Kapitel 9 - Zickenkrieg

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"Verdammt, wie spät ist es?", entfuhr es Jess nur Minuten später, als sie Clyve dabei half, den Frühstückstisch wieder abzudecken. Der hübsche Palomino grinste jedoch nur, als er sich zu ihr umdrehte und begann schadenfroh zu lachen.

"Jess, es ist Samstag."

"Oh", Jess hatte vollkommen vergessen, dass die Woche schon wieder vorbei war. Das bedeutete, dass nächste Woche ihre Prüfungen anstanden und sie den letzten Abend damit verbracht hatte, sich mit ihrem Freund zu vergnügen, während wichtigere Arbeiten auf sie warteten. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

"Jess, entspann dich! Du kannst doch schon alles", versuchte Clyve sie zu beruhigen, was sie tatsächlich ein kleines Bisschen von ihrem Trip herunter holte. "Wenn du möchtest, kannst du gehen. Ich schaffe das hier schon alleine. 

Gerührt drückte die braune Stute ihrem Freund einen Kuss auf die Wange. "Wäre das wirklich okay?", fragte sie vorsichtig. Clyve nickte lächelnd, legte sein Vorderbein um ihres und zog sie sanft zu sich heran.

"Solange du mir versprichst, die nächsten Tage mal das Haus zu verlassen und mit mir essen zu gehen. Zu viel Büffeln ist ungesund."

"Sagt der, der überhaupt nie büffelt", grinste Jess frech, drückte ihren Hals an seinen und atmete dabei selig den Duft seiner langen, blonden Mähne ein. Der Duft von Schlaf, Frühstück und Shampoo bereitete ihr ein wohliges Kribbeln in ihrem Bauch. Ein Gefühl der Geborgenheit nahm sie ein und ließ sie vor Zufriedenheit tief seufzen. 

Ein rumpelndes Lachen entstieg seiner Kehle, als Clyve seinen Kopf nach ihrer Umarmung wieder hob und wieder einen Schritt von Jess zurück machte.

"Erwischt, würde ich sagen", schnaubte er. "Lernen wird eh überbewertet."

"Wir werden sehen", knurrte Jess spielerisch, machte kehrt, holte ihre Sachen und machte sich dann auf den Weg nach Hause. Clyve drückte sie noch einmal an sich, bevor sie ging, dann zog sie die Tür hinter sich zu und schlug den Weg durch eine edle Wohnsiedlung ein, zurück nach Hause.

Gerade erreichte sie die erste Kreuzung, als Shirley und Kimberly ihr entgegen kamen und sie prompt mit Gezeter in das nächste Gebüsch drängten. Äste und Blätter verfingen sich in Jess Mähne, als Kimberly sie mit strengem Blick fest hielt. Jess bekam kurzzeitig keine Luft mehr, strampelte mit allen Vieren und traf schließlich die braun gescheckte Stute vor der Brust. 

Kimberly  schrie schmerzverzerrt auf, als sie zurück stolperte, wagte jedoch keinen weiteren Angriffsversuch mehr.

"Was zum Teufel geht denn mit euch beiden ab?!", wieherte Jess wutentbrannt, als die Stuten versuchten, ihre ruinierten Frisuren wieder zu richten.

"Du hast die Nacht bei Clyve verbracht!", schnaubte Kimberly düster.

"Na und?!!", Jess war so wütend, dass sie sich kaum im Zaum halten konnte. "Wir sind ja auch zusammen. Ich habe ja wohl ein Recht darauf, mit meinem Freund zusammen zu sein!"

"Und wann planst du, endlich schluss zu machen, damit die nächste ran kann?", fragte Shirley missgünstig. Beinahe wären Jess die Gesichtszüge entglitten. Trügten sie ihre Ohren oder hatte sie das wirklich gerade eben gehört?

"Sagt mal, habt ihr beiden irgendwas genommen?", schrie sie zornentbrannt. 

"Früher war er total nett zu jeder Stute und seit du mit ihm zusammen bist, ignoriert er uns vollkommen! Ist dir nicht klar, was du angerichtet hast?", nährte Kimberly das Fass weiterhin, das ohnehin schon beinahe am Überlaufen war.

"Ich glaub' es geht los!", pfefferte Jess ihr entgegen. "Ich bleibe mit ihm zusammen, so lange wie ich möchte und mache nicht einfach schluss, weil irgendwelche dahergelaufenen Triple Alpha-Studentinnen es mir befehlen."

"Egoistisches Miststück!", wieherte Kimberly wütend. "Und wir haben dir noch unsere Hilfe angeboten. Aber bitte. Viel Spaß noch mit ihm. Aber erwarte nicht, dass du jemals wegen irgendetwas zu uns kommen brauchst."

"Ich brauche eure Hilfe nicht! Ich habe sie nie gebraucht und ich würde mich eher teeren und federn lassen, bevor ich in eure dämliche Sekten-Studentenvereinigung eintrete! Also verdammt nochmal lasst mich in Ruhe, ihr scheiß Kontroll-Freaks!"

Shirley schnappte entsetzt nach Luft, riss den Kopf schwungvoll in die Höhe und blähte zornig die Nüstern.

"Hat sie nicht gesagt!", schnaubte sie entrüstet. Jess bereute bereits in diesem Moment, dass sie so vorlaut gewesen war. Die beiden machten nicht den Eindruck, dass sie ihr das ungestraft durchgehen lassen wollten. 

Kimberly legte die Ohren an, scharrte mit dem Vorderhuf und schnaubte zornig, bevor sie sich mit Gebrüll auf die bereits zur Flucht ansetzenden Jess stürzte und sich in ihrer Mähne verbiss. Die gescheckte Stute zerrte brutal an ihrer Mähne herum. Jess meinte beinahe zu fühlen, wie sie ihr ein ganzes Büschel Haare heraus riss. 

Schreiend und kreischend kickten die beiden um sich, bis sich nun auch noch Shirley mit ins Getümmel stürzte und Jess einige heftige Tritte mit ihren lächerlich pink glitzernd lackierten Hufen ins Gesicht verpasste. 

Blutgeschmack verteilte sich auf Jess Zunge, als sie verzweifelt versuchte, zurück auf die Beine zu kommen, doch Kimberly drückte sie noch immer zu Boden und rupfte ihr seelenruhig weitere Strähnen aus der Mähne.

Jess nutzte die Chance, biss in ihre Halskette und zerriss sie, sodass die Perlen in alle Richtungen flogen. Kimberly jedoch ließ deshalb nicht von ihr ab - eher im Gegenteil. Die Aktion hatte sie nur noch umso rasender gemacht.

"Das wirst du bereuen!", brüllte sie, knallte Jess ihren Huf gegen die Wange und wischte sich dann etwas Blut von der Hufspitze, bevor sie auf Jess Bauch eintrampelte.

Ein lascher Hilferuf war das Einzige, was Jess nun noch zustande brachte. Alles tat ihr weh. Sie schmeckte Blut auf ihrer Zunge und ihr linkes Auge war von Shirleys Schlägen bereits stark angeschwollen, sodass sie Probleme hatte, es offen zu halten. 

Gab es hier denn niemanden, der sich ihrer erbarmen und ihr diese verrückt gewordenen Schnepfen vom Hals schaffen konnte?

Mit einem Mal löste sich der Druck von Jess Bauch, als Kimberly von jemandem von ihr herunter gerissen wurde. Jess hörte sie wild wie eine Raubkatze kreischen, bevor sie überrascht verstummte und ein ganz leises: "Oh, hi, Clyve", murmelte. 

Jess seufzte tief vor Erleichterung, als sie den Umriss des Palominos erkannte, der zwischen ihr und den beiden Stuten stand, deren Köpfe unter ihrem Fell ganz gewiss in diesem Moment rot angelaufen waren. 

"Was zum Geier läuft denn bei euch falsch?!", Jess hatte Clyve noch nie zuvor so zornig erlebt. Sein Körper bebte regelrecht, während er versuchte, ruhig zu bleiben. Jess wusste aber, dass er den beiden am liebsten eine gewaltige Abreibung verpasst hätte.

"Was fällt euch an, meine Freundin so zuzurichten? Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Ist es das, was ihr in eurer scheiß Studentenverbindung den ganzen Tag macht?"

Shirley und Kimberly schüttelten unterwürfig ihre Köpfe. Shirley wagte es allerdings, mit großen, blauen Augen zu Clyve aufzublicken und mit ein paar Krokodilstränchen und weinerlicher Stimme einen Entschuldigungsversuch zu starten.

"Wir dachten nur, dass du vielleicht ein wenig Abwechslung-"

"ABWECHSLUNG?!", brüllte Clyve. "Sehe ich etwa aus, als hätte ich eine von euch verlogenen, intriganten Flittchen nötig?!Ihr seid Abschaum! Der Kerl, der euch abbekommt, tut mir jetzt schon leid!"

Das hatte gesessen. Mit offenen Kiefern beobachteten die beiden Stuten, wie Clyve sich zu Jess kniete und sie sanft auf die Stirn küsste, bevor er ihr beim Aufstehen half und sie zurück zu seiner Wohnung begleitete. 

A3360 - Lehren der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt