Wie auch immer es Clyve jedes Mal schaffte - Jess konnte ihm nicht lange wütend sein. Er hatte dieses Etwas an sich, was sie einerseits zur Weißglut trieb und andererseits extrem faszinierte. Und dann machte er manchmal auf einen Schlag alles zunichte. So, wie an diesem Morgen.
Nach einer langen Nacht und endlosen Küssen, fand sich Jess am nächsten Morgen einmal mehr an Clyves Frühstückstisch wieder. Alleine. Clyve hatte ihr lediglich einen Zettel hinterlassen, dass sein Vater ihn dringend brauchte und er untröstlich sei, jetzt nicht bei ihr sein zu können.
Jess Bauchgefühl protestierte dagegen, als sie sich einredete, dass am Ende alles bloß ein gewaltiges, großes Missverständnis war und Clyve mit seinem Vater keine illegalen Geschäfte trieb, sondern einfach nur äußerst autoritär mit seinen Mitarbeitern umsprang.
Wie auch immer, dachte Jess bei sich. Es war nicht besonders höflich, sich jedes Mal aus heiterem Himmel aus dem Staub zu machen und sie alleine zurück zu lassen. Selbst, als sie ins Krankenhaus eingeliefert werden sollte, hatte er es nicht für nötig erachtet, seinen Vater einfach mal an zweite Stelle zu schieben. Aber nein.
Mit einem genervten Seufzen trottete Jess in die Küche und kippte den Rest ihres Croissants in den Müll. Eigentlich hatte sie überhaupt keinen Hunger gehabt, als sie erfahren hatte, dass Clyve unbemerkt einfach das Haus verlassen hatte. Sie fühlte sich wie benutzt und in die Ecke gestellt.
Aber wenn der werte Herr "ich kümmere mich um dich, wenn es mir passt" wieder einmal andere Pläne hatte, dann war es sicherlich kein Problem, wenn Jess etwas zusammen mit Debbie und ihrem Freund unternahm.
Vielleicht, nur vielleicht hoffte Jess auch ein bisschen, dass Clyve davon mitbekam und vor Eifersucht kochte. Aber das hatte er sich redlich verdient, obwohl Jess wusste, dass es ein ääußerst kindischer Zug war und sie eigentlich darüber stehen musste. Aber nach dem, was sich am Vortag im Krankenhaus abgespielt hatte und er ihr dafür nun wohl eine weitere Retourkutsche verpasst hatte, war ihr das nun wirklich herzlich egal.
Jess sprang noch schnell ins Badezimmer, um sich wieder etwas salonfähig zu machen, als ihr auffiel, dass sie ihre Zahnpasta zuhause vergessen hatte. Also suchte Jess nach der von Clyve, die er sonst irgendwo in seinem Badschrank aufbewahrte. Jess Blick flog prüfend durch die Regalfächer, als ihr das braune Fläschchen auf dem Sims des Badschrankes auffiel, das dort in den letzten Tagen noch nicht gestanden hatte. Es war eigentlich recht gut versteckt zwischen allerlei Parfums und Augentopfen, doch dadurch, dass Jess Augen gerade ohnehin geschärft nach etwas suchten, war es ihr sofort ins Auge gestochen.
Es sah beinahe aus, wie eines dieser Fläschchen, das man in der Apotheke bekam, wenn man sich dort Tinkturen zusammenmischen ließ. Außerdem war in dem schwarzen Deckelchen eine kleine Tropfpipette eingelassen, mit der man das Mittel mühelos und schnell irgendwo hinein geben konnte.
"4-Hydroxybutansäure", las Jess leise die Aufschrift des Mittels durch, bei dem es sich wohl um irgendeine chemische Substanz handeln musste. Aber was hatte Clyve mit Buttersäure zu tun? Jess meinte sich vage zu erinnern, dass reine Buttersäure fürchterlich stank. Aber das hier war keine reine Buttersäure, sondern ein anderes, klares Stoffgemisch, das leicht salzig-lakritzig roch.
Angestrengt dachte Jess nach, wo sie schon einmal etwas über diesen Stoff gehört hatte und für was man ihn einsetzte, doch es wollte ihr nicht einfallen. Also stellte sie das Fläschchen einfach schulterzuckend zurück in den Schrank und setzte dann ihre Suche nach der Zahnpasta fort.
Noch am selben Tag wurde Joe endlich aus dem Krankenhaus entlassen. Debbie war zwar nicht sonderlich begeistert darüber gewesen, dass ausgerechnet Jess mit ihnen etwas unternehmen wollte, jetzt, wo sie endlich wieder tun konnten, was sie wollten, doch Joe hatte darauf bestanden. Wahrscheinlich plagte ihn ein schlechtes Gewissen, welches er nun irgendwie lindern wollte.
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A3360 - Lehren der Vergangenheit
Fiksi RemajaACHTUNG: Diese Geschichte ist verfasst als eine Art Fabel, in der alle Hauptcharaktere als Pferde dargestellt sind.Ihr Verhalten ist jedoch soweit vermenschlicht, dass die Story jederzeit auf Menschen umgeschrieben werden kann. Es handelt sich hier...