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"Sara, bitte mach die Tür auf. Ich weiß, dass was ich getan habe, hätte ich niemals tun dürfen und ich bereue es auch so sehr. Es tut mir Leid. Bitte öffne die Tür und lass uns mal darüber sprechen", gebe ich in einem lauten Ton von mir und hämmere gegen ihre Haustür. Obwohl heute Sonntag ist, bin ich früh aus dem Haus, um mit ihr zu sprechen. Dieses Problem will ich endlich hinter mich bringen, doch die Hoffnung habe ich langsam verloren. Seit fünfzehn Minuten stehe ich nun vor ihrer Tür und warte. Ich weiß, dass sie daheim ist, denn erstens steht ihr Auto vor der Tür und zweitens habe ich sie am Fenster gesehen, als ich zum ersten mal geklopft habe. Gekränkt ist sie definitiv, aber Aufgeben werde ich niemals. In der Hinsicht bleibe ich stur.
"Ich weiß, dass du da bist. Ich habe dich gesehen, also mach die Tür auf. Sara, bitte! Komm schon."
Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare und weiß nicht, was ich noch machen soll. Wenn ich jetzt einfach so aufgebe und gehe, würde sich das Problem niemals lösen und zudem wird mir Alex das auch niemals verzeihen. Beide zu verlieren, verkrafte ich nicht mehr.
Ich hebe die Hand und will erneut klopfen, als sich plötzlich die Tür öffnet und Sara vor mir steht. Ihre blonden Haare sind zu einem unordentlichen Dutt zusammengesteckt, ihr Gesicht blass und leichte Augenringe hat sie auch. Sara so zu sehen, hätte ich nicht mal in meinen tiefsten Träumen erwartet. Normalerweise gehört ihr äußeres Erscheinungsbild immer zu ihren höchsten Prioritäten. Meinen Schock sie in diesem Zustand zu sehen, sieht man mir höchstwahrscheinlich auch an.
Mit einem abwertenden Blick mustert sie mich.
"Rede. Ich warte", meint sie und verschränkt ihre Arme vor der Brust. Das wird mir definitiv viele Nerven kosten. Alleine ihr Blick verrät mir dies schon.
"Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid, Sara. Ich bereue es zutiefst. Du weißt, dass ich sowas normalerweise niemals tun würde. Du kennst mich doch. Bitte lass uns über alles in Ruhe sprechen", erkläre ich ihr in einem ruhigen Ton und betrachte sie hoffnungsvoll. In ihren Gesichtszügen scheint aber keine Begeisterung zu liegen. Sie hebt eine Augenbraue vorwurfsvoll und ihre Augen funkeln nun leicht zornig.
"Warum sollten wir das tun? Was gibt es da zu bereden?"
"Sehr viel. Wir müssen diese Probleme zwischen uns klären. Wenn dir noch etwas an dieser Freundschaft liegt, dann wirst du mir zustimmen, Sara", antworte ich, während ihr ein kleines Grinsen über die Lippen huscht bei den Worten.
"Und was wenn nicht?"
Diese Frage ist wie ein Schlag in mein Gesicht und ihre amüsierte Miene zeigt, dass sie dies auch ganz genau weiß. Sie tut es bewusst, um mir weh zu tun. Heute lasse ich mich aber nicht aufregen, Alex zuliebe. Sie lässt mir aber keine andere Wahl, als ebenfalls provokativ an die Sache zu gehen.
"Dann werde ich gehen und wenn Alex fragt, wie es gelaufen ist, ihm die ganze Wahrheit erzählen."
Ihr Grinsen weicht ihr von den Lippen und sichtlich genervt von meinen Worten, richtet sie ihre blauen Augen auf mich.
"Drohst du mir gerade?"
"Das war nicht meine Absicht, Sara. Die Wahrheit bleibt für mich immer die Wahrheit und wenn du dich bedroht fühlst, dann liegt es an deinen Fehlern.." Ich verschränke meine Arme ebenfalls vor der Brust. "..Also? Wollen wir nun reden oder nicht?"
Für einige Sekunden funkelt sie mich wütend an, bis sie schließlich zögernd zur Seite tritt und meine Blicke meidet.
"Komm rein."
Es tut mir Leid, dass ich mir auf diese Weise einen Zutritt verschaffen musste, doch sie hat mir keine andere Wahl gelassen. Wir müssen das zwischen uns so schnell wie möglich klären.

Dankend trete ich ein und nehme schließlich auf ihrem Sofa Platz. Mit verschränkten Armen setzt sie sich vor mich. Ihre Augen sind auf den Boden gerichtet und den Anfang des Gesprächs werde ich dann wohl übernehmen müssen.
"Es tut mir Leid, Sara. Ich hätte niemals meine Hand heben dürfen, aber deine Worte.." Ich halte inne und hebe meinen Blick. "..Deine Worte haben mich wirklich sehr verletzt und getroffen, weil ich sie niemals von dir erwartet hätte. Dadurch habe ich die Kontrolle verloren und es kam zu dem Vorfall. Ich konnte erst selber nicht fassen, dass ich wirklich meine Hand gehoben habe und habe es auch direkt zutiefst bereut. Ich.. Ich hätte das niemals gewollt. Auf diese Weise wollte ich mir zudem auch keinen Zutritt verschaffen, doch du hast mir keine andere Wahl gelassen. Es tut mir wirklich so Leid."
"Deswegen bist du hier?", fragt sie mich in einem kalten Ton.
"Ja, deswegen bin ich hier. Ich will dieses Problem zwischen uns endlich lösen. Was ist bloß aus uns geworden, Sara? Wir beide waren doch immer unzertrennlich und wie richtige Schwestern. All die Jahre haben wir zusammen geweint und gelacht, alles miteinander geteilt, oft bis spät in die Nacht telefoniert, uns gegenseitig aufgezogen und geärgert, aber dennoch so sehr geliebt. Wir sind zusammen aufgewachsen, aber in letzter Zeit erkenne ich dich nicht mehr. Mir ist die Wut in deinen Augen gegen mich nicht entgangen." Bei den Worten hebt sie ihren Blick und starrt mich mit einem Hauch von Trauer in ihren zwei Augen an.
"Du hast Alex deinen Fehler nicht erzählt und mich als alleinige Schuldige dargestellt. Ich war geschockt, denn ich hätte nicht gedacht, dass du das tun würdest. Was ist nur los mit dir? Was hast du? Sag es mir, damit ich dich verstehen kann. Lass uns darüber sprechen und das Problem beseitigen."
"Nicht alle Probleme lassen sich durch Kommunikation beseitigen, Grace..", erwidert sie laut und wütend, doch im gleichen Moment weicht ihr die Wut wieder vom Gesicht. Sie senkt ihre Blicke. "..Nicht alles ist im Leben so einfach wie du denkst."
"Ich bin die letzte Person, die dir sagen wird, dass das Leben einfach und fair ist."
Geschockt schaut sie mich an, als sie realisiert, was sie gerade von sich gegeben hat.
"E..Es tut mir Leid", stottert sie leise.
Ich stehe auf, laufe zu ihr und nehme neben ihr auf dem Sofa Platz.
"Warum hast du Alex nicht die volle Wahrheit erzählt?", fragt sie mich schließlich zögernd.
"Verraten wollte ich dich nicht. Ich bin still geblieben, weil ich die Freundschaft zwischen uns allen nicht kaputt machen wollte. Soll er mich halt als Schuldige sehen. Das ist mir egal, solange die Freundschaft nicht kaputt geht. Ich habe nur noch euch in meinem Leben und wenn ich das auch noch verliere, würde ich vollkommen durchdrehen."
Eine Träne rollt ihr nun über die Wange, während sie mir in die Augen schaut. Von der Wut und Kälte von eben findet man keine Spur mehr in ihren markanten Gesichtszügen. Ich spüre, dass sie nachgegeben hat und das ich kurz davor bin, die Wahrheit zu erfahren.
"Ich schäme mich für diese schrecklichen Worte, die ich dir im Krankenhaus gesagt habe. Eigentlich wollte ich das niemals, aber meine Wut war einfach viel zu groß. Ich habe diese Ohrfeige sowas von verdient. Es tut mir so Leid, Grace. Obwohl ich so scheiße zu dir war, bist du dennoch hier und die alte Grace, die ich kenne.." Sie senkt ihren Kopf. "..Ich beneide dich um deine Stärke. Das tue ich wirklich. Ich kann niemals so sein."
Ich lege meine Hand auf ihre.
"Das stimmt nicht. Wenn ich heute auf den Beinen stehen kann, dann nur durch deine Stärke und Hilfe. Du warst diejenige, die mich aufgebaut hat nach dem Tod meiner Mutter. Obwohl ich so oft alles abgewiesen habe, hast du nicht aufgegeben. Du bist stärker, als du denkst. Ich danke dir vielmals dafür", erkläre ich in einem ruhigen Ton, woraufhin sie mich erstaunt ansieht und immer mehr Tränen über ihre Wangen rollen.
"Grace, es.. Es tut mir so Leid", schluchzt sie und fällt mir um den Hals. Ich lege meinen Arm um sie und versuche sie zu trösten. Sie heult sich in meinen Armen aus und ich bleibe bei ihr. Gewähre ihren Gefühlen einen Ort für Verständnis, bis sie sich schließlich etwas beruhigt hat. Sie richtet sich wieder auf und wischt mit einem kleinen Lächeln auf ihren Lippen ihre Tränen weg.
"Ist alles wieder okay zwischen uns?", fragt sie mich zögernd. Unsicherheit prägt dabei ihr Gesicht, weil sie glaubt, dass ich ihr eventuell nicht verzeihen will.
Ich erwidere ihr Lächeln und nicke.
"Wieder Schwestern fürs Leben", antworte ich, woraufhin ihre blauen Augen vor Freude strahlen und sie laut ausatmet. Nun fällt sie mir vor Freude um den Hals und dankt mir vor Erleichterung. Ich kann mir bei ihrem Verhalten ein Kichern nicht unterdrücken. Auch mir fällt ein Stein vom Herzen, doch eine Sache belastet mich weiterhin und das will ich sie nun fragen.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt