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"G..Grace.. Mom.. Mom hatte einen Unfall."

Dieser Satz wiederholt sich immer und immer wieder in meinem Kopf, obwohl nun zwei Stunden schon um sind, seitdem ich ihn gehört habe. Die Stille im Auto bringt dies nochmal auf ein höheres Level. Wir sitzen im Auto vor dem Krankenhaus und seit dem Telefonat haben wir kein Wort miteinander gewechselt. Dennoch sagen seine rehbraunen Augen mehr als er denkt. Diese tiefe Leere in ihnen ist wie ein Stich in mein Herz. Es tut mir richtig weh, ihn so zu sehen. Ich atme tief ein und aus, richte meine Blicke schließlich auf ihn.
"Ich gehe dann mal. Ich schreibe dir, sobald ich mehr weiß."
Schweigend nickt er nur. Seine Augen sind dabein weiterhin nur auf das Lenkrad gerichtet.
"Danny.." Ich lege meine Hand auf seine Wange und drehe sein Gesicht in meine Richtung. "..Es wird ihr gut gehen. Noch wissen wir nichts genaues. Du weißt auch, dass Bella auch nicht genau wusste, was passiert ist. Vielleicht ist es nichts schlimmes..-", gebe ich besorgt von mir, als er mich unterbricht.
"Es ist mir egal."
Meine Augen weiten sich geschockt bei dem Satz.
"Sie ist deine Mutter!..", erwidere ich geschockt. "..Mir ist klar, dass sie viele schlimme Dinge getan hat, die man ihr niemals verzeihen kann, aber das weiß sie auch. Sie bereut ihre Fehler zutiefst, Danny! Sobald sie mich sieht, fragt sie nur nach dir."
"Ändert es etwas?..", fragt er mich in einem ernsten Ton und richtet seine Augen wieder nach vorne. "..Ändert ihr Bereuen alles wieder? Holt sie meinen Dad wieder aus der Klapse raus?! Kann sie mir all meine scheiß Zeiten, in denen ich ganz alleine auf mich gestellt war und nicht wusste, was ich nun machen soll, wieder rückgängig machen, Grace?!"
Schweigend senkte ich meine Blicke und schüttle nur den Kopf.
Er hat recht in jeder Hinsicht.
Bereuen ändert nichts an ihren Taten.
Dagegen kann ich nichts sagen.
" Und sag mir nie wieder, dass diese Frau meine Mutter ist. Sie kennt nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes."
"Es tut mir Leid..", murmle ich leise. "..Ich geh dann mal rein."
Ich nehme meine Handtasche und öffne die Tür, als Danny meinen Namen ruft.
Ich halte inne und drehe mich fragend in seine Richtung. Im selben Moment spüre ich auch nur, wie er mein Gesicht mit seinen Händen umfasst und seine Lippen auf meine legt. Der innige Kuss hält einige Sekunden an, bis er sich dann vor mir trennt und seine Stirn an meine lehnt. Seine Hände umfassen dabei weiterhin mein Gesicht.
"Ich hätte meine Wut nicht an dir auslassen dürfen. Es tut mir Leid", meint er leise.
"Danny..", gebe ich leise von mir, hebe meinen Kopf und lege meine Hände auf seine, die immer noch an meiner Wange liegen. "..Du kannst es ruhig an mir auslassen. Das ist mir sogar lieber, denn ich will nicht, dass du wieder alles runterschluckst und dich damit fertig machst. Ich nehme dir sowas doch nicht böse. Ich hätte mich nicht so ausdrücken dürfen. Es tut mir Leid. Deine Wut kann jeder nachvollziehen."
Ein schwaches Lächeln huscht auf seine Lippen bei den Worten.
"Was würde ich nur ohne dich tun?"
"Ohne mich gibt es nicht. Mich wirst du nicht so schnell wieder los..", antworte ich grinsend. "..Ich sollte dann gehen. Ich schreibe dir, sobald ich mehr weiß."

Er nickt und ich verlasse das Auto. Laufe über den Parkplatz zum Eingang des Krankenhauses. Allein hier ist schon relativ viel los, wie es immer so üblich ist in Krankenhäusern.
Wie ich diesen Ort hasse.
Einfach alles hier versetzt mich wieder in die alten Zeiten zurück.
Das Gebäude.
Die einheitlich gestrichenen blassen Wände, bei denen versucht wurde, mit komischen Gemälden ein wenig Lebendigkeit einzubauen, was jedoch überhaupt nicht geklappt hat.
Die Menschen, die vor dem Eingang eine rauchen und deren Erschöpfung du ihnen alleine schon an den Augen ablesen kannst. Entweder sind sie die Patienten oder ein Angehöriger, so wie ich damals.
So viele Tage und Nächte stand ich damals alleine in diesen Gängen und habe gewartet. Es war ein ewiges Warten, welches gefühlt nie ein Ende nehmen wollte. Sekunden, Minuten und viele Stunden, in denen ich ganz alleine mit meinen qualvollen Gedanken war und keine Schulter hatte, an die ich mich mal lehnen konnte. Keiner, der mich unterstützen konnte, denn meine Mom und ich hatten damals nur uns. Sie war mein Fels in der Brandung gewesen und jedes mal wenn es ihr schlechter ging und sie ins Krankenhaus musste, fühlte ich mich verlassen und einsam.
So viele Menschen sind jeden Tag hier dabei an mir vorbeigelaufen, aber dennoch fühlte ich mich so, als wäre ich der einzige Mensch auf dieser großen weiten Welt. Da war nur dieser endlose Flur, die geschlossene Tür zum Zimmer, in dem meine Mom behandelt wurde, und der laute Schrei in meinem Inneren, den man mir von außen nicht ansehen konnte. Egal wann ich Krankenhäuser sehe, es versetzt mich wieder in diese Zeiten zurück.
Genau wie jetzt auch.
Jeder Atemzug fällt mir schwer. Es fühlt sich so an, als würden zwei Hände mich am Hals packen und erwürgen. Mir die Luft rauben, während mir all die Bilder von damals wieder hoch kommen.
Ich hasse dieses Gefühl.
Genau deshalb meide ich Krankenhäuser so gut es geht. Diesen Ort verbinde ich mit schrecklichen Erinnerungen, die ich gerne einfach nur vergessen möchte.
Doch ich muss es tun.
Für Danny.
Obwohl seine Worte eben so kaltherzig waren, weiß ich ganz genau, dass es ihn innerlich zerbricht. Der Schmerz in seinen rehbraunen Augen kann keine Lüge sein. Er versucht sich nur selbst zu belügen, um nicht zu leiden.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt