommt", sagt sie lachend und streicht sich dabei verlegen durch die Haare.
"Das ist ja eigentlich deine Aufgabe, aber ich schulde dir eh noch etwas."
Diese Stimme.. Dannys Stimme. Egal wann und wo, ich würde sie immer wieder erkennen. Nun bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass es sich um ihn handelt und alleine das genügt schon, um mein Herz zum Rasen zu bringen. Die ganze Welt um mich herum scheint sich zu drehen und ich fühle mich wie in einem Traum, aus dem ich nicht entkommen kann.
Nun läuft er in meine Richtung, doch schaut mich noch nicht an. Anscheinend hat er mich noch nicht bemerkt. Wer weiß, vielleicht hat er mich in den letzten Jahren auch vergessen und kann sich nicht mehr an mich erinnern. Vielleicht habe ich mich so verändert, dass er mich erst gar nicht erkennen kann.
Während ich einen inneren Kampf mit mir führe, steht er plötzlich schon an meinem Tisch.
"Ihr Kakao, Miss..", gibt er in einem höflichen Ton von sich und stellt den Becher vor mir auf dem Tisch ab.
"..Haben Sie noch einen Wunsch?", fügt er noch hinzu und richtet seine rehbraunen Augen, nach denen ich so eine Sehnsucht empfinde, auf mich. Während ein Kloß sich dabei in meinem Hals bildet und ich den Tränen nahe bin, zieht er keine einzige Emotion in seinem Gesicht, so als ob er vor einer Fremden stehen würde. Anscheinend hat er mich wirklich nicht erkannt oder mittlerweile einfach vergessen. All unsere Erinnerungen und Erlebnisse.. einfach alles. Wie konnte er nur?
"N..Nein, danke", stottere ich leise, während mein Inneres weint und blutet. Nach den Worten dreht er sich auch wieder um und geht in die Küche.
Ich wiederum sitze auf dem Stuhl und versuche mir stark die Tränen zu unterdrücken. Ich kann es selbst nicht fassen, dass ich heute schon wieder den Tränen nahe bin. Ich, die schon alle ihre Tränen damals vergossen und ihre Gefühle tief in ihrem Herzen verriegelt hat. Also was sollen jetzt plötzlich all diese Emotionen? Warum weine ich gerade heute? Warum begegne ich ihm jetzt?

Mit zitternden Händen greife ich nach meinem Becher und nehme einen Schluck von meinem Kakao. Gleichzeitig spüre ich wie eine Träne mir die Wange runterläuft. Schwäche ist wahrscheinlich das, was ich gerade ausstrahle. Das ist so lächerlich. Ich könnte vor lauter Frust gerade einfach nur heulen oder laut lachen.
Mit einer Hand streiche ich mir die Träne wieder weg und versuche mich zu beruhigen.
Im Augenwinkel bemerke ich wie die Küchentür sich wieder öffnet und wie kurz darauf Danny mit einem großen Tablet zur vorderen Theke läuft. Während sein Anblick mir wieder den Atem verschlägt und ich die Augen nicht von ihm nehmen kann, schenkt er mir wieder keinerlei Aufmerksamkeit, so als wären wir uns komplett fremd. Das wiederum tut total weh. Es ist wie ein Stich in mein Herz und länger kann ich mir das nicht mehr geben. Ich lege das Geld auf den Tisch, nehme meine Tasche und verlasse das Café. Mit schnellen Schritten laufe ich die Straße entlang und versuche zu realisieren, was gerade eben passiert ist. Es fühlt sich einfach unecht an. So als ob ich in einem Traum bin und nicht aufwachen kann, obwohl es das Einzige ist, was ich im Moment wirklich will. Je schneller ich aufwache, desto eher vergeht der Schmerz, der sich in mir wieder aufgebaut hat.
Langsam nähere ich mich schließlich dem Pflegeheim und sofort versuche ich mich schnellstmöglich zu beruhigen, damit meine Mutter mich nicht in diesem Zustand sieht. Sie soll bloß nichts merken und ihre Laune verderben. Das ist nämlich nicht gut für ihre Gesundheit.
Nach ein paar Minuten kann ich mir endlich wieder mein Lächeln aufsetzen und stehe vor der Tür des Pflegeheims, welches mittlerweile zu meinem zweiten Zuhause geworden ist. Ich atme nochmal tief ein und aus und öffne die Tür. Leise betrete ich den Flur und laufe auch gleich die Treppen nach oben. Diesen Ort kenne ich mittlerweile in- und auswendig, so oft wie ich hier war. Nach ein paar Sekunden stehe ich dann auch schon vor dem Zimmer meiner Mutter. 'Angelika Grey' wurde mit bunten Holzbuchstaben an ihrer Tür angebracht, um die Atmosphäre lebendiger zu machen. Doch eine große Wirkung haben diese kleinen Dinge an so einem Ort nicht wirklich. Stille herrscht im ganzen Gebäude, mehr nicht. Ich hasse diesen Ort, doch zugleich liebe ich ihn auch. Es ist ein Ort, an den ich ungewollt gebunden bin.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt