Bemüht und langsam öffne ich die Augen. Das Bild vor mir bleibt zunächst verschwommen, doch nach einigen Sekunden wird es nach und nach schärfer. Über mir sehe ich viele Bäume, die in die Lüfte ragen und extrem viele Schneeflocken, die auf mich zufliegen.
"Wo bin ich?", murmle ich mit einer schwachen Stimme, stütze mich mit einer Hand auf dem Boden ab und richte mich etwas auf. Verwirrt schaue ich mich um. Ich befinde mich zwischen Gebüschen mitten in einem Wald, während ein Schneesturm in seinen vollen Kräften tobt.
"Was mache ich hier?..", murmle ich leise, als mir im selben Moment Bilder wieder vor die Augen springen, die mir meine Antwort liefern.
"Okay, alles gut. Ich muss zurück", rede ich mir ein und kaum habe ich den ersten Schritt gemacht, wird das Bild vor meinen Augen zunehmend schwärzer und alles beginnt sich vor mir zu drehen. Zudem steigt eine enorme Übelkeit in mir. Trotz meiner Lage wage ich noch einen kleinen Schritt, doch das war es dann auch schon. Meine Beine verlieren nun komplett ihre Kraft und ich lande auf dem Boden. Das Pochen meines Kopfes und die Schneeflocken, die auf mich zufliegen, sind die letzten Bilder, die ich noch wahrnehmen kann, bis diese dann ebenfalls von der Dunkelheit verschlungen werden.
"..Stimmt ja. Ich habe nach Sara gesucht." Ich setze mich aufrecht und entferne mit meinen Händen den Schnee, der meinen Körper bedeckt. Das fällt mir aber schwerer als erwartet, da ich meine Hände vor Kälte nicht mehr spüren kann. Jede Bewegung tut mir weh und je mehr ich mich bewege, desto krasser wird das schmerzhafte Pochen in meinem Körper. Zusätzlich habe ich noch ein extremes Druckgefühl auf dem Kopf, welcher wahrscheinlich von dem Fall auf den Stein kommt. Doch ich muss es tun. Ich muss zurück zu den anderen und zwar sofort.
Mit viel Bemühung schaffe ich es schließlich auf die Beine zu kommen und werde direkt von einem heftigen Wind begrüßt, welcher mir den Schnee richtig ins Gesicht klatscht und die Sicht komplett erschwert. Der Schneesturm, den ich so befürchtet habe, ist nun hier und ich bin mittendrin. Zudem ist es irgendwie dunkler als zuvor.
"Wie spät ist es denn?", murmle ich leise, packe mein Handy aus der Hosentasche und bemerke frustriert, dass es sich nicht einschalten lässt. Entweder ist das Akku leer oder durch die Kälte ist es in meiner Hosentasche nass geworden und nun kaputt. Passt gerade perfekt zu meiner Situation.
Ohne meine Laune noch weiter sinken zu lassen, mache ich einen Schritt nach dem anderen. Diesmal suche ich mir vor jedem Schritt einen festen Halt, da der Schnee nun noch höher ist und der Schneesturm mit dem extremen Wind das Laufen zu einem wahren Kampf macht.
So vergehen meine nächsten Minuten und als ich schließlich aus den ganzen Gebüschen raus bin, atme ich erleichtert auf. Nun muss ich nur noch zum Treffpunkt zurück, wo die anderen bestimmt sind. Zwar ist es dunkler als zuvor, doch so viel Zeit kann einfach nicht vergangen sein. Sie sind bestimmt noch dort. Wir müssen Sara finden, falls sie noch nicht aufgetaucht ist, was ich mir nicht einmal vorstellen will.
Mit all meiner Kraft kämpfe ich gegen den Sturm und den Schnee unter meinen Füßen. Zudem laufe ich mit zusammen gekniffenen Augen und versuche dem Wind standzuhalten, der jede Ader meines Körpers gefrieren lässt. Nach einigen Minuten erblicke ich schon von Weitem den großen Baumstamm, auf dem ich mit Sara saß."Endlich", seufze ich erleichtert und lege einen Gang zu, um die anderen schnellstmöglich zu erreichen. Die Freude, die sich in mir aufgebaut hat, legt sich jedoch schnell wieder, als ich schließlich den Treffpunkt erreiche. Das Lächeln schwindet mir von den Lippen, während eine große Angst sich in mir ausbreitet.
"Leute, wo seid ihr? Hallo? Antwortet mir doch. Danny? Sara? Alex?..", rufe ich mit lauter Stimme und sehe mich besorgt um, doch außer mir ist keine weitere Seele in Sicht. "..Leute, wo seid ihr?", füge ich mit schwacher Stimme hinzu, während mir eine Träne über die Wange läuft. Meine Beine verlieren ihre Kraft und ich falle auf die Knie. Der Gedanke, dass ich ganz alleine in diesem Wald bin, steigert die Angst in mir. Wie soll ich denn den Weg zurück zum Hotel finden, wenn Alex die Karte hat? Es sieht hier überall gleich aus und zudem würde ich den Weg, durch den Schneesturm, nicht einmal erkennen können. Noch länger hier draußen in der Kälte zu bleiben, wird auch nicht gut enden für mich. Meinen Körper spüre ich schon so gut wie nicht mehr und meine Klamotten sind mittlerweile auch fast komplett durchnässt.
"Was soll ich nun machen?", schluchze ich leise und senke meinen Blick. In mir herrscht ein reines Chaos und zum ersten mal nach langer Zeit fühle ich mich wieder hilflos und schwach. Nicht in der Lage, irgendwie zu handeln und klare Gedanken zu fassen. Dieses Gefühl, welches ich zuletzt vor vielen Jahren gespürt habe, zerstört mich innerlich. Damals als dieser Teufel meine Mutter und mir das Leben zur Hölle gemacht. Uns jeden Tag unterdrückt und eingeschränkt hat. Zu dieser Zeit hat sich das Gefühl der Hilflosigkeit zum ersten mal in mir wirklich bemerkbar gemacht. Obwohl ich so vieles an der Situation ändern wollte, waren meine Hände gebunden und ich konnte nichts tun. Ich war hilflos und schwach. Wahrscheinlich hätte ich mich auch niemals wehren können, wenn Danny nicht wie ein Löwe gekämpft hätte. Er war nämlich derjenige, der mich gerettet und dieses Gefühl in mir verschwinden lassen hat. Durch ihn und seine Nähe habe ich mich nicht mehr hilflos gespürt und Kraft sammeln können. Er hat nämlich nie aufgegeben und das habe ich auch von ihm gelernt.
Was hätte er wohl in meiner Situation gerade getan? Aufgegeben oder gekämpft?
Ich hebe meinen Blick und spüre wieder den kalten Wind auf meinem Gesicht. Eigentlich habe ich auch gar keine Wahlmöglichkeit. Wenn ich noch länger hier bleibe, werde ich auch noch meine letzte Kraft verlieren und nicht mehr in der Lage sein, laufen zu können. Je länger ich nichts tue, desto mehr Zeit werde ich auch verlieren. Es wird langsam richtig dunkel und eine Nacht in diesem Sturm und in der Kälte, werde ich nicht überleben können. Aufgeben würde Danny niemals und das hat er mir damals auch beigebracht. Somit kommt es für mich auch nicht in Frage. Nicht solange ich noch die Möglichkeit besitze, etwas dagegen zu tun.
Mit einer Hand wische ich mir meine Tränen weg und stehe auf.
"Es wird alles gut. Ich werde sie finden..", rede ich mir mutig ein und atme tief ein und aus, um mich endgültig zu beruhigen. "..Ich werde einfach laufen. Irgendwo werde ich schon ankommen. Alles wird gut."
Mit den Worten beginnt für mich ein enloser Fußmarsch durch den Schnee. Ungewissheit prägt mein Herz, doch ich verliere die Hoffnung in mir nicht. Nicht solange meine Beine mich noch tragen können. Ich muss und werde meine Freunde finden. Es gibt kein wenn und aber.
Mit all diesen Gedanken vergehen schließlich die nächsten Minuten, die dann auch schnell zu Stunden werden. Ohne Pause laufe ich weiterhin, obwohl ich meinen Körper, vor allem meine Beine, nicht mehr spüren kann. Mittlerweile ist es schon richtig dunkel geworden, doch der Schneesturm tobt immer noch in vollen Zügen. Dadurch sehe ich auch erst recht nicht mehr, wo ich hinlaufe, sondern tue es einfach. Wenn ich nämlich einmal eine Pause einlegen sollte, werde ich nicht mehr hochkommen können, da ich keine Energie mehr habe.
"H..Halte durch. Ich.. Ich werde sie finden. Bleib stark", rede mich mir mit schwacher Stimme ein, um mir Mut zu schenken, da meine Gedanken es nicht mehr schaffen. Bemüht hebe ich meinen Fuß, um den nächsten Schritt zu machen, als ich an irgendwas im Schnee hängen bleibe und auf dem Boden lande. Sofort spüre ich wieder den kalten Schnee an meinen Klamotten und Körper, welcher mir diesmal jedoch nicht so große Schmerzen zufügt. Eher im Gegenteil, denn ich spüre nur, dass er da ist und nicht mehr diese Kälte, die ich bislang wahrgenommen habe."Das ist nicht gut. Komm, steh auf.." Mit meinen Händen stütze ich mich neben meinem Gesicht ab und versuche mich zu erheben, doch es gelingt mir nicht. Gleich darauf versuche ich es erneut, doch wieder mit demselben Resultat. Ich lande wieder mit dem Gesicht im Schnee.
"..Scheiße. Komm schon. Steh doch auf. Gib nicht auf."
Wut erfüllt schlage ich mit der Faust auf den Boden, während eine Träne mein Gesicht verziert. Aufstehen kann ich definitiv nicht mehr mit dem Körper. Zudem habe ich nicht einmal die Energie, um mich irgendwie erheben zu können. Ich hebe meinen Kopf und bemerke ein paar Meter entfernt einen großen Baum. Mit der Hilfe von meinen Händen schaffe ich es irgendwie mich zum Baum zu ziehen und lehne mich schließlich mit dem Rücken dagegen. Erschöpft und außer Atem beobachte ich, wie der Schnee langsam wieder beginnt meine Klamotten zu bedecken. Außer dem extremen Druckgefühl auf meinem Kopf, spüre ich nichts mehr von meinem Körper, so als gehöre es nicht zu mir. Zudem steigt auch eine enorme Müdigkeit in mir.
Das war es dann wohl.
Weiter können mich meine Beine nicht mehr tragen. Ist das also mein Ende? Ist nun alles vorbei? Werde ich endlich zu meinen Eltern gelangen?
Ein schwaches Lächeln bildet sich auf meinem Lippen bei dem Gedanken an meine Eltern, während meine Augenlider immer schwerer werden. Die Angst von eben ist nun nicht mehr da. Eher im Gegenteil, denn in mir ist eine ungewöhnliche Ruhe, die ziemlich friedlich wirkt.
Sie erinnert mich irgendwie an die Ruhe, die Danny immer ausstrahlt und die ich auch so liebe an ihm. Wie er sich wohl fühlen wird, wenn ich nicht mehr da bin? Hoffentlich wird er nicht zu traurig sein, denn seine Tränen sind das Letzte, was ich auf dieser Welt sehen will. Er soll glücklich sein und leben, auch ohne mich. Solange es ihm gut geht, bin ich glücklich. Wie schön wäre es jedoch, wenn ich noch ein einziges mal mit ihm sprechen könnte? Seine Stimme noch einmal hören, seine rehbraunen Augen sehen und die Welt würde mir gehören.
So vergehen meine nächsten Minuten, bis schließlich meine Augenlider so schwer sind, dass ich sie nicht mehr halten kann. Die enorme Müdigkeit gewinnt letztendlich und meine Augen fallen mir langsam zu. Das Bild vor mir wird von der Dunkelheit verschlungen, als ich wie aus dem nichts etwas warmes an meiner Wange spüre. Erst glaube ich zu träumen und mir das einzubilden, doch dann nehme ich einen dumpfen Ton wahr, der allmählich klarer und lauter wird. Der dumpfe Ton entwickelt sich schließlich zu einer deutlichen Stimme, die meinen Namen ruft.
"Grace.. Grace, bitte mach die Augen auf! Komm schon! Du kannst nicht einfach so gehen und mich zurücklassen! Wach auf! Grace, bitte. Bitte wach auf.."
Zu der Stimme und den Worten, die ich nun auch verstehen kann, umhüllt mich ein schöner Geruch, der mir so bekannt vorkommt. Ein Gefühl der Geborgenheit breitet sich in mir aus und warum auch immer fühle ich mich irgendwie glücklich. Ich versuche meine Augen zu öffnen, doch es gelingt mir nicht. Mein Körper reagiert nicht mehr auf mich.
"..Grace, du kannst nicht sterben! Das werde ich niemals zulassen! Nicht vor mir, hörst du?.." Erneut spüre ich etwas warmes auf meinen Wangen. "..Bitte öffne deine Augen. Lass mich nicht alleine."
Meine Bemühungen zeigen endlich Erfolg und ich öffne langsam meine Augen. Das Bild vor mir bleibt zunächst verschwommen, doch nach einigen Sekunden erkenne ich zwei bekannte rehbraune Augen, die mich ansehen.
"D..Danny?", krächze ich mit einer schwachen Stimme.
Ist mein Wunsch erhört worden und ich träume von ihm?
Er hat seine Hände auf meinen Wangen, während er mich mit großen Augen ansieht. Schließlich bildet sich ein erfreutes und erleichtertes Lächeln auf seinen Lippen. Ein strahlendes Lächeln, welches ich so zuletzt vor Jahren gesehen habe. Es ist einfach das Schönste, was es auf dieser Welt gibt.
"Endlich. Du.. Du bist wach, Grace! Ich hatte solche Angst", gibt er besorgt und erfreut von sich.
"B..Bist du es wirklich?", stottere ich leise, hebe meine zitternde Hand und berühre seine Wange. Er legt seine Hand auf meine.
"Ich bin es wirklich. Wir suchen dich schon die ganze Zeit und endlich habe ich dich gefunden. Es tut mir so Leid, dass ich dich nicht früher schon finden konnte..-"
"Mein Wunsch wurde wahr." Eine Träne läuft mir nun über die Wange, woraufhin er mir diese direkt sanft wegwischt.
"Weine nicht. Ich bin immer bei dir. Du bist nicht alleine..", gibt er mit einer ruhigen Stimme von sich, zieht seine Jacke aus und legt sie mir um meine Schultern.
"..Es wird alles wieder gut." Mit den Worten steht er auf, legt seinen Arm um mich und hebt mich hoch. Mein Kopf liegt an seiner warmen Brust, während er mich in seinen Armen trägt und durch den Schnee stampft. Eine Wärme umhüllt mich mit seiner Nähe, die ich für nichts auf dieser Welt tauschen würde. Es ist eine angenehme und schöne Wärme, die mich glücklich, aber auch extrem müde macht. Es fällt mir zwar zunehmend schwerer die Augen offen zu halten, aber dennoch hebe ich meinen Blick, um sein schönes Gesicht zu sehen.
"Bleibe für immer an meiner Seite, Danny", gebe ich mit einer schwachen Stimme von mir, woraufhin er mich fester an sich drückt.
"Das werde ich. Versprochen."
Mit den schönen Worten, die ich hören wollte und seiner Nähe, die mir Wärme schenkt, fallen schließlich meine Augen zu.
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Stranger
Romance》"Du hättest hier sein müssen", schluchze ich und richte meine Blicke auf diesen fremden Jungen, der mir damals noch die Welt bedeutet hat. "Ich weiß", seufzt er, lässt sich auf den Stuhl fallen und senkt seine Blicke auf den Boden. "Du weißt? Das i...