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"Braucht da jemand ein Taxi?"

Überrascht ihn gerade vor mir zu sehen, frage ich ihn was er hier macht.
"Ich wusste, dass du es niemals rechtzeitig schaffen wirst. Du kommst immer zu spät und da ich nicht die ganze Nacht Zeit habe, wollte ich das schnell hinter mich bringen", erklärt er mir gelassen, woraufhin ich ihn sprachlos ansehe und nicht weiß, wie ich ihm einen guten Konter verpassen könnte. Blöd für mich, wenn er die Wahrheit sagt. Pünktlichkeit gehört nicht gerade zu meinen Stärken.
"Wenn du aber doch auf den Bus warten willst, kann ich auch ruhig fahren", fügt er ungeduldig hinzu. Ich gebe nach und nehme auf dem Beifahrersitz Platz. Gleich darauf ordnet er sich wieder in die Fahrbahn ein und die Fahrt geht weiter. Seine volle Konzentration ist auf die Fahrbahn gerichtet, während ich meine nicht einmal unter Kontrolle halten kann, wenn er in meiner Nähe ist. Seine linke Hand umfasst das Lenkrad vor ihm, während sein rechter Arm lässig auf der Sitzlehne liegt. Ich werfe ihm einen kurzen Blick von der Seite zu. Seine markanten Gesichtszüge, diese rehbraunen Augen und seine perfekt geformten Lippen spiegeln einfach das wieder, was ich unter dem Wort Perfektion verstehe. In solchen Momenten fühle ich mich wie in einem Traum und kann es nicht fassen, dass er hier neben mir ist. Seine Anwesenheit macht mich zwar extrem nervös, doch ich liebe sie.
Als er bemerkt, dass ich ihn so anstarre, wirft er mir einen kurzen Blick von der Seite zu. Sofort schaue ich wieder aus dem Fenster neben mir und versuche das Klopfen meines Herzens unter Kontrolle zu kriegen. Mein Gesicht ist wahrscheinlich knallrot angelaufen, doch zum Glück kann man dies im Dunkeln nicht erkennen. Hoffentlich habe ich ihn nicht zu auffällig angestarrt.
"Hast du heute noch etwas vor?", frage ich ihn schließlich, um die unangenehme Stille zwischen uns zu brechen.
"Warum?"
"Weil du ja gesagt hast, dass du nicht die ganze Nacht Zeit hast."
Im Augenwinkel sehe ich wie er mich gerade für kurze Zeit anstarrt und sich schließlich wieder auf die Straße konzentriert.
"Mir ist neu, dass das Treffen für die ganze Nacht bestimmt war. Wolltest du sie auch noch mit mir verbringen, oder was?", erwidert er ruhig und gelassen, während ich vor Schock vom Stuhl gefallen wäre, wenn ich auf einem sitzen würde. Mein Gesicht glüht mittlerweile vor Scham und das Pochen meines Herzens dringt mir bis zu den Ohren. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn entsetzt an.
"I..Ich..Du..Das..Das habe ich doch nicht so gemeint", stottere ich verlegen, woraufhin ein kleines Schmunzeln sich auf seinen Lippen bildet. Nun scheint mein Herz erst recht für eine kurze Zeit gefühlt einen Stillstand zu erleiden und die Welt um mich herum, können meine Sinne auch nicht mehr wahrnehmen. Zum ersten mal seitdem er wieder da ist, zeigt er endlich eine andere Emotion in seinem Gesicht. Es ist nur ein kleines Lächeln und alleine das reicht aus. Wie auf Knopfdruck rückt alles in den Hintergrund und alle meine Probleme sind wie vergessen. Dieser Anblick ist das Schönste, was ich heute erleben durfte.
Auch ich kann mir nun ein Lächeln nicht verkneifen.
"Das ist gemein von dir", murmle ich leise und versuche weiterhin, ihn aus meinem Blickwinkel fernzuhalten, da mein Gesicht immer noch vor Scham glüht.
"Du warst diejenige, die so eine dumme Frage gestellt hat."
Ich verschränke meine Arme vor meiner Brust und kann mir ein leichtes Schmunzeln nun auch nicht verkneifen.
"Du weißt aber, wie ich das gemeint habe, Danny."
"Ich kann deine Gedanken nicht lesen, Grace", meint er, während er den Wagen an der roten Ampel zum Stehen bringt.
"Und ich deine nicht, obwohl ich es gerne wollen würde manchmal, um dich zu verstehen", murmle ich leise, woraufhin er seinen Kopf zu mir dreht. Die gewohnte Mimik nimmt nun auch wieder Platz in seinem Gesicht.
"Würde dir auch nichts bringen."
"Woher willst du das denn wissen?" Nun widme ich ihm ebenfalls wieder meine Aufmerksamkeit.
"Wenn ein Mensch seine Gedanken und sein eigenes Handeln nicht einmal selber versteht, dann kann es ein anderer erst recht nicht tun", erklärt er mir ruhig. Seine Stimme klingt dabei so sanft und seine Augen wirken trotz dieser starken Aussage nachdenklich und unsicher. Diese Antwort verdeutlicht mir wieder mal, dass ich diesen Jungen vor mir nicht einmal annähernd kenne. Das macht mich irgendwie extrem traurig und gleichzeitig regt es mich auch an, um meinem Ziel näher zu kommen. Nämlich den Jungen, den ich liebe, und den Fremden in seinem Handeln und Denken kennenzulernen und vor allem zu verstehen.
"Das stimmt nicht..", erwidere ich ernst. Mit einem leicht erstaunten Gesicht mustert er mich verwirrt und ich fahre fort.
"..Manchmal kann ein zweiter Mensch sogar alleine durch deine Augen deine Seele lesen und dir Seiten von dir zeigen, die du selber nie kennengelernt hast, Danny. Daran habe ich bis vor kurzem sogar selber nie geglaubt und hielt es für einen Quatsch, doch ich habe es am eigenen Leib erlebt. Ich habe nur durch einen anderen Menschen neue Seiten von mir gesehen, die ich vorher nie wahrgenommen habe. Zum ersten mal konnte ich das Leid und den Schrei einer Seele alleine durch zwei Augen erkennen, ohne zu wissen, woher und warum es so ist. Also glaube mir.. Es funktioniert wirklich, Danny. Ob du willst oder nicht, spielt dabei keine Rolle, denn du hast es nicht in deiner Hand. Es liegt nicht in unserer Macht, dies zu kontrollieren. Wer weiß, vielleicht kommunizieren unsere Seelen auf diese Weise, weil die Macht der Worte dafür nicht ausreicht. Daran glaube ich jedenfalls."
Mit großen Augen starrt er mich sprachlos an und eine große Stille umhüllt die Atmosphäre, bis plötzlich ein lautes Hupen diese bricht. Die Ampel ist wohl auf Grün gesprungen und der Autofahrer hinter uns hat es anscheinend eilig. Danny widmet seine Aufmerksamkeit wieder der Straße und fährt weiter. Er sagt nichts, sondern blickt nur mit starrer und nachdenklicher Miene nach vorne. Auch ich bleibe still und beobachte die vorbeiziehenden Straßenlaternen, die alle paar Sekunden die Dunkelheit mit ihrem Strahlen erhellen und die Regentropfen an der Scheibe, welche mit jedem Lichtschein schimmernden Diamanten ähneln. Es hat zusätzlich mit dem Geräusch des strömenden Regens draußen einen beruhigenden Effekt und so vergehen die nächsten Minuten, bis ich schließlich meinen Kopf wieder in seine Richtung drehe.
"Wo wollen wir jetzt eigentlich hin? Zur Pizzeria?"
Ohne seine Augen von der Straße zu nehmen, antwortet er mit einem knappen Ja. Ich nicke nur, woraufhin er mir einen kurzen Blick von der Seite zuwirft.
"Hast du Hunger?"
"Jetzt wo du mich fragst, ziemlich sogar. Habe zum Frühstück nur ein belegtes Brötchen essen können und seitdem kam nichts mehr dazu."
"Dann ist Pizza doch perfekt", meint er zufrieden und fährt anschließend auf den Parkplatz der Pizzeria. Zwischen zwei Autos parkt er dann in die Parklücke und wir steigen aus.
Alleine der Anblick der Pizzeria erinnert mich daran, wie hungrig ich doch wirklich bin. Danny läuft an mir vorbei und wirft mir einen amüsierten Blick zu.
"Was?", frage ich ihn und folge ihm mit schnellen Schritten.
"Nichts", antwortet er gelassen, während er die Tür offen hält. Dankend trete ich ein und er folgt mir. Wir bestellen uns beide eine Pizza und jeweils eine große Cola. Danach nehmen wir an einem freien Tisch Platz und genießen unser Essen, welches wirklich nur köstlich schmeckt.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt