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Am nächsten morgen wache ich zu meinem Wunder von selbst irgendwann auf.
"Wie spät haben wir denn?", gebe ich müde von mir und greife nach meinem Handy, welches auf meinem Nachttisch neben mir liegt. Für einige Sekunden erblinde ich durch das helle Licht und kneife die Augen zusammen. Als meine Augen sich dann aber an die Helligkeit des Displays gewöhnen und ich die Uhrzeit sehe, fällt mir die Kinnlade vor Schock runter.
"Viertel nach Acht?! Verdammte Scheiße! Ich bin schon fünfzehn Minuten zu spät und die Vorlesung ist wichtig für die Klausur", gebe ich geschockt von mir, springe aus dem Bett und stolpere gleich darauf über meine Tasche, die auf dem Boden liegt.
"Aua, mein Fuß. Warum liegst du überhaupt hier?" Genervt schmeiße ich die Tasche auf mein Bett, stehe auf und humple ins Bad. Dort mache ich mich sofort fertig, laufe danach wieder in mein Zimmer und ziehe mich um. Nachdem ich meine Tasche dann auch gepackt habe, bin ich schließlich soweit und stürme aus dem Haus. Der nächste Bus kommt in zehn Minuten und wenn ich ihn nicht erreiche, schaffe ich es gar nicht mehr in die Vorlesung. Wie eine Verrückte dränge ich mich an den Menschen vorbei und renne die Straße entlang. Genau rechtzeitig erreiche ich dann auch den Bus, steige ein und nehme Platz. Zwar bin ich völlig außer Puste, doch ich habe den Bus erreicht und werde wenigstens die Hälfte der Vorlesung noch mitbekommen. Zudem sind auch nicht viele Leute im Bus, da die meisten den vorherigen nehmen. Nur ein paar junge Mädchen, die wahrscheinlich die erste Stunde frei hatten, und ein paar ältere Damen und Herren, die in ihren Büchern und Zeitungen vertieft sind. Nur die Stimmen und das Gekicher der Mädchen erfüllt die Stille. Jungs, Schule und Lehrer. Die typischen Probleme der Jugend gehören dabei zu ihren Themen. Während ich mein Handy aus der Tasche packe, höre ich plötzlich das Wort 'Mutter' fallen und muss einfach ungewollt hinhören.
"..Aber meine Mutter kann einfach nur nerven. Tag und Nacht meckert sie mich nur an. Außerdem verbietet sie mir einfach alles. Ich darf nur bis zweiundzwanzig Uhr draußen bleiben? Ich meine Hallo?! Ich bin doch kein Kind mehr. Sie kann mich nicht ständig kontrollieren und soll sich lieber mal um sich selbst kümmern..", gibt das blonde Mädchen genervt von sich und muss bei ihrem letzten Satz mit ihren drei anderen Freundinnen lachen. "..Was denn? Stimmt doch. Nach der Geburt von meiner Schwester hat sie sich richtig gehen lassen. Statt sich den ganzen Tag um den Haushalt zu kümmern, könnte sie auch für einen Tag mal zum Friseur oder Nagelstudio, oder? Dann würde sie mich auch nicht den ganzen Tag nerven. Von wegen tu dies und das. Pass auf deine Schwester auf oder hilf mir mal beim Haushalt. Boah, ihre Stimme nervt mich nur noch. Ich wäre froh, wenn sie mal für eine Weile weg ist und vor allem freue ich mich auf den Tag, an dem ich dann endlich ausziehen kann. Dann kann auch endlich mein Freund ungestört zu mir kommen, denn meine Mom kann ihn ja nicht leiden. Von wegen, er hätte einen schlechten Einfluss auf mich! Was weiß sie schon?"
In mir steigt die Wut bei den Worten und ich balle meine Hände zu Fäusten. Wie kann man denn so über die eigene Mutter, die Frau, die dich auf die Welt gebracht hat, sprechen? Natürlich kenne ich weder sie, noch ihre Mutter, aber dennoch gehen mir die Worte sehr nahe. Vor allem zu sagen, dass die Mutter sich gehen lässt? Da fehlen mir die Worte. Wenn sie bloß wüsste, wie schnell man solche Worte irgendwann bereuen kann und was ihre Mutter wahrscheinlich alles für sie geleistet hat. Hoffentlich wird sie den Wert ihrer Mutter nicht erst dann bemerken, wenn es irgendwann zu spät ist.
Um mich nicht noch mehr aufzuregen, stecke ich meine Kopfhörer in meine Ohren und schalte mein Lieblingslied auf volle Lautstärke. Ich lehne mich nach hinten und schaue aus dem Fenster. Die Bilder von meiner Mutter springen mir vor die Augen. Ihr Zustand und ihre Worte von gestern gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich hoffe, dass es ihr heute besser geht. Nach der Vorlesung, muss ich arbeiten, aber danach gehe ich sie direkt besuchen. Ich habe sie schon so vermisst.

Nach einigen Minuten hält der Bus dann schließlich vor der Universität und ich steige aus. Mit schnellen Schritten mache ich mich auf den Weg zum besagten Raum und stehe dann schließlich außer Puste davor. Ich öffne ganz leise die Tür. Der Saal ist, wie ich auch erwartet habe, überfüllt. Verzweifelt schaue ich mich um und bemerke in der letzten Reihe einen freien Platz, wo ich mich dann auch hinsetze und sofort beginne mitzuschreiben.
Nach der Vorlesung packe ich meine Sachen wieder zusammen, verlasse den Raum und begebe mich zur Mensa, da ich mittlerweile am Verhungern bin. Ich hole mir etwas zum Essen und nehme an einem freien Tisch Platz. Ein belegtes Brötchen und ein warmer Pfefferminztee. Besser kann es nicht sein, oder? Bevor ich meinen ersten Bissen nehmen kann, werde ich plötzlich von hinten umarmt.
"Grace, hier bist du ja! Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Bitte verzeih mir für mein Verhalten gestern. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist", höre ich Sara hinter mir sagen und dabei ist sie sehr laut, sodass die Hälfte der Cafeteria ihre Aufmerksamkeit uns widmet.
"Sara, ich..-", sage ich, doch sie unterbricht mich.
"Nein, sag es nicht. Mein Herz erträgt keine Abweisung."
"Sara, du wirst echt nie erwachsen", gibt Alex, der vor mir Platz nimmt, lachend von sich.
"Sei du leise! Du bist doch bloß neidisch", erwidert sie empört, was mich nun auch zum Lachen bringt.
"Ich kann dir doch niemals böse sein, Sara. Das weißt du doch, also setz dich."
"Oh Grace, danke! Ich liebe dich so", kichert sie, umarmt mich noch fester und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Alex beobachtet uns lachend und schüttelt den Kopf. Zufrieden und erleichtert nimmt sie dann neben mir Platz.
"Wo warst du gestern? Hast du gesehen, wie oft wir dich angerufen haben?", fragt sie mich mit großen Augen und auch Alex nickt zustimmend.
"Ich war bei meiner Mutter und ja", stottere ich und lasse den Part mit Danny erstmal aus, da es die beiden nicht gerade erfreuen wird.
"Wie geht es ihr?", fragt mich Alex neugierig.
"Nicht gut", antworte ich und senke meine Blicke.
Einige Sekunden füllt eine große Stille unseren Tisch, bis Alex diese schließlich bricht.
"Bleib stark. Sie wird es bestimmt wieder schaffen. Deine Mom ist doch eine Powerfrau." Ein kleines Lächeln huscht mir bei den Worten über meine Lippen.
"Das ist sie definitiv. Ich will ja nichts sagen, aber sehr oft hat sie sogar mehr Power als ihre Tochter", fügt Sara lachend hinzu und zwinkert. Auch ich muss nun lachen und verpasse ihr einen leichten Schlag auf den Arm.
"Was denn? Stimmt doch", motzt sie empört und lacht.
So geht es eine ganze Weile. Dank den beiden kann ich wenigstens für eine kurze Zeit die Realität vergessen und Spaß haben. Genüsslich frühstücken wir zusammen und unterhalten uns dabei über alles mögliche, bis wir wieder auf das altbekannte Thema Danny kommen.
"Ich habe ihn gestern gesehen", gibt Alex plötzlich mit einer nachdenklichen Miene von sich, woraufhin Sara und ich Blicke austauschen und ihn dann fragend ansehen.
"Wen hast du gesehen?", frage ich ihn verwirrt, da er so abrupt das Thema geändert hat.
"Danny." Mit dem Namen herrscht erst eine absolute Sprachlosigkeit an unserem Tisch, bis Saras Neugier schließlich siegt.
"Wo? Was hat er gesagt? Was hast du gesagt?"
"Gestern Nacht, als ich von der Arbeit kam. Müsste so kurz vor Mitternacht gewesen sein. Ihr wisst doch die Bank da am Fluss, oder? Er saß dort und schien ziemlich in Gedanken zu sein. Er hat mich nicht gesehen und ich habe ihn auch nicht angesprochen. Warum auch? Ich sehe keinen Grund dazu", erklärt er uns und verschränkt seine Arme.
"Richtig so. Wenn er uns nicht ernst nimmt, müssen wir das ja auch nicht tun. Ihm sind wir doch eh egal", stimmt Sara ihm zu.
"Das glaube ich nicht", murmle ich leise, doch die beiden hören meine Worte und durchbohren mich mit ihren verwirrten Gesichtern.
"Wie meinst du das?"
"Ich..Äh.. Keine Ahnung. War nur mein erster Gedanke", lüge ich und hoffe, dass die beiden mir das auch abkaufen. Dies tun sie zu meinem Wunder dann auch oder sie fragen nur nicht nach. Besser so für mich, denn das von gestern will ich vor ihnen lieber geheim halten. Sie haben, wenn es um dieses Thema geht, immer andere Meinungen und auf Diskussionen kann ich liebend gerne verzichten.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt