»Und er hat sich echt bei Joe entschuldigt?«, fragte Jess verwundert. Seit einer halben Stunde war sie schon mit ihrer Schwester unterwegs zu dem Treffpunkt, den Clyve ihr angegeben hatte. Seite an Seite marschierten die beiden Stuten den schmalen Gehweg, an der Uni vorbei, auf die Bibliothek zu.
Die Spätsommersonne stand hoch am Himmel und tauchte die bereits gelb werdenden Bäume in goldenes Licht. Hin und wieder wehte ihnen ein welkes Blatt um die Ohren, als die letzten warmen Sonnenstrahlen des Sommers auf sie herab schienen.
»Ja, hat er«, antwortete Debbie nachdenklich. »JJ meinte, er sei wirklich sehr freundlich gewesen und hat sich für alles tausendfach entschuldigt. Sie haben sich jetzt darauf geeinigt, dass sie das ganze einfach als kleinen Unfall ansehen. JJ meinte, dass sie wahrscheinlich in zehn Jahren über diesen Vorfall lachen werden.«
»Und die Sache mit den k.o. Tropfen?«, fragte Jess vorsichtig. Debbie schwieg plötzlich, als ob sie nicht weiter über das Thema reden wollte. Die Schritte ihrer Hufe klangen laut in ihren Ohren, als sie vor sich hin schritten. Selbst das Rascheln eines Eichhörnchens in den Baumkronen über ihnen war laut im Kontrast zu ihrer plötzlich verstummten Unterhaltung. Schließlich hob die hübsche Fuchsstute neben Jess den Kopf, lächelte und schnaubte ein belangloses »Hat sich jetzt ja eh erledigt, oder?«.
Jess nickte mit traurig hängenden Ohren. »Ich hatte so sehr gehofft, dass er der ist, für den ich ihn gehalten habe. Dass er ... anders ist.«
»Verstehe ich«, murmelte Debbie andächtig. »Ich habe mich auch sehr in ihm getäuscht. Eigentlich ist es meine Schuld, dass ich dich überhaupt auf ihn aufmerksam gemacht habe. Wäre ich nicht gewesen, hättet ihr euch wahrscheinlich nie kennen gelernt. Dann wäre dir das alles erspart geblieben.«
Jess blieb abrupt stehen und legte ihren Hals über den ihrer Schwester. »Sag das nicht! Dich trifft überhaupt keine Schuld! Ich war es doch, die sich überhaupt auf ihn eingelassen hat. Außerdem hätte es sicher nicht lange gedauert, da wäre er von sich aus auf mich zugekommen.«
Die beiden Stuten seufzten im Chor, traten voneinander zurück und blickten sich tief in die Augen.
»Ich war so eine naive, dumme Gans«, schnaubte Debbie entschuldigend. »Du hattest so viel um die Ohren und dann komme ich auch noch mit meiner undurchdachten Zukunftsplanung um die Ecke und mache alles nur noch schlimmer.«
Jess lächelte sanft und kniff ihrer Schwester dann frech mit den Zähnen in die Wange. »Ach Debbie. Aber du bist doch meine naive, dumme Gans. Ich kann dir doch nie lange böse sein. Außerdem hat man doch dafür große Schwestern. Damit sie einem die undurchdachten Zukunftsplanungen zunichtemachen!«
»Boah, ich hätte dich erwürgen können!«, lachte Debbie voller Heiterkeit. »Ich bin echt froh, dass ich dich habe.«
»Danke, dass du mitkommst«, schnaubte Jess. Das Treffen mit Clyve hatte sie zwar angenommen, aber aufgrund seines mehr als besorgniserregenden Verhaltens der letzten Tage, hatte sie ihm nicht alleine gegenübertreten wollen. Nicht, dass er am Ende noch versuchte, sie zu entführen, um sie in seinem Keller zu halten, damit er sie niemals gehen lassen musste.
Ihre Schwester hatte bei diesem Szenario zwar nur gelacht, doch Jess musste sich eingestehen, dass sie große Angst hatte. Clyve war ihr zu einem Fremden geworden. Sie mochte ihn irgendwo, tief in sich drin, doch die Angst gewann meist Überhand, selbst wenn sie an die schönen Stunden mit ihm dachte. Er war einfach viel zu unberechenbar.
»Oh, verdammt! ist er das nicht da vorne?«
Jess zuckte heftig zusammen. Die Stimme ihrer Schwester hatte überrascht geklungen, aber eher nach der negativen Sorte von überrascht. Auch Jess erblickte den Hengst nun vor sich. Er hatte sie noch nicht bemerkt, aber er sah tatsächlich elend aus.
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A3360 - Lehren der Vergangenheit
Teen FictionACHTUNG: Diese Geschichte ist verfasst als eine Art Fabel, in der alle Hauptcharaktere als Pferde dargestellt sind.Ihr Verhalten ist jedoch soweit vermenschlicht, dass die Story jederzeit auf Menschen umgeschrieben werden kann. Es handelt sich hier...