Kapitel 16 | fall

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Als ich die Augen öffne strecke ich mich kurz und richte mich ein Stück auf, sodass ich statt wie zuvor zu liegen mit dem Rücken mich an die Wand anlehne. Gerade will ich wieder die Augen schließen, um vielleicht doch wieder einzuschlafen, als ich es sehe.

Die Türe.

Sie ist auf.

Die schwere Türe steht sperrangelweit auf und es fällt ein kleiner Lichtstrahl herein, der vermutlich vom Mond stammt. Bevor ich nachdenken kann stehe ich bereits auf beiden Beinen und setze schwankend einen Fuß vor den anderen, bis ich endlich die Tür erreiche. Mitten in der Tür bleibe ich stehen und meine Hände klammern sich an den Rahmen um nach Halt zu finden, während ich vorsichtig hinaus schaue.

Der ganze Platz liegt in stiller Dunkelheit, welche jedoch von dem mit Sternen bedeckten Himmel samt Mond ein wenig erleuchtet wird. Der Himmel ist klar, keine einzige Wolke, dafür hunderte von Sternen. Weit und breit kann ich niemanden ausfindig machen und leise schleiche ich die drei Treppen hinunter, darauf bedacht keinen Laut von mir zu geben.

Auch dieses Mal tragen mich meine Füße bevor ich überhaupt nachdenken kann weiter. Meine Beine tragen mich durch die Wege zwischen den Wohnwagen und Zelten hindurch und auch jetzt kann ich noch immer weit und breit keine Menschenseele ausfindig machen. Es ist still. Fast schon zu still.

Ist das hier mein Ticket in die Freiheit?

Noch immer schleiche ich die schmalen Wege entlang. Immer wieder glaube ich Schatten hinter mir zu haben, die mich verfolgen, doch das ist mit Sicherheit nur meine Paranoia. Wer würde nicht paranoid werden, wenn er auf der Flucht ist?

Ich weiß nicht einmal genau, wo ich genau langlaufe, ich bahne mir einfach einen Weg durch den Platz in der Hoffnung irgendwann an ein Ende zu gelangen. Fast schon peinlich genau achte ich darauf, ja nicht im Kreis zu laufen, sondern möglichst nur in eine Richtung, niemals hintereinander die gleiche Richtung einzuschlagen. Rechts, links, rechts, links, dazwischen immer lange geradeaus.

Der Platz ist größer als er mir es letztes Mal erschienen ist, aber ich darf jetzt nicht ungeduldig werden. Ruhe bewahren.

Meine Füße werden schwerer mit jedem Schritt, doch ich weigere mich müde zu werden oder gar anzuhalten. Es kann nicht mehr weit sein. Noch immer ist alles totenstill und ich bin mir sicher, dass niemand meine Flucht bisher gemerkt hat. Vielleicht werden sie es in einigen Stunden bemerken, wenn die Sonne anbricht, aber bis dahin werde ich über alle Berge sein. Ich werde keine Sekunde anhalten, bevor ich nicht in Sicherheit bin. Im Notfall werde ich Stunden laufen ohne Rast zu machen, bis ich endlich an eine Stadt ankomme und mich dort sofort zur Polizei begebe. Sie werden wissen was zu tun ist, sie werden mich beschützen können, verstecken vor diesem Jahrmarkt. Und dann werde ich nach Hause kommen können, wo meine Eltern schon auf mich warten. Und meine Freunde. Und Niall.

Es wird alles wieder gut.

Ich biege um die Ecke - links, nachdem ich das letzte Mal rechts abgebogen bin - und erstarre. Meine Füße bleiben stehen und ich schlucke schwer.

Das kann nicht sein. Unmöglich.

Ich bin genau an dem kleinen Platz angekommen, an dem der Wohnwagen steht, in dem sie mich gefangen gehalten haben. Es sieht alles haargenau gleich aus. Mein Wohnwagen, der in einem schmutzigen Grau von außen gehalten ist, bei dem es sich früher vermutlich mal um ein weiß gehalten hat. Genau gegenüber davon der Wagen mit dem mit Pappe zugeklebten Fenster, bei dem ich mich frage, ob man so überhaupt fahren darf. Dazwischen drei weitere Wohnwagen, die alle bis auf einen genauso heruntergekommen sind wie meiner.

Womöglich irre ich mich. Das sieht doch alles gleich aus. Wohnwagen an Wohnwagen, Zelt an Zelt. Einfach weiterlaufen. Augen zu und durch.

Weiter bahne ich mir einen Weg durch die Gassen, laufe weiter nach meinem geradeaus sonst links-rechts-links-rechts-Prinzip, mit dem ich glaube gar nicht mal so schlecht dran zu sein. Alles um mich sieht gleich aus, als wäre ich eben schon mal hier vorbeigelaufen. Laufe ich doch im Kreis? Nein, das kann nicht sein. So genau wie ich darauf achte, genau das nicht zu tun. Ich bin mir sicher, dass mir in meinem System kein Fehler unterlaufen ist.

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