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Mit schnellen Schritten laufe ich den langen Flur entlang und versuche mir die Tränen zu unterdrücken. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht zu weinen. Egal wie oft sich ihre harten Worte auch in meinem Kopf wiederholen werden, nachgeben werde ich niemals. Endlich erblicke ich den Empfang und die Drehtüren zum Ausgang. Frische Luft ist alles was ich brauche, um mich zu beruhigen.
Draußen angekommen, atme ich erst einmal tief ein und aus. Ein kalter und frischer Wind fegt mir durch die Haare und lässt einige Strähnen gegen mein Gesicht peitschen, die ich mir dann direkt hinters Ohr streiche. Ich schaue mich um, mit der Hoffnung Ablenkung finden zu können. Meine Blicke bleiben an einer freien Bank hängen, zu der mich mein Weg dann auch direkt führt. Mit einer Hand streiche ich den Schnee etwas weg, um mir Platz zu schaffen, und setze mich anschließend hin. Zum Glück ist meine Jacke knielang und dick, sodass meine Hose nicht nass werden kann. Ich lehne mich nach hinten und wärme meine eiskalten Hände in meiner Jackentasche. Meine Blicke sind dabei nachdenklich in die Ferne gerichtet, in der schneebedeckte Bäume und dahinter auch große Berge das Bild der Landschaft bilden. Normalerweise hätte ich diesen Anblick auch genießen können, doch im Moment geht das einfach nicht. Meine Gedanken kreisen nur um die Worte von Sara, die sich wie ein kaputtes Radio immer und immer wieder in meinem Kopf wiederholen.
"Manchmal wünsche ich mir, dass ich sie nie kennengelernt hätte oder das wir uns hassen würden. Sowieso habe ich das Gefühl, dass der Hass in mir immer größer wird. Ich versuche es nicht anmerken zu lassen, doch oft spüre ich nur Hass, wenn ich an ihren Namen denke."
"..Wenn sie verschwinden würde, wäre alles so viel einfacher. Dann könnte ich wieder glücklich sein und das Leben genießen. Sie soll einfach gehen. Sie hat doch eh niemanden mehr und so hat ihr Leben auch keinen großen Sinn. Sie ist ganz alleine auf dieser Welt."
Hätte ich nicht mit meinen eigenen Ohren mitbekommen, dass die Worte wirklich aus ihrem Mund kamen, wäre es das Letzte, an das ich glauben würde. Sara würde so etwas niemals sagen. Sie ist meine beste Freundin. Wer verbreitet solche Gerüchte? All diese Dinge wären direkt meine ersten Gedanken. Die Tatsache, dass ich das trotzdem noch sagen kann und nicht große Wut gegen sie empfinde, zeigt mir, wie optimistisch meine Einstellung mal wieder ist. Manchmal hasse ich meine Art in der Hinsicht, doch ich kann nichts daran ändern. Es liegt nicht in meiner Natur und zudem hat meine Mutter, die ein Engel auf Erden war, mich so erzogen.
"Lass sie so böse sein, wie sie wollen, Schatz. Solange du nach deinem Herzen handelst und Gutes tust, wirst du es auch früher oder später zurückbekommen. Das Leben ist manchmal schwer und man begegnet Menschen, die einem alles verderben können und dir nur schlechtes wünschen. Es bleibt jedoch bei dem Wünschen, denn solange du im Reinen mit dir bist und dich nicht auf diese Leute einlässt, können sie dir nichts tun. Natürlich wirst du in manchen Situationen Rache und ebenfalls böse handeln wollen, um nicht mehr leiden zu müssen. Doch damit hast du dann am Ende keinen Unterschied zu diesen Menschen und bist auf ihrem Niveau. Das Gute siegt immer, auch wenn es manchmal nicht so sichtbar ist."
Diese Worte pflegte sie mir immer wieder zu sagen und mit dieser Einstellung bin ich groß geworden. Um ehrlich zu sein, bereue ich es auch nicht. Es ist nur dieses schlechte Gefühl in mir, welches ich immer habe, wenn dieses Schlechte mir zu stark wird. In solchen Momenten will ich oft ebenfalls wie diese Leute handeln, damit sie diesen Schmerz in meinem Inneren auch spüren. Der Drang dazu ist so groß, doch ich tue es dennoch nicht. Das Gute siegt früher oder später immer. Ich glaube meiner Mutter.

"Was machst du hier?", fragt mich plötzlich eine bekannte Stimme. Erschrocken hebe ich meinen Kopf und sehe Danny. Was macht er hier draußen?
"Frische Luft holen", antworte ich und richte meine Blicke wieder zu den Bergen. Ohne etwas zu sagen, nimmt er neben mir auf der Bank Platz. Es herrscht eine große Stille zwischen uns, die diesmal irgendwie friedlich für mich ist. Ich genieße das Pfeifen des Windes, welcher mir durch die Haare weht.
Nach einigen Minuten bricht er diese Stille jedoch.
"Was ist los?"
"Was soll los sein?", frage ich ihn, ohne ihn anzusehen.
"Was hast du?" Ich spüre seine Blicke auf mir, die mich ernst zu beobachten scheinen.
"N..Nichts, alles gut", antworte ich nur knapp und streiche mir einige Strähnen hinters Ohr.
Im Augenwinkel bemerke ich, dass er seinen Kopf wieder nach vorne dreht.
"Du bist eine miserable Lügnerin. Habe ich dir das jemals gesagt?", gibt er in einem ernsten, aber gleichzeitig irgendwie auch sanften Ton von sich. Lügen hat bei ihm noch nie etwas gebracht. Er kann mich wie ein offenes Buch lesen, ob ich will oder nicht. Die Wahrheit über Sara werde ich ihm aber nicht sagen, da ich ein Versprechen gegeben habe. Schweigen ist die einzig plausible Lösung, die mir gerade einfällt.
Zu meinem Glück geht er auch nicht weiter darauf ein, so als ob er die Zweifel meiner Seele hören kann. Er ist und bleibt einfach unglaublich.
So vergehen auch die nächsten Minuten in Stille, in der meine Gedanken und diese Stimme in mir lauter werden. Diese Minuten, die meine Zweifel und Enttäuschung vergrößern.
"..Ich versuche es nicht anmerken zu lassen, doch oft spüre ich nur Hass, wenn ich an ihren Namen denke."
Vor allem dieser eine Satz bringt mich um und trifft mich immer und immer wieder. Ich kann nicht anders und muss ihn fragen, um nicht daran zu zerbrechen.
"Danny?", gebe ich schließlich zögernd von mir.
"Ja?"
"Was spürst du, wenn du an meinen Namen denkst?"
Ausgesprochen klingt die Frage schon daneben, doch ich brauche es. Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann. Jemanden, der an meiner Seite ist, denn ich habe Angst. Angst davor, alleine auf dieser Welt zu sein und niemanden zu haben.
Verwirrt hebt er seine Augenbraue bei der Frage.
"Was ist das für eine Frage?"
"Ich will es wissen. Bitte, sag es mir. An was denkst du, wenn du an meinen Namen oder an mich denkst? Was siehst du in mir?.." Eine Träne kullert mir über meine Wange, während ich meine Blicke senke. "..Was sehen andere in mir? Einen Menschen, der ganz alleine und hilflos ist? Ein Mädchen, deren Leben eh keinen Sinn macht, weil sie niemanden mehr hat? Eine Person, die einfach verschwinden sollte? Was? Was sehen sie?"
Seine Augen weiten sich bei der Frage und er wirkt leicht schockiert. Jedoch kriegt er sich gleich wieder in den Griff und die gewohnte eiskalte und ernste Miene nimmt Platz in seinem Gesicht, während er mich stumm betrachtet. Für einige Sekunden herrscht absolute Stille zwischen uns, die ich dann länger nicht aushalten kann.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt