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Auch an dem Tag danach gehört diese Angst zu meinen treuen Begleitern, obwohl ich in jeder Gelegenheit nach Ablenkung suche, um diese zu verdrängen. Es bringt mir aber nicht viel, da meine Blicke ständig zur Uhr an der Wand wandern, genau wie auch jetzt. Mittlerweile haben wir schon siebzehn Uhr und je dunkler es draußen wird, desto stärker steigt dieses ekelhafte Gefühl in mir. Um gute Ablenkung finden zu können, bin ich auch bei Sara, die Alex und mich zum Abendessen eingeladen hat. Die beiden wissen nichts von alldem und das ist auch gut, denn so müssen sie sich keine Sorgen machen.
"Wartest du auf irgendwas oder warum schaust du ständig auf die Uhr?", fragt mich Sara plötzlich neugierig, während sie die Lasagne in den Ofen schiebt.
Erwischt.
War das die ganze Zeit so auffällig?
"Nein. Auf was sollte ich denn warten?"
"Weiß nicht. Du bist heute nur so ungewohnt still und nachdenklich. Ist irgendwas passiert? Oder bist du traurig, dass Danny nicht dabei ist? Ich habe ihn mehrmals angerufen, aber er ist leider nicht an sein Handy gegangen. Er muss wohl ziemlich beschäftigt sein."
Sie kommt zu mir an die Theke, an der ich den Salat vorbereite und beginnt das saubere Geschirr abzutrocknen.
"Mach dir keine Sorgen. Wahrscheinlich hat er etwas wichtiges zu tun", meine ich und konzentriere mich auf die Tomaten, die ich in kleine Scheiben schneide.
"Wer hat etwas wichtiges zu tun?", fragt Alex grinsend, der sich nun ebenfalls zu uns gesellt und an die Theke lehnt.
"Danny. Du weißt ja, dass ich ihn nicht erreichen konnte."
"Achso ja, stimmt..", murmelt er nachdenklich, aber gleich darauf nimmt auch wieder ein strahlendes Lächeln Platz auf seinem Gesicht. "..Dann hat er wohl Pech gehabt. So ein geiles Abendessen bekommt man nicht jeden Tag."
"Schleimer", kichert Sara und schüttelt den Kopf dabei. Auch mir huscht ein breites Grinsen über die Lippen, während ich den Salat nun fertig in eine Schüssel gebe. Nach einer halben Stunde ist auch die Lasagne soweit und wir nehmen an dem gedeckten Tisch Platz. Das Essen ist zwar wirklich köstlich, doch meine Gedanken sind die ganze Zeit woanders. Obwohl ich mich bemühe nicht daran zu denken, wandern sie trotzdem immer wieder zurück zu ihm. Die Kontrolle darüber liegt schon lange nicht mehr in meinen Händen.
"..Und dann hatten wir es ja auch noch in seiner Hosentasche versteckt. Das waren Zeiten, oder?", gibt Alex lachend von sich und nippt aus seinem Glas.
"Unvergesslich", murmelt Sara mit einem leichten Lächeln, wobei ihre Augen alles andere als glücklich sind. Irgendwas ist heute an ihr komisch. Das ist mir beim ersten Blick schon aufgefallen. Alleine die Tatsache das sie uns mitten in der Woche zum Abendessen eingeladen hat, obwohl sie die faulste Person auf Erden ist, wenn es ums Kochen geht, ist schon fragwürdig. Irgendwas belastet sie.
"Sara, ist alles in Ordnung?", frage ich sie zögernd, woraufhin sie ihren Kopf überrascht hebt.
"J..Ja, klar. Warum fragst du?"
"Irgendwie bist du heute komisch. Belastet dich irgendwas?"
Auch Alex nickt nun zustimmend.
"Grace hat recht. Das ist mir auch schon aufgefallen. Die Sara, die ich kenne, denkt nie nach. Heute bist du aber die ganze Zeit wie in einer anderen Welt. Was ist los?"
"Mir war klar, dass ihr es merken würdet. Ihr seid wirklich unglaublich..", murmelt sie mit einem schwachen Lächeln und blickt uns zögernd in die Augen. "..Eigentlich habe ich euch zum Abendessen eingeladen, um euch etwas zu sagen, doch ich habe mich die ganze Zeit irgendwie nicht getraut. Oder besser gesagt, ich wusste nicht, wie ich es euch sagen soll."
Verwirrt wechseln Alex und ich Blicke und widmen unsere Aufmerksamkeit dann wieder auf Sara.
"Jetzt machst du mir wirklich Sorgen. Was willst du uns denn sagen?", fragt Alex neugierig und ich nicke nur zustimmend.

"Ich habe lange überlegt und habe mich dafür entschieden, da es der einzige und beste Weg für eine bessere Zukunft ist.." Ein kleines Schmunzeln schmückt ihre Lippen, während ihre glasigen Augen durch das Licht an der Decke schimmern. "..Wahrscheinlich werdet ihr extrem sauer werden und meine Entscheidung nicht verstehen können, aber fragt dennoch nicht nach dem Warum. Akzeptiert es einfach und denkt daran, dass es mich am Ende glücklich machen wird, okay?"
Nun bin ich noch verwirrter. Was redet sie da? Ihr Verhalten macht mir schon etwas Angst.
"Was für eine Entscheidung? Du verwirrst uns, Sara. Komm bitte zum Punkt", meine ich und schlucke ängstlich.
Eine Träne rollt ihr über die Wange, die sie sich direkt wieder wegwischt.
"Man ich wollte doch nicht weinen..", seufzt sie und atmet tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Gleich darauf widmet sie ihre Aufmerksamkeit wieder uns. "..Leute, ich habe lange überlegt und bin zu der Entscheidung gekommen, dass ich..-"
Mitten im Satz wird sie durch den lauten Klingelton von Alex unterbrochen.
"Sorry..", gibt er verlegen von sich und kramt sein Handy aus seiner Hosentasche. "..Meine Mom. Hoffentlich hat ihr meine Schwester nicht von den Klausurergebnissen erzählt."
Zögernd nimmt er den Anruf entgegen und an seinen ersten Sätzen merke ich schon direkt, dass sie es sehr wohl getan hat. Verzweifelt versucht er sich nun irgendwie zu retten und sie mit guten Ausreden zu beruhigen, was ziemlich amüsant ist. Wir haben damals gemeint, dass er rechtzeitig mit dem Lernen beginnen soll, da der Stoff ziemlich extrem war, doch er war überzeugt davon, dass er es auch so schaffen könnte. Wer sich nicht helfen lässt, muss wohl die Konsequenzen am Ende tragen.
Während Alex weiterhin am telefonieren ist, entgeht mir Saras Zustand derweil nicht. In Gedanken versunken, rührt sie mit ihrem Löffel in ihrer Tasse rum und scheint das Geschehen in ihrer Umgebung nicht wahrzunehmen. Was hat sie bloß? Ihre Art gefällt mir gar nicht.
"Nein, ich lüge nicht, Mom. Hier, frag doch mal Grace", seufzt Alex und reicht mir das Handy rüber.
"Bitte rette mich. Dann schulde ich dir etwas", fügt er dabei leise hinzu und sieht mich hoffnungsvoll an. Grinsend schüttle ich vorwurfsvoll meinen Kopf und rede mit seiner Mutter, die alles andere als begeistert ist von den Leistungen ihres Sohnes. Mit viel Mühe schaffe ich es dann schließlich sie zu beruhigen, sodass man dann wieder normal mit ihr reden kann.
"Machen Sie sich keine Sorgen um Alex. Sie wissen doch, solange er Sara und mich an seiner Seite hat, werden wir ihm nicht erlauben durch sein Studium zu fallen. Wir drei werden immer alles zusammen schaffen können. Das haben wir bislang immer so getan", erkläre ich ihr, während Alex mich dankbar beobachtet. Diese Worte beruhigen sie dann endgültig und schließlich kann ich mit gutem Gewissen auflegen.
"Du bist ein wahrer Engel. Danke. Ohne dich wäre sie in den nächsten Zug gestiegen und hätte mich die nächten Monate gnadenlos zum Lernen gezwungen. Ich schulde dir so viel", gibt Alex erleichtert von sich und steckt sein Handy wieder in seine Hosentasche.
"Ich hoffe wirklich, dass du wenigstens daraus gelernt hast und für die nächste Prüfung rechtzeitig mit dem Lernen beginnen wirst."
"Versprochen. Auf eine erneute Konfrontation mit meiner Mom habe ich wirklich wenig Lust. Und das war definitiv das letzte Mal, dass ich Alice etwas anvertraut habe. Warum habe ich bloß so ein Teufel als Schwester?", seufzt er frustriert und konzentriert sich wieder auf sein Essen.

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt