Kapitel 1 | lost

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„Willkommen, willkommen! Willkommen auf unserem Jahrmarkt der Gebrüder Fanas, besser bekannt als Cirque de Fanas!"

Um mich herum herrscht ein buntes Treiben und ich greife schnell nach Nialls Hand, um ihn nicht in der Menge zu verlieren. Inzwischen dämmert es bereits. An mir laufen viele Eltern mit ihren Kindern vorbei, einige der Kinder sind bunt geschminkt oder halten einen Luftballon, Zuckerwatte oder ähnliches in ihren Händen. Als eine Frau mit langem Bart an mir vorbeiläuft und mich böse anfunkelt schrecke ich zusammen und drücke Nialls Hand noch fester.

„Du hast doch nicht etwa Angst, oder, Zoe?" Niall ist stehen geblieben und hat sich zu mir umgedreht, seine blauen Augen funkeln mich neckisch an. Ich boxe ihn leicht in die Seite, er weiß ganz genau, dass ich Angst hab. Ich kann Jahrmärkte nicht ausstehen, insbesondere Clowns. Und trotzdem hat er mich hierhin mitgeschleppt. Alles in mir schreit nach Flucht und am liebsten würde ich ihn dafür verfluchen, dass er mich mit seinem Dackelblick dazu gebracht hat, trotz meiner Angst ihn zu begleiten.

„... insbesondere unsere einzigartige Freakshow ist legendär und wir versprechen ihnen einen unvergesslichen Aufenthalt!"

Der Mann in dem purpurnen Anzug und dem dunklen Zylinder, der dank seiner Stelzen um die 2,50m groß ist, begrüßt noch immer lautstark die Besucher.

„... spektakulär - sie werden ihren Augen nicht trauen!"

In diesem Moment treffen sich die Blicke des Riesen und mir, seine dunkelgrünen Augen funkeln mich furchterregend an und mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken.

„Komm, lass uns schnell weitergehen", dränge ich Niall. Ich will nur noch diese Show hinter mich bringen und dann endlich verschwinden.

Wir laufen an einigen Imbissbuden, Wohnwagen, Zelten, Käfigen mit Tieren und weiteren kleineren Attraktionen vorbei. Die Geräuschkulisse ist überwältigend, aus allen Richtungen kommt ein anderer Lärm. Die Jahrmarktmusik ist von allen am präsentesten, die unheimliche Melodie bringt meinen Puls auf hundertachtzig. Doch ich scheine die einzige zu sein, der es so geht, alle anderen Besucher scheinen die Musik alles andere als furchterregend zu empfinden. Sie lachen, reden und steuern den Hauptweg auf das große, rot-blaue Zelt zu, das das Zentrum des Jahrmarktes bildet.

Niall zieht mich zu einem der Imbisswagen, von dem der Geruch von Zuckerwatte und Popcorn weht. Hinter der Glastheke befinden sich Unmengen von Süßigkeiten; Gummischlangen, gebrannte Mandeln, Crêpes, in Schokolade getauchtes Obst. Außerdem hängen von der Decke Lebkuchenherzen mit verschiedensten Beschriftungen und durchsichtige Plastiktüten mit bunter Zuckerwatte und Popcorn hinunter.

„Willst du auch was?", fragt Niall mich und kramt in seiner linken Hosentasche nach seinem Portmonee. Ich schüttele den Kopf. Die schauerliche Atmosphäre des Platzes hat mir jeglichen Hunger genommen.

Mein Freund stellt sich näher an die Theke hinan und bestellt sich eine große Tüte Popcorn, unterdessen stehe ich einige Schritte daneben, die Arme vor der Brust verschränkt und ich sehe mich fröstelnd um. Einige Meter weiter steht ein Clown, dessen Haut weiß geschminkt ist und über dessen Augen geschwungene Augenbrauen gemalt sind. Seine Augen sind schwarz umrandet, seine Nase ist groß und dunkelrot und seine Lippen sind in einem hellen, leuchten rot bemalt, dabei reicht die Farbe über seine eigentlichen Lippen hinaus und ist zu einem breiten Grinsen geschminkt. Der Clown starrt mich mit seinen dunkelgrünen Augen an, er fixiert mich geradezu mit ihnen und als er merkt, dass ich vor Furcht einen Schritt zurückstolpere verzieht sich sein eigentlicher Mund ebenfalls zu einem breiten, teuflischen Grinsen. Mein Atem beschleunigt sich und mein Puls steigt erneut.

Ich muss so schnell wie möglich weg von hier, keine Sekunde länger halt ich es hier aus.

„Niall-", rufe ich mit zittriger Stimme und zucke heftig zusammen, als ich plötzlich eine Berührung an meiner Schulter wahrnehme.

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